Um wegen der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole von der Staatsanwaltschaft belangt zu werden, muss man nicht in die Türkei reisen. Mit einer Bananenrepublik will sich auch Deutschland nicht ungestraft vergleichen lassen.
Während der Heidelberger Rechtsanwalt Memet Kilic derzeit vor einem Gericht in Ankara um seine Freiheit kämpft, bekommt ein Mann im südbadischen Greffern Post vom Staatsanwalt. Kilic steht vor dem Richter, weil er die Türkei eine Bananenrepublikund ihren Präsidenten einen Vaterlandsverräter nannte .
Halb geschälte Banane auf schwarz-rot-goldenem Grund
Auch in dem Verfahren gegen den Mann aus Greffern geht es um eine Banane .
Der Beschuldigte wird verdächtigt, er habe im April eine Flagge der Bundesrepublik Deutschland mit der großformatigen Darstellung einer halb geschälten Banane für alle Passanten gut sichtbar aufgehängtOberstaatsanwaltschaft Baden-Baden.
Der Staatsschutz ermittelt
Und das ist als Verunglimpfung der Bundesrepublik und ihrer Symbole nach Paragraf 90a des Strafgesetzbuches mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bewehrt.
Mindestens zwei Mal, so der Beklagte, sei die Polizei bei ihm aufgetaucht und habe die Fahne fotografiert. Schließlich bat ihn der Staatsschutz zum Verhör nach Lichtenau.
„Haben die nichts Wichtigeres zu tun“Die Fahne war schon beim Kauf verunglimpft
Die Fahne hatte er mit Banane im Internet gekauft. Das war möglicherweise seine Rettung. Genau genommen hat er ja nicht eine Deutschlandfahne genommen und verunglimpft, sondern eine bereits verunglimpfte sich beschafft und öffentlich aufgehängt.
„Die hypothetisch anzunehmende Schuld wäre als gering anzusehen“, schreibt der Oberstaatsanwalt schließlich und stellt das Verfahren ein. Gleichwohl warnt er vor einem erneuten Aufhängen der Bananenflagge .
Ich werde dieses Land verlassen
Dann müsse möglicherweise „eine gerichtliche Entscheidung mit einem Schuldspruch angestrebt werden“. Diese Drohung bringt für den Mann aus Greffern, der in dieser Geschichte anonym bleiben will, das Fass endgültig zum Überlaufen.
„Ich werde dieses Land verlassen.“ Frustriert ist der Bautechniker seit Jahren. Er ist mit dem Gesundheitssystem unzufrieden, mit der misslungenen Maut-Einführung, mit der Renovierung der Gorch Fock und vor allem mit dem Verhalten von Landesinnenminister Strobl.
Vom Minister angelogen?
„Der hat n ach dem Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt vor einem Jahr gesagt, Sondereinsatzkräfte seinen auf dem Weg an die Grenze, um die Bürger vor dem Attentäter zu schützen. Hier in Greffern ist ein Grenzübergang. Ich habe nachgeschaut. Da war niemand, keine Polizei, keine Sondereinsatzkräfte, nichts. Das war eine richtige Lüge des Innenministers.“
Ein Sprecher des Innenministers bestätigt, dass Strobl damals versprochen habe, die Grenze werde abgeriegelt. Das sei auch passiert. In Greffern seien möglicherweise die französischen Kollegen auf deren Rheinseite im Dienst gewesen.
Kein Vergleich zur Türkei
Dennoch hat der Grefferner genug. Er will Deutschland und wohl auch die Europäische Union verlassen. „Ich gehe auf eine britische Kanalinsel, Guernsey oder Jersey.“
Zurück lässt er eine Staatsanwaltschaft, die den Vergleich mit den Kollegen in der Türkei so nicht auf sich sitzen lassen will.
Es kommt aufs Detail an
„Ich gehe schon davon aus, dass die Bewertung der Meinungsfreiheit hier anders läuft als in der Türkei“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Baden-Baden, Michael Klose. In solchen Fällen komme es immer sehr auf die Details an, zu denen er im konkreten Fall aber nichts sagen könne.
„Sage ich: Sie sind ein Idiot, dann ist das eine Beleidigung. Sage ich stattdessen: Ich halte Sie für einen Idioten, dann ist es eine Meinungsäußerung“, erklärt Klose.
Es gehe also immer sehr ums Detail, und auch um die Person des Beschuldigten. Bei sogenannten Wut- oder Reichsbürgern müsse man davon ausgehen, dass es nicht beim Einzelfall bleibe.
Ganz dünnes Eis
Dennoch gelte für alle: „Wer Symbole des Staates verunglimpft, begibt sich rechtlich auf dünnes Eis. Aber die Staatsanwaltschaft und die Gerichte sind sehr zurückhaltend, was die Beschneidung von Grundrechten wie dem der Meinungsfreiheit angeht.“
Von türkischen Verhältnissen ist man damit wohl noch weit entfernt. In der Türkei stehen nach Angaben von Memet Kilic derzeit etwa 20.000 Menschen unter der Anklage, den Präsidenten beleidigt zu haben. Viele sitzen nach einer einschlägigen Verurteilung auch im Gefängnis.
2018: Keine Verurteilungen
In Baden-Württemberg wurde nach Angaben des Stuttgarter Justizministeriums im vergangenen Jahr niemand wegen des Vorwurfs der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole verurteilt.