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Wie ein eingestürztes Kartenhaus

Scheitern und Tod am Hindukusch: Ex-Offizier verarbeitet seine Afghanistan-Erfahrung in einem Roman

Wolf Gregis ging einst als junger Bundeswehroffizier nach Afghanistan, um den Krisenherd zu stabilisieren – und erlebte dort das Scheitern seiner Träume und Ideale. Nun hat der 40-Jährige seine Erfahrungen in einem bewegenden Roman verarbeitet.

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Der frühere Bundeswehroffizier Wolf Gregis hat jetzt einen Roman veröffentlicht, der vom Alltag der Soldaten im Krieg und dem politischen Fiasko des Westens am Hindukusch erzählt. Foto: Wolf Gregis

Afghanistan ist Eisen und Sand. Der Geruch der kalten Bahngleise lässt ihn an gefechtsbereite Panzer im Morgengrauen denken. Wenn andere von idyllischen Ostsee-Stränden schwärmen, denkt er an die Wüste südlich des Hindukusch und den dort lauernden Tod. Afghanistan hat Wolf Gregis nicht losgelassen, auch nach zwölf Jahren nicht. Aber er hat sich jetzt davon ein Stück weit befreit.

„Sandseele“ war eine Punktlandung. Geschrieben in der Annahme, dass der lange Einsatz der Nato-Mächte 2021 mit einem Debakel enden würde. Kurz nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul lag sein Buch in den Läden.

Seitdem bekommt Gregis viel Post von Kriegsveteranen, die sich im Buch wiedererkennen, und von ihren dankbaren Ehefrauen. „Wir haben daheim kaum darüber geredet“, steht in manchen Briefen. „Endlich verstehe ich, was mein Mann erlebt hat und wie ich damit umgehen kann.“

Tristesse, Elend, Verrat und Tod

Es ist der erste deutsche Roman, der die Kriegsjahre aus der Insider-Sicht eines Bundeswehrangehörigen beschreibt. Der ehemalige Offizier Martin Küfer wird durch einen Bericht über einen Anschlag in Afghanistan in die Zeit seines lange zurückliegenden Einsatzes zurückgeworfen.

Verdrängte Erinnerungen werden wach: Das eintönige Leben im Lager, das Elend draußen. Das fatale Zusammenspiel von Eitelkeit und Naivität in den Stäben. Enttäuschte Hoffnungen, Verrat. Der Tod. Während der Familienvater dies erneut durchlebt, breitet sich eine stumpfe, lähmende Ohnmacht in Küfer aus.

Gregis weiß genau, wie sich das anfühlt. Die Nachrichten von dem Siegeszug der Taliban im Sommer hatten ihn aufgewühlt. In Feyzabad, Kundus und anderen „deutschen“ Einsatzgebieten brach die Sicherheit wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Ein Schock für den früheren Offizier, der bis zuletzt gehofft hatte, dass nicht alles umsonst gewesen war. Als Gregis’ elfjährige Tochter am 15. August in der Tagesschau die Bilder aus Kabul sah, brach sie in Tränen aus und fragte ihren Vater, ob er erneut „zum Helfen“ nach Afghanistan gehen würde. Da wurden seine eigenen Augen feucht.

Erst war die Sprachlosigkeit da. Dann kam die Wut hoch, später die Resignation.
Wolf Gregis, Schriftsteller und Ex-Offizier der Bundeswehr

Es sei ihm so gegangen wie allen Kameraden, erzählt Gregis. „Erst war die Sprachlosigkeit da. Dann kam in uns die Wut hoch, später die Resignation. Und schließlich die Frage, wie man damit umgehen soll.“ Er denke jeden Tag an Afghanistan, gesteht der 40-jährige Rostocker, der außerhalb seines Schriftsteller-Lebens anders heißt. In seinem Buch findet sich ein nachdenklicher Satz, der auf den Autor genauso zutrifft wie auf seinen Romanhelden: „Wir haben nicht nur Spuren im Sand hinterlassen, sondern auch der Sand Spuren in uns.“

Irgendwo in diesem Sand verliert sich die abgebrochene militärische Karriere des früheren Panzerfahrers aus Norddeutschland, der mit 19 Jahren erstmals die Uniform anzog und mit 27 den Dienst in einem staubigen Feldlager nahe der Stadt Masar-e-Scharif antrat. „Meine Aufgabe war es, die afghanische Armee zu begleiten“, erzählt Gregis.

Die Idee war, dass die von der Nato ausgebildeten Streitkräfte des Krisenlandes eines Tages selbst für die Sicherheit sorgen sollen. „Eigentlich war allen klar, dass dies kein gutes Ende nehmen wird“, sagt heute der schlanke, bärtige Mann mit der hohen Stirn. „Trotzdem ging ich nach Afghanistan im Glauben, einige Dinge bewegen zu können.“

Eigentlich war allen klar, dass dies kein gutes Ende nehmen wird.
Wolf Gregis, Autor

Eine Illusion, wie er heute weiß. Gregis sieht die Gründe für das Scheitern des Friedensprojekts am Hindukusch auf beiden Seiten. Zum einen sei es falsch gewesen, nach dem Terror von 9/11 die Al Qaida und die Taliban als einen feindlichen Staat zu sehen – denn damit habe man später unrealistische Ziele verfolgt, die nicht erfüllt werden konnten.

Andererseits sei Afghanistan nicht bereit gewesen, den vom Westen vorgezeichneten Weg in Richtung Stabilität zu gehen.

Verlorene Illusionen

„Ich habe dort den Glauben an universelle Menschenrechte und Werte verloren. Man muss einfach akzeptieren, dass es Kulturen gibt, denen unsere Menschenrechtscharta egal ist“, erzählt Gregis.

Die Vorstellung von einem „unterdrückten Volk, das die neue Realität dankend annimmt, sobald wir es befreien“, findet er heute naiv. „Für die Afghanen waren wir nur einer der Spieler im großen Spiel um Macht, Einfluss und Ressourcen.“

In seinem fünfmonatigen Einsatz 2008/2009 hat der junge Verbindungsoffizier zwar nicht gekämpft. Doch er machte traumatische Erfahrungen. Gregis erzählt von einer Tragödie im Camp, als ein afghanischer Soldat einige US-Kameraden tötete, mit denen er zuvor noch ein Essen geteilt hatte. Entsetzlich sei auch der Besuch einer afghanischen Klinik gewesen.

„In den Baracken lagen verbrannte und verstümmelte Menschen“, erinnert er sich. „Sie hatten niemanden und waren völlig am Ende. Dieser Anblick war noch schlimmer als die Toten im Krieg.“ Wie bewältigt man solche Dinge? „Indem man sie von sich wegschiebt. Und dann ist da noch der Alkoholkonsum. Nicht übermäßig, aber regelmäßig.“

Es ist, als kehrte man in einen ruhenden Ursprung zurück.
Wolf Gregis, Autor

Außerdem sei Afghanistan auch schön gewesen. Weiter Himmel, wenige befestigte Straßen, vielerorts keine Spuren von Zivilisation. „Es ist, als kehrte man in einen ruhenden Ursprung zurück“, schwärmt Gregis.

„Ich habe mit dem Gedanken gespielt, die Uniform abzulegen und in afghanischer Zivilkleidung wegzugehen. Würde man trotz all des Elends den inneren Frieden finden?“ Er hat es nie herausgefunden. Seine Freundin wurde schwanger, danach war Schluss mit Afghanistan und dem Militär.

Schwieriger Weg zurück in die Normalität

Im Frühjahr 2009 lag Wolf Gregis in seinem Bett und wunderte sich über singende Vögel und das üppige Grün hinter dem Fenster. Der Sand und Gestank waren weg, alles schien fremd.

Schnelles Autofahren, die Werbung, Musik, Unterhaltung im Fernsehen, volle Regale in den Geschäften. Plötzlich hatte er Zweifel: Braucht man wirklich so viele Sachen, um glücklich zu sein? „Ich kann außerdem das Gejammer wegen Kleinigkeiten nicht mehr ertragen“, sagt Gregis. „Unsere Luxusprobleme sind unwichtig.“

Noch schwieriger als die Gewöhnung an die Normalität des Alltags war es, über den Krieg zu sprechen. Viele sahen Deutschlands Rolle in Afghanistan kritisch, also fühlte sich Gregis dazu gedrängt, den Einsatz zu rechtfertigen, den er selbst nicht beschlossen hatte. Das führte zu Streit, auch im Familien- und Freundeskreis.

„Du kannst es sowieso nicht verstehen“, hörte sich der Veteran häufig sagen. Irgendwann redete er gar nicht mehr von Afghanistan. „Ich war mit meinen Gedanken alleine.“

Ex-Offizier wurde Autor und Lehrer

Das Buch wirkte befreiend, doch der Weg dahin war mühsam. Gregis hatte nach seinem Abschied von der Bundeswehr 2010 Germanistik und Geschichte studiert. Neben seinem Job als Lehrer betreut er eine Literaturzeitschrift mit.

Der Gedanke, einen echten Roman über den Krieg zu schreiben, gab ihm lange keine Ruhe. 2017 gab sich der angehende Schriftsteller einen Ruck und lernte zwei Jahre lang das Handwerk, dann machte er sich an die Arbeit.

Bildung ist die Kernbedingung für die gesellschaftliche Entwicklung.

„Mein Grundgedanke war, dass wir in Afghanistan sehenden Auges in eine Kreissäge gelaufen sind“, sagt heute der Schriftsteller, der an einer Dissertation an der Uni Rostock arbeitet und in Zukunft die Ausbildung von Lehrern verbessern will. Gregis legt großen Wert auf Bildung. „Sie ist die Kernbedingung für die gesellschaftliche Entwicklung“, sagt er.

„Auch bei den Afghanen gibt es den Wunsch nach der Bildung für ihre Kinder. Das zeigt, dass sich in den vergangenen 20 Jahren doch einiges getan hat.“

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