Der Fall hatte schwerste Unruhen zur Folge und machte die Bewegung „Black Lives Matter“ auch in Europa populär. Die Tötung des schwarzen US-Bürgers George Floyd im Mai vor zwei Jahren durch einen weißen Polizisten, der ihm Minuten lang auf seinem Hals kniete und die Atemluft abdrückte.
Demonstranten auf der ganzen Welt rufen seither „I can’t breathe“, wenn es gegen „Polizeigewalt“ geht. Auch in Baden-Württemberg, obwohl allen Experten zufolge die Verhältnisse völlig andere sind. Allerdings sorgten zuletzt mehrere Fälle für Aufregung. Vor allem ein Todesfall in Mannheim, der in den Augen mancher Parallelen zu Georg Floyd aufweist.
Ein 47-jähriger Mann mit Migrationshintergrund kollabierte Anfang Mai während eines Polizeieinsatzes in der Mannheimer Innenstadt. Videos sollen zeigen, wie der am Boden liegende Patient des Mannheimer Zentrums für Seelische Gesundheit von einem Polizisten mehrfach auf den Kopf geschlagen wird. Der Mann stirbt kurz nach dem Einsatz im Krankenhaus.
Gegen suspendierte Mannheimer Polizisten wird ermittelt
Welche Verantwortung die beteiligten Polizisten daran womöglich tragen, das haben die Staatsanwaltschaft Mannheim sowie das Landeskriminalamt (LKA) zu klären. Die Polizei Mannheim ist nicht beteiligt. „Das ist üblich bei solchen Fällen, um auch nur den Anschein einer Beeinflussung zu vermeiden“, sagt LKA-Sprecher David Fritsch. Die beteiligten Polizisten sind seinen Angaben zufolge vom Dienst suspendiert. Gegen sie läuft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge.
Die Todesursache des wohl psychisch kranken Mannes ist noch unbekannt. Klarheit soll eine Untersuchung der Gerichtsmedizin bringen. Doch solche Analysen können dauern. Auch die Ermittlungen zum Tathergang sind umfangreich. Wie Fritsch sagt, werden alle verfügbaren Videosequenzen in den korrekten zeitlichen Zusammenhang gebracht und dann ausgewertet, zudem müssten rund 60 Zeugen befragt werden.
Derweil kochen die Emotionen hoch. Das äußert sich nicht nur in Demonstrationen – wie jener mit 900 Menschen in der Mannheimer Innenstadt, bei der es auf Bannern unter anderem hieß: „Trauer-Wut-Widerstand. Wer schützt uns vor der Polizei?“
In Online-Netzwerken ist die Stimmung explosiv
Auch in Online-Netzwerken ist die Stimmung explosiv. Bis Mitte dieser Woche registrierte die Polizei mehr als 11.500 Kommentare zu dem Fall. Davon sind nach LKA-Angaben manche womöglich strafrechtlich relevant und sollen zur Anzeige gebracht werden. Der Grund: Hass, Hetze und Beleidigungen gegen Beamte. Die Vielzahl der Kommentare erklärt der Kommunikationswissenschaftler Stefan Jarolimek von der Deutschen Hochschule für Polizei in Münster gegenüber „dpa“ mit der Präsenz der Polizei: „Der Polizist ist in seiner Uniform sichtbarer und greifbarer als ein Politiker.“
Bei der Polizei weist man zudem darauf hin, dass nicht alles, was nach „Polizeigewalt“ aussieht, auch tatsächlich illegitim sei. Die Anwendung von Gewalt ist schließlich ein Privileg der Polizei, welches das Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen in einem verhältnismäßigen Ausmaß erlaubt.
Im Fall der Faustschläge aus den Mannheimer Internet-Videos, so sie authentisch sind, könnten sich die Beamten auf den „unmittelbaren Zwang“ berufen. Nach dem Polizei-Gesetz von Baden-Württemberg darf unmittelbarer Zwang angewendet werden, „wenn der polizeiliche Zweck auf andere Weise nicht erreichbar erscheint“.
Geklärt ist inzwischen der Tod eines 31-Jährigen, wenige Tage später und ebenfalls in Mannheim. Ein Polizist hatte dem mit einem Messer bewaffneten Mann ins Bein geschossen. Laut dem Obduktionsergebnis der Rechtsmedizin Heidelberg starb der Mann aber am Blutverlust durch Stichverletzungen, die er sich zuvor selbst zugefügt hatte.
Wir wissen, dass Zwangshandlungen nicht schön aussehen.Sabine Maag, Pforzheimer Polizeisprecherin
Immer noch ungeklärt ist ein Einsatz gegen einen Betrunkenen im vergangenen Oktober in Pforzheim. Es war ebenfalls ein Internet-Video, das damals für Empörung sorgte. Auch hier sieht man unter anderem einen Polizisten, der den fixierten Mann mit der Faust auf den Kopf schlägt. Laut Henrik Blaßies, Sprecher der Staatsanwaltschaft Pforzheim, steht ein Ermittlungsverfahren gegen vier Polizisten wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt vor dem Abschluss.
Kriminalstatistik hilft bei Polizeigewalt nicht weiter
Grundsätzlich ärgert man sich bei der Polizei über Vorverurteilungen anhand von Momentaufnahmen. Die Pforzheimer Präsidiumssprecherin Sabine Maag sagt: „Wir wissen um den Umstand, dass Zwangshandlungen oftmals nicht schön aussehen und auf Unbeteiligte auch einschüchternd wirken können, obwohl sie in der Regel professionell durchgeführt wurden.“
Handelt es sich um im Netz aufgebauschte Einzelfälle – oder hat die Polizei im Land ein grundsätzliches Gewaltproblem? Wie oft bei Polizeieinsätzen Grenzen überschritten werden, lässt sich objektiv schwer nachvollziehen. Wie Recherchen ergeben, wird unzulässige Polizeigewalt im Land gar nicht eigenständig erfasst, was mit Vorgaben zum Datenschutz begründet wird.
LKA-Sprecher Fritsch bestätigt: „In der polizeilichen Kriminalstatistik wird nur allgemein die Körperverletzung im Amt abgebildet.“ Dabei sei zu beachten, dass die Statistik nicht nur Polizisten, sondern auch alle anderen Beamten im Land erfasst. Demnach zählt eine Lehrerin, der die Hand ausrutscht, genauso in die Aufstellung wie eine Gerichtsvollzieherin oder ein Gemeindevollzugsbeamter.
Eine Zunahme lässt sich daraus nicht herauslesen, eher das Gegenteil. Waren 2017 in Baden-Württemberg noch 36 Tatverdächtige bei der Körperverletzung im Amt erfasst worden, waren es 2020 noch 32 und im vergangenen Jahr noch 28 Tatverdächtige.