Es sind andere Töne, als man sie bisher von der AfD gewohnt ist. Neue Töne, in jedem Fall ungewöhnliche Töne. „Als Rechtsstaatspartei bekennt sich die AfD vorbehaltlos zum deutschen Staatsvolk als er Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.“
Und zwar unabhängig davon, „welchen ethnisch-kulturellen Hintergrund jemand hat, wie kurz oder lange seine Einbürgerung oder die seiner Vorfahren zurückliegt“.
Auch dieser sei, so die AfD weiter, vor dem Gesetz genauso deutsch wie der Abkömmling einer seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Familie, genieße dieselben Rechte und habe dieselben Pflichten. „Staatsbürger erster und zweiter Klasse gibt es für uns nicht.“
Bekennt sich die AfD damit zur Zuwanderung, zu einer multi-ethnischen Gesellschaft und einem Staatsangehörigkeitsbegriff, der nicht auf Abstammung und Herkunft setzt? Die „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“, die der Bundesvorstand am Montag verabschiedet und an alle Mitglieder versandt hat, sieht ganz so aus.
Die Partei, deren Vertreter in der Vergangenheit immer wieder Eingebürgerten das Recht absprachen, „echte Deutsche“ zu sein und deren Deutsch-Sein anzweifelten, lädt nun „alle Deutsche - ohne wie auch mit Migrationshintergrund – ein, mit uns gemeinsam an einem friedlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen und selbstbewussten Deutschland zu bauen“.
Unterschrieben haben diese Erklärung alle Mitglieder des Bundesvorstands, auch der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, der abgewählte frühere Vorsitzende des Rechtsausschusses, Stephan Brandner, und sogar der thüringische Landeschef Björn Höcke, ehemals Chef des völkisch-nationalen „Flügels“.
„Erwiesen extremistische Bestrebung“
Für Beobachter kommen weder der Inhalt des Dokuments noch der Zeitpunkt der Verabschiedung überraschend. Sie gehen davon aus, dass der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, bereits in den nächsten Tagen die gesamte Partei zu einem „rechtsextremistischen Verdachtsfall“ erklären wird, nachdem die AfD zuvor gut zwei Jahre lang ein „Prüffall“ gewesen ist.
Zudem war der mittlerweile aufgelöste „Flügel“ erst als „Verdachtsfall“, dann sogar als volles Beobachtungsobjekt eingestuft worden – Begründung: Er sei eine „erwiesen extremistische Bestrebung“.
Insider gehen davon aus, dass die einzelnen Landesämter genug an belastendem Material zusammengetragen haben, die in ihrer Gesamtheit „gewichtige Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“ darstellen. Das vom Bundesvorstand der Partei verabschiedete Papier sei ein verzweifelter Versuch von Parteichef Jörg Meuthen, die Einstufung als „Verdachtsfall“ - noch dazu ausgerechnet ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl – in allerletzter Minute zu verhindern.
Sollte es so weit kommen, könnte der Verfassungsschutz mit dem gesamten Instrumentarium, das ihm zur Verfügung steht, die Partei und ihre Mitglieder beobachten. Das reicht vom Einsatz von V-Leuten über die Speicherung von personenbezogenen Daten von Mitgliedern bis zur Observierung von Mitgliedern und dem Abhören von Telefonaten.
Weitreichende Konsequenzen hätte die Einstufung als „Verdachtsfall“ vor allem für alle Beamten, die AfD-Mitglied sind. Denn diese sind zu „politischer Mäßigung“ sowie zu Verfassungstreue verpflichtet. Unter den Mitgliedern wie Abgeordneten in den Landtagen und im Bundestag gibt es etliche Lehrer, Richter, Polizisten und Soldaten. Schon in der Vergangenheit wurde einzelnen AfD-Mitgliedern der Beamtenstatus aberkannt, nachdem sie wegen extremistischer Äußerungen aufgefallen waren. Der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes, Ulrich Silberbach, weist bereits in aller Deutlichkeit darauf hin, dass jemand, der nicht mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes stehe, kein Beamter sein könne. Sollte der Verfassungsschutz bei der AfD extremistische Bestrebungen sehen, gelte es „deutlich Abstand zu halten“.
Der MAD kann tätig werden
Auch das Verteidigungsministerium macht keinen Hehl daraus, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr tätig werde, wenn eine Organisation vom Verfassungsschutz als extremistischer Verdachtsfall eingestuft werde. Soldatinnen und Soldaten seien verpflichtet, „die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anzuerkennen und durch das gesamte Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten“, heißt es im Haus von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Auch das kommt für die AfD nicht überraschend. Schon 2019 sagte der damalige Parteichef Alexander Gauland: „Langfristig mache ich mir schon Sorgen, dass wir die Beamten verlieren.“
Die AfD ihrerseits zeigt sich kämpferisch. Am Freitag reichte sie vor dem Verwaltungsgericht Köln zwei Klagen und zwei Eilanträge ein. Damit will sie dem Verfassungsschutz verbieten, sie als Verdachtsfall einzustufen und dies auch öffentlich bekanntzugeben. Zudem solle dem Bundesamt verboten werden, mitzuteilen, wie viele AfD-Mitglieder dem „Flügel“ angehörten. Man werde „mit allen juristischen Mitteln“ gegen das Bundesamt vorgehen – „und absehbar erfolgreich sein“, sagt Parteichef Jörg Meuthen, Mitglied des Kreisverbandes Baden-Baden/Rastatt. Nach seiner Ansicht liegen die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen, die für eine Beobachtung erforderlich sind, „schlicht nicht vor“. Die AfD sei eine bürgerlich-konservative Partei, „die felsenfest auf dem Boden des Grundgesetzes steht und absolut keinen Anlass für den Verdacht bietet, extremistisch zu sein“.