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Justiz in der EU

Risse in der Substanz: Podiumsrunde diskutiert in Karlsruhe Rechtsstaatlichkeit in Europa

Als demokratische Problemfälle beschäftigen Polen und Ungarn seit einiger Zeit die EU-Kommission. Wie kann man die Justiz in beiden Staaten vor Angriffen der Populisten schützen? Diese Frage beschäftigte eine hochkarätig besetzte Expertenrunde im ZKM.

Sorge um demokratische Fundamente Europas: EU-Kommissarin Vera Jourová will in einer Studie die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten vergleichbar machen.
Sorge um demokratische Fundamente Europas: EU-Kommissarin Vera Jourová will in einer Studie die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten vergleichbar machen. Foto: Rake Hora

In der Corona-Krise stehen nicht nur die Gesundheit und der Wohlstand der Europäer auf dem Spiel. Die Union der 27 Staaten muss heute um den Zusammenhalt als Wertegemeinschaft kämpfen, während der Isolationismus wächst und die Populisten Misstrauen gegen europäische Institutionen schüren.

Viele Probleme in der EU gehen auf unterschiedliche Auffassungen von der Souveränität und Rechtsstaatlichkeit zurück. Wie sich diese Konflikte lösen lassen und wie man Rechtsstaatlichkeit überhaupt messen kann, machte das Land Baden-Württemberg auf einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion in Karlsruhe zum Thema. An ihrem Ende stand fest, dass die EU die Schwächung der Justiz in einigen Mitgliedsstaaten nicht hinnehmen kann.

EU-Kommissarin beklagt „Erosion der Grundfesten”

Es war naheliegend, dass das Landesjustizministerium das Treffen zum Auftakt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der Stadt abhalten ließ, die den Titel „Residenz des Rechts” trägt. Eher ungewöhnlich war die Corona-bedingte Form der „hybriden Veranstaltung” im Zentrum für Kultur und Medien (ZKM): Die meisten Zuschauer waren wegen der Zugangsbeschränkungen physisch nicht anwesend und schalteten sich im Internet dazu.

Dennoch freute sich die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Vera Jourová, im Saal einige „reale Menschen” zu sehen. Die 55-jährige Tschechin hat nach eigenen Worten einen „riskanten und unpopulären” Job: Sie versucht, die „Erosion der Grundfesten” vor allem in Osten Europas aufzuhalten.

Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsstaaten ist auch eine europäische Angelegenheit
EU-Kommissarin Vera Jourová

Als demokratische Problemfälle beschäftigen Polen und Ungarn seit einiger Zeit die EU-Kommission. Gegen beide Länder laufen Artikel-7-Verfahren wegen Verletzung der EU-Grundwerte. Im Mittelpunkt der Kritik stehen Angriffe auf unabhängige Medien und politische Einflussnahme auf Richter.

Beide Regierungen weisen die Kritik zurück und berufen sich auf ihre Souveränität. „Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsstaaten ist auch eine europäische Angelegenheit. Wir haben eine starke Rechtsgrundlage: Die richterliche Unabhängigkeit wird vom Europarecht garantiert”, stellte Jourová klar.

Erster Bericht zur Rechtsstaatlichkeit in der EU im Herbst erwartet

Die Kommissarin will im Herbst im ersten Bericht zur Rechtsstaatlichkeit in der EU einen „transparenten und vertrauenswürdigen” Vergleich der Systeme in den Mitgliedsstaaten ziehen. Sie will ferner die Zahlungen an Länder aus dem EU-Haushalt mit der Erfüllung der rechtsstaatlichen Prinzipien verknüpfen.

Landesjustizminister Guido Wolff trägt diese Idee mit. Es gebe ohne Rechtsstaatlichkeit keine EU-Mitgliedschaft, sagte er. Angesichts der „Risse, die an die Substanz der EU gehen”, sei Baden-Württemberg wegen der guten Vernetzung und seiner Lage mitten in Europa darauf angewiesen, dass die Justiz in den Nachbarstaaten gut funktioniere, sagte der CDU-Politiker.

Der Richter der Bundesverfassungsgerichts, Peter Müller, findet die Aufklärung der Bürger wichtig, um die Resilienz gegen den Populismus zu stärken. Er nannte als Beispiel Ungarns Regierungschef Victor Orban, der die Demokratie aus den „Fesseln der Rechtsstaatlichkeit” befreien wolle: „Wir müssen das Bewusstsein dafür wecken, dass es dies nur im Doppelpack gibt”.

Es gehe darum, überall in Europa das Vertrauen in die Justiz zu stärken, sagte die frühere Vizepräsidentin des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) Angelika Nussberger. Sie hält den Aufbau des Forum Recht in Karlsruhe für eine gute Idee: „Es wird den Rechtsstaat erlebbar machen“.

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