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Interview über geheime Arbeit

Genehmigung von Tierversuchen: „Aus ethischen Gründen kann man fast nichts ablehnen”

Ehrenamtliche Kommissionen aus Wissenschaftlern und Tierschützern beraten die Behörden in Deutschland bei der Genehmigung von Tierversuchen. Die Besetzung und die Arbeit dieser Gremien ist geheim, die Mitglieder sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Eine Insiderin aus Süddeutschland berichtet den BNN anonym von ihren Erfahrungen.

ARCHIV - ILLUSTRATION: 10.03.2016, Baden-Württemberg, Tübingen: Ein Rhesus-Affe mit einem Implantat wird in der Tierhaltung im Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik von einem Tierpfleger gefüttert. (zu dpa «Strafbefehle wegen Misshandlung von Affen beantragt" vom 20.02.2018) Foto: Marijan Murat/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Ein Rhesus-Affe mit einem Implantat an einem Forschungsinstitut in Tübingen. Foto: Marijan Murat

Sie sind seit vielen Jahren in einer ehrenamtlichen Kommission tätig, die eine Behörde in Süddeutschland bei der Genehmigung von Tierversuchen berät. Wer sitzt außer Ihnen in diesem Gremium?

Zu zwei Dritteln sitzen in der Kommission Wissenschaftler, die selbst Tierversuche durchführen. Die anderen beiden Plätze werden mit Vorschlägen von Tierschutzorganisationen besetzt. Das sind fast immer Tierärzte, weil quasi nur noch die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) Vorschläge macht. Die meisten anderen Tierschutzorgansationen haben sich aus Protest zurückgezogen. Die TVT-Mitglieder sind ebenfalls Wissenschaftler, die nicht im Hinterkopf haben, die Methode des Tierversuchs abzuschaffen. Sie wollen zwar die Bedingungen verbessern. Aber normalerweise sitzt niemand in diesen Kommissionen, der gegen Tierversuche ist.

Wie stehen Sie selbst zur Methode?

Ich persönlich bin gegen Tierversuche.

Können Sie in der Kommission überhaupt etwas bewirken?

Wir diskutieren über die Anträge und über Fragen wie: Bekommen die Tiere genug Schmerzmittel, werden Alternativen bedacht, sind es zu viele Tiere? Die meisten Antragssteller gehen einfach über die „3R“ hinweg („Replace, Reduce, Refine“; also das Prinzip, Tierversuche zu vermeiden, zu reduzieren und zu verbessern, Anm. d. Red.). Sie schreiben einfach „das geht nicht in der Petrischale“. Dann gehe ich her und überprüfe die verwendete Literatur, die teilweise 15 Jahre alt ist. Ich schaue, ob es nicht doch Alternativen gibt.

Und dann?

Wir stimmen am Ende über die Tierversuchsanträge ab, da steht es meistens 5:1. Aber man kann auf jeden Fall etwas bewirken, wir diskutieren zum Beispiel über unnötige Kontrollgruppen. Die Kommission kann sowieso nur einen Rat abgeben, aber meistens schließt sich die Behörde bei ihrer finalen Entscheidung über die Genehmigung oder Ablehnung des Antrags an.

Wissen Sie, wie es in anderen Kommissionen aussieht?

Die Kommissionen entscheiden ganz unterschiedlich. Und es ist deutschlandweit nicht reglementiert, wer überhaupt darin sitzt. Ohnehin ist es schwierig, über diese Kommissionen viel zu bewirken. Man könnte das nur über die Geldgeber machen – also die Förderungen anders verteilen. Der Tierversuch wird in Deutschland viel zu hoch bewertet. Die EU will die Methode langfristig ganz abschaffen, aber in Deutschland sagt man, das ist nicht möglich.

Wie hoch ist die Arbeitsbelastung für Sie als ehrenamtliches Kommissionsmitglied?

Die Sitzungen dauern meistens drei bis fünf Stunden. Dazu kommen mehrere Tage für die Vorbereitung, für die ich auch kein Geld bekomme. Wir bearbeiten bis zu zehn Anträge pro Sitzung. Die sind teils sehr unterschiedlich und für Laien schwierig zu durchschauen.

Woran bewerten und prüfen die Kommissionsmitglieder diese wissenschaftlichen Anträge?

Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Es gibt Belastungskataloge, da gibt es viel Literatur, und diese Kriterien muss man dann diskutieren. Feste, einheitliche Regelungen gibt es nicht.

Tierschutzorganisationen kritisieren, dass den Kommissionen und Behörden nur eine Plausibilitätsprüfung zustehe – sie also nur prüfen können, ob der Forscher die Unerlässlichkeit des Tierversuchs wissenschaftlich begründet hat. Eine wirkliche inhaltliche Prüfung und die Abwägung des zu erwartenden Nutzen mit dem vermutlichen Leiden der Tiere ist laut Tierschützern nicht möglich. Wie empfinden Sie das?

Auf jeden Fall ist es ein Problem, dass man aus ethischen Gründen fast nichts ablehnen kann – bei geringer Belastung der Versuchstiere ist das gar nicht möglich. Das war immer schon so und muss dringend geändert werden.

Und bei schweren Belastungen?

Die Kommissionen lehnen selten aus ethischen Gründen einen Versuch ab. Deswegen gibt es in Deutschland ethisch fragwürdige Versuche: Zum Beispiel werden Vögeln Elektroden ins Hirn gesetzt, um zu sehen, wie sie ihren Gesang erlernen. Daraus soll das Lernverhalten von Menschenkindern abgeleitet werden. Das lässt sich aber nicht übertragen und bringt dem Menschen keinen direkten Nutzen, weil keine Krankheit geheilt wird. Aber in der Grundlagenforschung wird vieles genehmigt.

Wie sollte das Genehmigungsverfahren geändert werden?

Es müsste zwingend jeder Tierversuch rückblickend bewertet werden, nicht nur bei schwerer Belastung der Tiere. Wir können in der Kommission nicht sagen „dieser Forscher macht das seit 30 Jahren und es ist noch nichts herausgekommen“. Das ist kein Argument für eine Ablehnung, weil bei der Grundlagenforschung zumindest theoretisch irgendwann mal irgendein Ergebnis denkbar erscheint.

Wie ist die Situation außerhalb Deutschlands?

Ich weiß nicht, wie viele Tierversuche momentan weltweit doppelt laufen, weil die Ergebnisse in der jeweiligen Landessprache veröffentlicht werden und Forschern in anderen Ländern damit nicht zugänglich sind. Innerhalb Deutschlands gibt es immerhin die NTP, die nichttechnischen Projektzusammenfassungen. Da bekommt man einen Überblick, was alles gemacht wird.

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