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Kommentar

Gorbatschow steht für das Ende des Kalten Kriegs, aber auch für den Untergang der UdSSR

Michail Gorbatschow stand nur sechs Jahre an der Spitze der Sowjetunion, doch in dieser Zeit hat er Geschichte geschrieben. Sein Wirken ist umstritten. Ein Kommentar von Martin Ferber.

Einen einmaligen Empfang bereitete die Bonner Bevölkerung dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michael Gorbatschow und seiner Ehefrau Raissa, als beide das Rathaus besuchten. Beim «Bad in der Menge» mussten die Gäste aus Moskau zahlreiche Hände schütteln. Als einer der Väter der Deutschen Einheit hat Michail Gorbatschow sich seinen Platz in der Geschichte schon vor 30 Jahren gesichert. Er gilt als einer der größten Reformer des 20. Jahrhunderts. Nun wird der Friedensnobelpreisträger und frühere Kremlchef 90 Jahre alt. +++ dpa-Bildfunk +++
Begeisterter Empfang: Bei einem Besuch Bonns im Juni 1989 wurde der damalige Kremlchef Michail Gorbatschow wie ein Superstar gefeiert. Nun ist er 91-jährig gestorben. Foto: Frank Kleefeldt picture alliance/dpa

Sein Platz in den Geschichtsbüchern ist ihm gewiss. Über Michail Sergejwitsch Gorbatschow kann man mit Fug und Recht sagen, was nur für wenige gilt: Ohne ihn sähe die Welt anders aus.

Der letzte Staats- und Parteichef der Sowjetunion hat den Lauf der Geschichte radikal verändert. Vor allem Deutschland hat ihm viel zu verdanken.

Gorbatschows Name ist untrennbar mit dem Ende des Kalten Krieges und der Teilung der Welt in zwei rivalisierende Blöcke verbunden. Er machte die deutsche wie die europäische Einigung möglich, ohne dass ein Schuss fiel oder ein Tropfen Blut floss. Dafür wurde er zu Recht mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und im Westen gefeiert wie kaum ein anderer Staatsmann.

Putin will korrigieren, was Gorbatschow angerichtet hat

Aber er steht auch für den Zerfall der Sowjetunion mit all den schweren ökonomischen wie sozialen Verwerfungen, die bis heute andauern. Im eigenen Land gilt er daher als ein Gescheiterter, als Totengräber der UdSSR. Putins Krieg gegen die Ukraine ist eine direkte Folge.

Der Kremlchef betrachtet den Untergang des Sowjetimperiums als eine Katastrophe und Demütigung, die er mit Gewalt rückgängig machen möchte. Die Einverleibung der Ukraine soll korrigieren, was Gorbatschow aus Putins Sicht angerichtet hat.

Das Sowjetsystem war nicht reformierbar

Mit der Ernennung Gorbatschows zum neuen Generalsekretär der KPdSU endete 1985 die lange Zeit der Agonie mit den kranken und handlungsunfähigen Kremlchefs Breschnew, Andropow und Tschernenko. Im Kreml wehte ein frischer Wind, der Charismatiker aus dem Kaukasus verordnete dem Land unter den Schlagworten Glasnost (Offenheit) und Perestrojka (Umbau) politische und wirtschaftliche Reformen.

Zudem erkannte er, dass die Hochrüstung nicht mehr zu bezahlen war, ausgerechnet mit dem konservativen US-Präsidenten Ronald Reagan handelte er weitreichende Abrüstungsverträge aus. Doch die Geister, die er rief, erwiesen sich als stärker als er. Das System war nicht reformierbar, den ökonomischen und finanziellen Kollaps der Sowjetunion konnte er nicht verhindern, den Ruf nach Unabhängigkeit im Vielvölkerstaat nicht unterbinden, auch wenn er es im Baltikum noch mit Waffengewalt versuchte.

Das Recht auf Selbstbestimmung, das er den Deutschen, Polen, Ungarn und anderen einräumte, konnte er den Balten, Ukrainern, Georgiern, Armeniern und allen anderen auf Dauer nicht verweigern. Der Antreiber wurde zum Getriebenen.

Der eigenen Entmachtung zugestimmt

Es ist die Tragik Gorbatschows, dass er von den Kräften, die er entfesselte, überrollt wurde. Am Ende musste er seiner eigenen Entmachtung zustimmen. Die Frage, wie sich die Welt entwickelt hätte, wenn 1985 ein anderer Kremlchef geworden wäre, reizt zu Spekulationen.

Und doch ist sie müßig. Die Welt ist so, wie sie auch durch das Wirken Gorbatschows geworden ist. Nun stehen andere in der Pflicht, mit diesem Erbe umzugehen. Am Ende spricht die Geschichte ihr Urteil, ob sie richtig oder falsch gehandelt haben.

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