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Rechtsextremismus im Südwesten

Verfassungsschutz: So sieht die rechtsextreme Szene in Baden-Württemberg aus

Der mutmaßliche Rechtsterrorist Stephan B. gilt als Eigenbrötler. Er soll in Halle zwei Menschen erschossen und eine Synagoge angegriffen haben. Der Verfassungsschutz beobachtet im Südwesten vermehrt Einzelgänger im Bereicht des Rechtsextremismus.

Rechtsextremismus
Rechtsextreme sind längst nicht mehr nur durch ihre Kleidung oder ihrer Angehörigkeit zu Gruppen erkennbar. Zunehmend treten sie auch als Einzelpersonen auf. Foto: Patrick Pleul/Archiv
Der mutmaßliche Rechtsterrorist Stephan B. gilt als Eigenbrötler. Er soll in Halle zwei Menschen erschossen und eine Synagoge angegriffen haben. Der Verfassungsschutz beobachtet im Südwesten vermehrt Einzelgänger im Bereich des Rechtsextremismus.

Schwer bewaffnet standen die Polizisten am Mittwochnachmittag plötzlich in der Synagoge in Baden-Baden. Rund 60 Gläubige hatten sich am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur hier versammelt, um zu beten. Von dem Vorfall im sächsischen Halle an der Saale , wo ein Rechtsextremer vor der Synagoge zwei Menschen erschossen haben soll, hatten sie nichts gehört. Erst jetzt wurden sie gewarnt – die Polizeibeamten blieben bis zum Ende des Gottesdienstes.

„An den Waffen habe ich gemerkt, dass das kein normaler Polizeieinsatz ist“, sagt Rabbiner Daniel Naftoli Surovtsev. Polizeischutz an der Synagoge sei nicht unüblich, vor allem an hohen Feiertagen. Allerdings tauchten die Beamten nicht mit solcher Ausrüstung auf.

Antisemitische Vorfälle in Baden-Württemberg

Surovtsev fühlt sich in seiner Heimatgemeinde Baden-Baden eigentlich sicher, sagt er – auch wenn er mit der typisch jüdischen Kopfbedeckung, der Kippa, unterwegs ist: „Ich fahre damit im Bus oder im Zug – bisher habe ich noch nie erlebt, dass mich jemand deswegen angefeindet hat.“

An anderen Orten in Baden-Württemberg ist es vor gar nicht allzu langer Zeit zu antisemitischen Vorfällen gekommen. In Pforzheim fuhr zum Beispiel im Mai ein Lautsprecherwagen vor die Synagoge und ließ Slogans einer verurteilten Holocaust-Leugnerin ertönen. In Offenburg stürmte ein Mann im Juni eine Veranstaltung der jüdischen Gemeinde und schimpfte, dass zu wenige Juden vergast worden seien.

Das Landesinnenministerium hat Gebetshäuser wie Synagogen, aber auch Moscheen als potenzielle Angriffsziele im Blick, erklärt Ministeriumssprecher Renato Gigliotti. Sie würden regelmäßig durch Streifenpolizisten überwacht. An religiösen Feiertagen, an denen traditionell viele Besucher in die Gebetshäuser kommen, würden die Sicherheitsvorkehrungen durch Polizeipräsenz vielerorts noch verstärkt.

Sicherung durch bauliche Maßnahmen

Dies geschehe in Absprache mit den Religionsgemeinschaften. „In jedem Polizeipräsidium gibt es einen Ansprechpartner für die jüdischen Gemeinden“, sagt Gigliotti. Gesichert würden die Synagogen aber nicht nur durch Polizeipersonal, sondern auch durch bauliche Maßnahmen.

Was potenzielle Angreifer aus der rechten Szene betrifft, zeigt sich in Baden-Württemberg ein Trend weg von Gruppen und hin zu losen Strukturen und Einzelgängern wie dem mutmaßlichen Attentäter von Halle. Das hält der Verfassungsschutz in seinem Bericht fest. Demnach waren 2018 etwa 410 nicht parteigebundene Neonazis erfasst, in den beiden Vorjahren waren

es 360.

Nicht alle Rechtsextremen sind Nazis

„Damit stellen sie über ein Fünftel des rechtextremistischen Potenzials“, schreibt der Verfassungsschutz. „2002 hatte dieser Anteil noch deutlich unter zehn Prozent gelegen.“

Für 2018 wurden 790 Personen dem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial zugerechnet, 40 mehr als im Jahr zuvor. „Das Feld ist durchaus heterogen“, sagt ein Verfassungsschutzsprecher. Das erschwert die Gefahreneinschätzung. „Da müssen insbesondere auch ideologische Bezüge oder biografische Hintergründe berücksichtigt werden“, so der Sprecher. Auch betont die Behörde: „Nicht alle Rechtsextremisten sind Verfechter nationalsozialistischer Ideen.“

Zahl der Gewalttaten steigt an

Für alle ist die Musik bedeutend, wie der Sprecher erklärt: „Musik ist das wichtigste Propagandamedium der rechtsextremistischen Szene: Sie wirkt identitätsstiftend und überträgt rechtsextremistische Inhalte.“ Vor allem für Einzelgänger oder -täter könnten sich durch rechtsextremistische Musik in die Szene eingebunden fühlen. Im vergangenen Jahr sind fünf rechtsextremistische Konzerte festgehalten mit durchschnittlich 150 Besuchern (2017: 120).

Dass Radikalisierung auch zu Gewalttaten führen kann, ist durch einige Beispiele belegt. Für den baden-württembergischen Antisemitismusbeauftragten Michael Blume kommt der Anschlag in Halle nicht überraschend. „Leider muss man sagen: Die Befürchtungen haben sich genau bestätigt“, sagte Blume. Er habe einen möglichen Anschlag mit Manifest und Video-Übertragung nach dem Vorbild früherer Anschläge schon im Antisemitismusbericht beschrieben.

Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten stieg in Baden-Württemberg laut Verfassungsschutz im Jahr 2018 auf 48 an, im Jahr 2017 lag die Zahl bei 39.

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