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Unmissverständliche Klarheit

Karlsruhe kippt Berliner Mietendeckel: Jetzt drohen den Mietern in Berlin zum Teil saftige Nachzahlungen

Mit einem Mietendeckel wollte der rot-rot-grüne Senat von Berlin den Anstieg der Mieten in der Hauptstadt begrenzen. Doch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Regelung für nichtig erklärt. Für die Mieterinnen und Mieter hat das fatale Folgen.

19.11.2020, Berlin: An einem Wohngebäude in Lichtenberg hängt ein Plakat, auf dem auf die Vermietung von Wohnungen hingewiesen wird. Im Abgeordnetenhaus wurde in einer Aktuellen Stunde das Thema Mietendeckel debattiert.
Kein Deckel für die Mieten: Die Karlsruher Verfassungshüter haben den Berliner Alleingang im Mietrecht gestoppt. Zuständig ist ausschließlich der Bund. Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Bis zuletzt war Michael Müller davon überzeugt, das Richtige zum Schutz der Mieter in der Hauptstadt getan zu haben.

Der vom rot-rot-grünen Senat beschlossene und vor einem guten Jahr in Kraft getretene Mietendeckel habe ihnen nicht nur eine „Atempause“ gewährt, sondern sei ein „Vorbild“ für andere Städte im Kampf um bezahlbaren Wohnraum, wurde der Regierende Bürgermeister von Berlin nicht müde zu betonen.

Die ebenso lautstarken wie zahlreichen Bedenken, der bundesweite Alleingang stehe juristisch auf äußerst wackligen Beinen und werde möglicherweise vor Gerichten keinen Bestand haben, wischte der Sozialdemokrat stets beiseite: „Wenn der Mietendeckel vom Gericht bestätigt wird, dann wird er – da bin ich sicher – nicht nur in Berlin, sondern auch in vielen anderen Städten zum Tragen kommen“, war Müller überzeugt.

In Bayern gab es denn auch unter Berufung auf den Berliner Mietendeckel eine Initiative für ein Volksbegehren, das einen sechsjährigen Mietenstopp erreichen wollte.

Berlin ist kein Vorbild

Seit diesem Donnerstag aber steht fest: Berlin ist kein Vorbild. Im Gegenteil. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich der Weg des rot-rot-grünen Senats als Irrweg erwiesen.

In unmissverständlicher Klarheit stellten die acht Richterinnen und Richter des Zweiten Senats unter Vorsitz von Vizepräsidentin Doris König fest, dass das Land Berlin überhaupt keine Gesetzgebungsbefugnis hatte.

Mietrecht sei eine Bundessache. Und da die Große Koalition bereits eine Mietpreisbremse beschlossen hat, „ist aufgrund der Sperrwirkung des Bundesrechts für die Gesetzgebungsbefugnis der Länder kein Raum“, urteilten die Hüter der Verfassung (Az 2 BvF 1/20, 2BvL 4/20 und 2 BvL 5/20).

Sie gaben damit 284 Abgeordneten der Unions- und FDP-Fraktion im Bundestag Recht, die mit einem gemeinsamen Normenkontrollantrag eine Überprüfung durch das höchste deutsche Gericht gefordert hatten.

Zudem hatten bereits das Berliner Landgericht und ein Amtsgericht die Vorschriften für verfassungswidrig gehalten und den Fall nach Karlsruhe überwiesen.

Mehrstufiges Verfahren

Mit dem Mietendeckel griff der Berliner Senat gleich mehrfach in die Vertragsfreiheit zwischen Vermietern und Mietern ein. Staffelmietverträge wurden außer Kraft gesetzt, ebenso der bis dahin gültige Mietspiegel, an dem sich die Höhe von Neuvermietungen orientierte.

Stattdessen wurden in einem ersten Schritt die Mieten für rund 1,5 Millionen Berliner Wohnungen auf dem Stand vom Juni 2019 eingefroren und in einem zweiten Schritt Preistabellen mit einer verbindlichen Obergrenze eingeführt, die sich am Alter sowie baulichen Zustand der Immobilie und in etwa am Niveau des Mietspiegels von 2013 orientierte.

Für viele Mieter im Bestand hatte dies zur Folge, dass die Miete zum Teil deutlich sank. Nach Schätzungen wurden sie unter dem Strich um einen dreistelligen Millionenbetrag entlastet.

Senat will Notfallfonds einrichten

Insofern hat der Spruch der Karlsruher Richter für die Mieter fatale Folgen – es gelten ab sofort wieder die alten Mietverträge. Und die Mieter müssen den eingesparten Differenzbetrag an die Eigentümer zurückzahlen.

Der Berliner Bausenator Sebastian Scheel (Linke) kündigte an, dass sich der Senat auf seiner nächsten Sitzung mit der Problematik beschäftigen werde.

„Dabei sieht sich der Senat auch in der Verpflichtung, sozial verträgliche Lösungen für Mieterinnen und Mieter zu entwickeln.“ Im Gespräch ist ein Nothilfefonds für besonders bedürftige Betroffene.

Der Wohnungskonzern Vonovia, der in Berlin etwa 42.000 Wohnungen besitzt, kündigte bereits an, auf Mietnachforderungen zu verzichten.

Dagegen will der Konzern Deutsche Wohnen, in der Hauptstadt mit mehr als 100.000 Wohnungen der mit Abstand größte Eigentümer, den Differenzbetrag einfordern. Allerdings solle kein Mieter seine Wohnung verlieren.

Innen- und Bauminister Seehofer begrüßt das Urteil

Das Urteil der Verfassungshüter löste erwartungsgemäß heftige Reaktionen aus. Innen- und Bauminister Horst Seehofer (CSU), Politiker von Union und FDP sowie die Immobilienwirtschaft begrüßten den Richterspruch. SPD, Grüne, Linke und der Mieterbund übten massive Kritik. „Der Mietendeckel ist jetzt Geschichte“, sagte Seehofer.

„Das ist gut, denn auch baupolitisch war er der völlig falsche Weg. Er hat für Unsicherheit auf den Wohnungsmärkten gesorgt, Investitionen ausgebremst und keine einzige neue Wohnung geschaffen.“

Ein Mietendeckel schießt über die Sozialbindung des Eigentums weit hinaus.
Marc Wurster, Vorsitzender „Haus&Grund“ Karlsruhe

Marc Wurster, Vorsitzender des Eigentümerverbands „Haus & Grund“ Karlsruhe, sprach gegenüber den BNN von einem „wichtigen Signal in der aufgeheizten Debatte“.

Die Einwände, die der Verband gegen die Berliner Regelung hatte, seien bestätigt worden, auch wenn das Gericht diese nur aus formalen Gründen kippte. „Ein Mietendeckel schießt über die Sozialbindung des Eigentums weit hinaus.“

Eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt werde es nur mit einer deutlichen Ausweitung der Bautätigkeit geben. „Jede weitere Regulierung führt vielmehr dazu, dass private Eigentümer sich immer mehr fragen, ob Vermieten sich überhaupt noch lohnt“, so Wurster.

Wohnen ist ein Menschenrecht und darf nicht dem Markt überlassen werden.
Sahra Mirow, Linke-Chefin Baden-Württemberg

Der Deutsche Mieterbund forderte den Bund auf, die Initiative zu ergreifen. Die Entscheidung sei bitter, „aber sie ist auch ein lauter Weckruf an den Bundesgesetzgeber, endlich zu handeln und die Mietenexplosion in vielen deutschen Städten zu stoppen“, sagte der Präsident des Verbandes, Lukas Siebenkotten.

Ähnlich argumentierte auch die baden-württembergische Landesvorsitzende der Linken, Sahra Mirow. Nun sei der Bund gefragt. „Mit der Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel gehen wir in den Bundestagswahlkampf“, kündigte sie an.

Die Idee des Mietendeckels bleibe richtig. „Wohnen ist ein Menschenrecht und darf nicht dem Markt überlassen werden.“

Und auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert forderte eine bundesweite Deckelung: „Einzelne Bundesländer können keinen Mietenstopp beschließen, der Bund kann das sehr wohl.“

Die SPD werde sich für einen Mietenstopp in allen angespannten Wohnlagen stark machen.

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