
Tiefe Löcher hat das Coronavirus in die Kassen der sozialen Sicherungssysteme gerissen. Unterm Strich häuften sie im vergangenen Jahr erhebliche Defizite an.
Bei der Pflegeversicherung belief sich das Minus am Jahresende auf 1,35 Milliarden Euro, bei der gesetzlichen Krankenversicherung auf 6,7 Milliarden und bei der Arbeitslosenversicherung wegen der hohen Anzahl an Kurzarbeitern gar auf 22 Milliarden.
Nur dank der Überschüsse, die die Kassen in den Boomjahre zuvor angehäuft hatten, konnten Erhöhungen der Beitragssätze verhindert werden. Doch damit ist es nun vorbei. Als erstes steigt der Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung im kommenden Jahr um 0,3 Punkte, weitere Beitragserhöhungen dürften kommen.
2,1 Milliarden Euro Überschuss
Im Gegensatz dazu erweist sich die Rentenversicherung als erstaunlich immun gegen das Virus. Als einzige trotzte sie dem Trend.
Entgegen den ursprünglichen Prognosen gab es 2021 keinen Fehlbetrag, sondern einen Überschuss von 2,1 Milliarden Euro. Einnahmen von 356,8 Milliarden Euro standen Ausgaben von 354,7 Milliarden gegenüber, wie Anja Piel, Vorsitzende des Bundesvorstands der Deutschen Rentenversicherung Bund, am Mittwoch in Würzburg sagte.
Rücklage reicht für sieben Wochen
Der Gewinn fließe vollständig in die Rücklage, die somit auf 41,7 Milliarden Euro steige. Dies sei zwar eine „gewaltige Zahl mit elf Stellen vor dem Komma“, gleichwohl reiche die Summe gerade für 1,66 Monate oder sieben Wochen aus. Insofern sei die Rücklage dringend notwendig, „um unterjährige und konjunkturelle Schwankungen der Einnahmen und Ausgaben auszugleichen“.
Die Maßnahmen zur Stabilisierung der Rente funktionieren.Anja Piel, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Rentenversicherung
Die gute Finanzlage führte Piel, die als stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) die Arbeitnehmer in der Selbstverwaltung vertritt, auf die Rekordzahl an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sowie die deutlichen Zuwächse bei den Löhnen und Gehältern in den zurückliegenden Jahren zurück.
Zudem habe das Instrument der Kurzarbeit dafür gesorgt, dass über die Bundesagentur für Arbeit unverändert Beiträge zur Rentenversicherung geflossen seien. „Das zeigt, dass die Maßnahmen zur Stabilisierung der Rente funktionieren.“
Nicht zuletzt hat nach den Worten von Alexander Gunkel, als Vertreter der Arbeitgeber Co-Vorsitzender der Selbstverwaltung, auch das Coronavirus seine Spuren hinterlassen, sei doch wegen der gestiegenen Sterblichkeit während der Pandemie die Lebenserwartung weniger stark gestiegen als prognostiziert.
Hohe Inflation bereitet Sorge
Dank der unverändert hohen Zahl an Beschäftigten geht die Rentenversicherung nach den Worten Piels davon aus, dass in diesem Jahr die Pflichtbeiträge aus der Erwerbstätigkeit um 12,6 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr steigen werden. Das wäre ein Plus von 5,4 Prozent. Davon profitieren die rund 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland.
Ihre Altersbezüge erhöhten sich in diesem Jahr um 5,35 Prozent im Westen und um 6,12 Prozent im Osten, im kommenden Jahr sollen sie nach ersten Prognosen noch einmal um 3,5 im Westen und 4,2 Prozent im Osten steigen. Piel machte allerdings keinen Hehl daraus, dass ihr die hohe Inflation von derzeit über zehn Prozent Sorge bereite. „Sie beeinträchtigt den Lebensstandard vieler Menschen.“
Beitragssatz und Rentenniveau bleiben bis 2026 stabil
Da nach den Prognosen der Bundesregierung trotz der hohen Inflation und den stark gestiegenen Energiepreisen die Zahl der Arbeitnehmer im kommenden Jahr um weitere 0,4 Prozent steigt, erwartet Piel zumindest bis 2026 stabile Verhältnisse bei der Rente.
Der Beitragssatz kann unverändert bei 18,6 Prozent bleiben, das Rentenniveau sinkt voraussichtlich leicht von derzeit 48,1 auf 47,8 Prozent, die Rücklage geht auf 0.48 Monatsausgaben zurück.
Alle Ressourcen am Arbeitsmarkt heben
Dagegen wollte die Vorstandsvorsitzende der Rentenversicherung keine Prognose darüber abgeben, wie sich Beitragssatz, Rentenniveau und Rücklage nach 2026 entwickeln werden.
Zum einen sei noch nicht absehbar, wie sich die Pläne der Ampelkoalition auf die Finanzlage auswirken werden, zum anderen habe das Statistische Bundesamt noch nicht die Prognosen der demografischen Entwicklung aktualisiert.
Entscheidend für sichere Renten sei ein stabiler Arbeitsmarkt, so Piel. Es gelte, alle „Ressourcen am Arbeitsmarkt“ zu heben, um der demografischen Entwicklung entgegenzuwirken. Dazu gehöre die Umwandlung von Teilzeit- in Vollzeitjobs ebenso dazu wie die Integration von Zuwanderern in den Arbeitsmarkt.
Der Wegfall von Bürokratie ist zu begrüßen.Alexander Gunkel, Co-Vorsitzender der Rentenversicherung
Ausdrücklich begrüßte Alexander Gunkel, als Vertreter der Arbeitgeber alternierender Vorsitzender des Bundesvorstands der Deutschen Rentenversicherung Bund, die von der Ampelkoalition beschlossene Abschaffung der Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenem Ruhestand. Zwar gab es 2019 gerade einmal 10.000 Fälle, dennoch habe die jährlich durchzuführende Abrechnung viele Ressourcen gebunden.
„Aus Sicht der gesetzlichen Rentenversicherung ist der damit verbundene Wegfall von Bürokratie zu begrüßen.“ Offen sei allerdings, wie viele Frührentner von der neuen Regelung Gebrauch machen und wie sich dies auf die Ausgaben der Rentenversicherung auswirken werde. Das soll bis 2027 ermittelt werden.
Fließen mehr als 10 Milliarden Euro in den Fonds?
Zurückhaltend äußerte sich Gunkel zur geplanten Aktienrente. So plant die Ampelkoalition den Aufbau eines unabhängigen Fonds, dessen Netto-Erträge ab Mitte des kommenden Jahrzehnts zur Stabilisierung des Beitragssatzes verwendet werden.
Als Kapitalstock will Finanzminister Christian Lindner (FDP) im kommenden Jahr zehn Milliarden Euro aus Steuermitteln zur Verfügung stellen, zudem sollen auch Sachanlagen wie Staatsbeteiligungen in den Fonds übertragen werden.
„Ob der Aufbau des Kapitalstocks die künftige Beitragssatzentwicklung nennenswert dämpfen kann, wird insbesondere von seiner Höhe abhängen“, sagte Gunkel. So gebe es keine Vereinbarung, ob der Bund weitere Mittel zur Verfügung stelle. Bleibe es bei den einmaligen zehn Milliarden, seien die Netto-Erträge für die Rentenversicherung „kaum spürbar“.