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Brexit-Verhandlungen

Rote Linien der EU und schwindende Hoffnungen im Streit mit London

Die zähen Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU über einen Partnerschaftsvertrag kommen kaum voran. Die Zeit drängt. Die Folgen eines ungeregelten Brexits würden auch das Land Baden-Württemberg schwer treffen.

Verhandlungsführer mit Engelsgeduld: Michel Barnier sieht noch viele Hindernisse auf dem Weg zu einem Partnerschaftsabkommen mit London.
Verhandlungsführer mit Engelsgeduld: Michel Barnier sieht noch viele Hindernisse auf dem Weg zu einem Partnerschaftsabkommen mit London. Foto: Kirsty O'connor picture alliance/dpa

Michel Barnier ist nicht zu beneiden. Woche für Woche, Monat für Monat müht sich der 69-jährige Franzose damit ab, in Gesprächen mit wechselnden Partnern jenseits des Ärmelkanals zwei einfache Wahrheiten zu vermitteln.

Erstens habe die EU bei den Brexit-Scheidungsregeln ein Wörtchen mitzureden. Zweitens könnten die Briten und Rest-Europa nach dem Austritt des Königreichs prima nebeneinander leben, wenn beide Seiten einander fair behandeln. Wie es scheint, ist Barnier noch nicht sehr weit gekommen.

In einer Live-Schaltung aus der Vertretung Baden-Württembergs in Brüssel gab der Chefunterhändler der EU einen offenen Einblick in die problembeladenen Brexit-Gespräche, die sich auf eine Zielgerade hin bewegen. Mit dem letzten Schlag des Big Ben in London in der Silvesternacht wird Großbritannien die Staatengemeinschaft verlassen. Damit das EU-Parlament ein Partnerschaftsabkommen ratifizieren kann, muss es bald fertig verhandelt werden.

„Die Briten sind nicht so begeistert wie wir. Das macht uns Sorgen”
Michel Barnier, EU-Chefunterhändler

Barnier ist skeptisch. Er hält eine Einigung bis Ende Oktober nur möglich, wenn sich beide Seiten für eine Lösung ohne Chaos engagierten: „Doch die Briten sind nicht so begeistert wie wir. Das macht uns Sorgen.”

Es war keine erfreuliche Analyse für Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der die Diskussion mit dem Versprechen einleitete, man werde für die britischen Freunde die Tür nach Europa niemals zuschlagen. Der Landeschef hat besondere Gründe, die EU-Verhandler zu mehr „Überzeugungsarbeit” anzutreiben.

Großbritannien ist wichtiger Handelspartner für Baden-Württemberg

Denn Baden-Württemberg hätte im Fall eines ungeordneten Brexits viel zu verlieren. Jedes dritte Forschungsprojekt im Südwesten hat derzeit britische Partner. Mit einem Handelsvolumen von 13,6 Milliarden Euro lag das Inselkönigreich 2018 auf Platz sechs der wichtigsten Absatzregionen für die Landesexporte. Kretschmann ist dennoch dagegen, den Briten den Abschied extra zu versüßen. „Es kann kein Rosinenpicken geben”, stellt er in der Videoschalte mit Brüssel klar. „Wer am Binnenmarkt teilnehmen will, muss sich an seine Regeln halten.”

Barnier hält eine ungeregelte Scheidung für eine „mögliche Realität, der man sich stellen muss”. Die EU wolle faire Wettbewerbsregeln, gleiche Umweltstandards und eine nachhaltige Lösung in der Fischerei. Man sei bereit, Europas Forschungsprogramm Horizon für britische Wissenschaftler zu öffnen – „zu einem höheren Preis”.

Schließlich strebe Europa eine enge Zusammenarbeit in der Außenpolitik und Justiz an. „Leider sind die Briten von der Sache nicht so begeistert wie wir. Das ist mir unbegreiflich”, bedauert der groß gewachsene Mann mit grauem Haar und randloser Brille.

Regierung in London schweigt zu Vorschlägen der EU

Auf manche Vorschläge habe er keine Antwort bekommen, sagt Barnier. In anderen Punkten wolle die Regierung von Boris Johnson keinen Millimeter von ihren harten Positionen abrücken und ignoriere Europas „rote Linien“. Während die EU Hunderte Zollposten für den künftigen Warenverkehr eingerichtet habe, sei die andere Seite mit dem Aufbau der Infrastruktur nicht soweit.

„Wir sind offen und bleiben bis zum Ende geduldig”, verspricht Barnier und schaut auf die Uhr. Die Zeit verrinnt. Nächste Woche gehen die Verhandlungen in eine neue Runde. Der Londoner „Independent” ist pessimistisch. Er sieht bereits „eine Art Kalten Krieg“ in Europas Norden aufkommen.

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