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Duell um die Kanzlerkandidatur

Grünen-Chef Robert Habeck: Der Philosoph

Im Eiltempo hat Robert Habeck bei den Grünen Karriere gemacht. In der Öffentlichkeit inszeniert er sich gerne als intellektueller Außenseiter, der seine Partei antreiben will.

Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, gibt eine Pressekonferenz nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. +++ dpa-Bildfunk +++
Nachdenklicher Vordenker: Der promovierte Philosoph und Schriftsteller Robert Habeck, der seit drei Jahren an der Spitze der Grünen steht, gibt sich gerne als intellektueller Außenseiter des Politikbetriebs. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Es gibt ein Leben vor der Politik. Sogar ein überaus erfolgreiches. Keiner weiß dies besser als Robert Habeck.

Zusammen mit seiner Frau, der Schriftstellerin Andrea Paluch, hat der 51-Jährige Doktor der Philosophie, der an der Universität Hamburg mit einer Arbeit über „literarische Ästhezität“ promoviert hat, zahlreiche Kinderbücher und Romane geschrieben, zudem übersetzten beide englische Lyrik ins Deutsche. 2008 wurde ein Roman der beiden gar verfilmt.

Und im Dezember 2008 erlebte ihr erstes gemeinsames Theaterstück mit dem Titel „Neunzehnachtzehn“ über den Aufstand der Kieler Matrosen im Jahr 1918 im Theater der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt seine Uraufführung.

Ein Radweg führt Robert Habeck zu den Grünen

Robert Habeck könnte ein erfolgreicher Schriftsteller sein. Doch 2002 bekommt sein Leben eine entscheidende Wende.

Als politisch Spätberufener tritt er den Grünen bei, weil er findet, dass sein Dorf einen Radweg braucht – und macht sofort Karriere. Wofür andere Jahre oder gar Jahrzehnte brauchen, geht es bei Habeck im Eiltempo, scheinbar mühelos und unaufhaltsam steigt er nach oben.

Noch 2002 wird er Kreisvorsitzender in Schleswig-Flensburg, zwei Jahre später gar Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein. 2009 kandidiert er als Spitzenkandidat für den Landtag und wird als Parlamentsneuling sofort Fraktionschef.

Und als SPD und Grüne nach der vorgezogenen Landtagswahl 2012 die Macht im nördlichsten Bundesland übernehmen, zieht er als stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume ins Kabinett ein.

2017 liefert er schließlich sein politisches Meisterstück ab. Nach der Niederlage der rot-grünen Landesregierung schmiedet der Grüne mit CDU-Landeschef Daniel Günther und FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki die erste Jamaika-Koalition in Deutschland.

Er bleibt Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung. Doch Schleswig-Holstein ist ihm längst zu klein geworden, Habeck strebt nach Höherem.

Schon 2015 erklärt er, bei der Bundestagswahl 2017 als Spitzenkandidat antreten zu wollen, bei der Urwahl unterliegt er als krasser Außenseiter nur knapp dem damaligen Parteichef Cem Özdemir, zum Sieg fehlen ihm gerade einmal 76 Stimmen. Schon da ist er die Verheißung für eine bessere Zukunft, er gilt als Hoffungsträger einer zerstrittenen Partei.

2018 schließlich ist der Weg an die Parteispitze endlich frei, auf einem Parteitag in Hannover wird er zusammen mit Annalena Baerbock zum neuen Parteichef gewählt.

Einen Redenschreiber braucht Habeck nicht

Obwohl Habeck längst ein Berufspolitiker ist, inszeniert er sich gerne als Außenseiter, als Intellektueller und Philosoph, der von außen auf den Politikbetrieb und seine Rituale blickt, mit ihnen nichts zu tun haben will und ihn in Frage stellt.

Vor allem aber als einer, der das große Ganze im Blick hat, lieber Fragen stellt als Antworten zu liefern und anders ist als alle anderen Politiker, der auch mit seinem Nichtwissen kokettiert und dem sogar grobe Fehler nichts anhaben können.

Selbst seine Gegner und Kritiker rühmen seine Fähigkeit, direkt auf die Menschen zuzugehen, ihnen zuzuhören und das Gefühl zu geben, dass er ihr Anliegen ernst nimmt. Einen Redenschreiber braucht er nicht, das verleiht seinen Auftritten besondere Authentizität, birgt aber auch ein gewisses Risiko im aufgeheizten Berliner Politikbetrieb in sich, wo jedes Wort sofort auf die Goldwaage gelegt wird.

Eine Art Regierungserklärung auf 370 Seiten

Habeck sieht sich gerne als Antreiber, der der Politik wie der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Gerade hat er wieder ein Buch geschrieben, der Titel ist programmatisch: „Von hier an anders“, eine Art Regierungserklärung auf 370 Seiten.

Die Grünen ermutigt er, sich ihren Kritikern zu stellen, den Streit auszuhalten sowie auch unbequeme Entscheidungen zu treffen.

Der „Muschelfrieden von Tönning“

Bis heute erzählt er gerne, wie er als junger Landwirtschaftsminister auf dem Bauerntag von den Landwirten mit Buhrufen empfangen und am Ende bejubelt wurde. Seine Strategie: Alle mitnehmen. Wie das geht, beweist er 2015 mit dem „Muschelfrieden von Tönning“, mit dem er den jahrzehntelangen Streit zwischen Muschelfischern und Naturschützern im Nationalpark Wattenmeer beilegte.

Am Ende müssen beide Seiten etwas nachgeben, ohne ihr Gesicht zu verlieren. CDU-Ministerpräsident Daniel Günther lobt seinen früheren Minister noch heute für sein Verhandlungsgeschick: „Robert macht gerne Kompromisse, auch solche, die seinen eigenen Leuten wehtun.“

Und sein einstiger FDP-Widerpart Wolfgang Kubicki, mit dem er sich bestens versteht, sagt: „Mein Furchenphilosoph neigt zwar zu großen Worten. Aber er ist ein Pragmatiker durch und durch.“

Ich hatte ein Leben vor der Politik, und ich weiß darum, dass es auch ein Leben nach der Politik geben kann.
Robert Habeck, Vorsitzender der Grünen

Seine Kumpelhaftigkeit und Nettigkeit im Umgang mit anderen überdeckt allerdings auch, dass er knallhart eigene Interessen verfolgt. Stur und dickköpfig könne er sein, sagen Leute, die ihn näher kennen. Wenn er etwas will, dann will er es ganz – oder gar nicht.

So war es schon in Schleswig-Holstein. Ist er wirklich bereit, seiner Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock den Vortritt zu überlassen und sich mit einer nachrangigen Position zu begnügen? Habeck selber kokettiert mit seiner Unabhängigkeit.

„Ich hatte ein Leben vor der Politik, und ich weiß darum, dass es auch ein Leben nach der Politik geben kann. Das gibt mir eine innere Freiheit.“ Martin Ferber

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