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Verfassungsschutz warnt

Wie russische Fake News im Internet die deutsche Bevölkerung beeinflussen

Die russischen Fake News über den Ukraine-Krieg beeinflussen die deutsche Bevölkerung. Laut der Sicherheitsbehörden steigt die Gefahr des Extremismus.

Ein Angriffsziel der hybriden Kriegsführung Moskaus: Offenbar gibt es Versuche aus Russland, die deutschen Soldaten des Nato-Gefechtsverbands in Litauen mit Fake News psychisch zu destabilisieren.
Ein Angriffsziel der hybriden Kriegsführung Moskaus: Offenbar gibt es Versuche aus Russland, die deutschen Soldaten des Nato-Gefechtsverbands in Litauen mit Fake News psychisch zu destabilisieren. Foto: Alexander Welscher / dpa

Verschwörungserzählungen ziehen in Deutschland Millionen Menschen in ihren Bann.

Krude Theorien über eine angebliche jüdische Weltverschwörung oder die finstere Staatselite, die die Bevölkerung mit Hilfe von Corona-Impfungen ausrotten wolle, stacheln viele Bürger zum Widerstand auf, werben um Unterstützung für rechtsextremistische Kräfte und fordern den Staat heraus.

Diese Bedrohung ist noch akuter geworden, wie eine aktuelle Untersuchung zeigt.

Russlands Staatsführung will die Menschen in ihrem Sinne beeinflussen

Die Lügen und die Manipulation, sie tragen auch die Handschrift des Machthabers im Kreml. Der Angriffskrieg des Präsidenten Wladimir Putin im Nachbarland hat nicht nur Tod und Verwüstung in die Ukraine gebracht, er vergiftet auch immer mehr das gesellschaftliche Klima in Europa.

Im Internet tobt ein harter Kampf: Russlands Staatsführung will die Menschen in ihrem Sinne beeinflussen, darum füttert sie die Bevölkerung im Westen mit Falschinformationen.

Die gezielte Verbreitung von Fake News hat Moskau seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim geradezu perfektioniert. In Deutschland fällt sie teils auf fruchtbaren Boden.

Fruchtbarer Boden für russische Propaganda

Laut einer Studie des Berliner Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) überzeugen pro-russische Verschwörungserzählungen hierzulande immer mehr Menschen.

Das gemeinnützige Zentrum unter der Leitung der Soziologin und Fake-News-Forscherin Pia Lamberty hat dafür etwa 1.900 Bundesbürger im April und etwa 2.200 im Oktober repräsentativ befragt.

Nach Cemas-Angaben stimmen 40 Prozent der Befragten im Oktober der Aussage ganz oder teilweise zu, dass Putins Krieg eine alternativlose Reaktion auf die „Provokationen der Nato“ sei. Im April dachten „nur“ 29 Prozent der Befragten so.

Über zehn Prozent glauben der russischen Propaganda, dass die Ukraine Biowaffen hergestellt habe, so die Oktober-Umfrage. Fast jeder Vierte teilt offenbar Putins Meinung, dass der Krieg notwendig sei, um die „faschistische Regierung“ der Ukraine zu beseitigen. Im April waren noch 14 Prozent dieser Meinung.

Ein auffälliger Befund des Cemas ist, dass prorussische Verschwörungstheorien in Ostdeutschland deutlich mehr Glauben finden als im Westen.

Das Forschungszentrum verortet ferner die Anhänger solcher Erzählungen in die Nähe der AfD, gefolgt von den Linken-Wählern. Am resilientesten gegen derlei Propaganda sind demnach die Anhänger der Grünen und der FDP.

Im Moskauer Lügen-Arsenal gibt es auch Waffen, die speziell gegen Bundeswehr-Angehörige gerichtet sind. Davon berichtete vor wenigen Tagen der Chef des Cyberkommandos der Truppe, Generalleutnant Michael Vetter, auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Laut Vetter erhalten die bei den Nato-Kräften in Litauen stationierten deutschen Soldaten vermehrt Push-Meldungen auf ihre Handys, die von angeblichen Todesfällen in ihren Familien handeln.

Solche Schock-Nachrichten seien ein Mittel in Russlands „hybrider Kriegsführung“, um den Gegner psychisch zu destabilisieren, warnte der General.

EU kämpft gegen Lügen im Netz

Die EU steht Russlands Informationskrieg im Netz nicht ganz wehrlos gegenüber. Bereits seit 2015 bemüht sich im Rahmen der Kampagne „EU vs Desinformation“ ein Team darum, mit Hilfe von Datenanalysediensten in 15 Sprachen die Lügen aufzuspüren und zu widerlegen.

Zur Zeit herrscht in dem Zentrum Hochbetrieb. In den vergangenen zwölf Monaten hat man dort mehr als 1.200 Falschinformationen in kremlnahen Medien gezählt.

Schon in den Monaten vor Beginn des Kriegs sei der Boden für den Überfall bereitet worden, unterstreichen die Fachleute. So sei die Verwendung des Schlüsselworts „Nazi“ in den einschlägigen Medien in Bezug auf die Ukraine um fast 300 Prozent gestiegen.

Russland behauptet, die ukrainische Führung um den jüdischstämmigen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sei von Nazis unterwandert, die im Osten des Landes einen „Genozid“ an der russischen Minderheit verübten. Dafür gibt es keine Belege.

Die Desinformationskampagnen laufen vor allem in den sozialen Medien. Sie beginnen nach Aussage der EU-Fachleute mit manipulierten Fakten und Fotos.

Solche Falschinformationen würden dann über „Info-Portale“ geteilt, die seriös erscheinen, in Wahrheit aber etwa vom russischen Geheimdienst betrieben würden. Oft werde dann noch eine Scheinöffentlichkeit hergestellt, indem ein Beitrag aktiv geteilt werde.

Es gehe nicht nur darum, die Propaganda zu verbreiten: Ein Ziel sei es auch, so viele verschiedene Sichtweisen auf den Krieg zu liefern, dass die Menschen verwirrt seien und niemandem mehr glauben würden.

Ähnliche Mechanismen greifen bei Verschwörungserzählungen, die sich um Corona oder die angebliche „Islamisierung“ Europas drehen. Nach Ansicht von Experten aus Baden-Württemberg sind sie insgesamt nicht populärer als früher, doch die Gewaltbereitschaft ihrer Anhänger sei spürbar gestiegen.

Sarah Pohl leitet die in Freiburg angesiedelte Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen Baden-Württemberg. „Dass solche Theorien zur gelebten Praxis und einer Handlungsanleitung für manche Menschen werden, ist eine neue Situation“, sagt die Psychotherapeutin.

Es entsteht gerade eine neue Form von Extremismus.
Beate Bube, Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz

Nach Angaben des Innenministeriums in Stuttgart von 2021 hat sich die Zahl der sogenannten „nicht zugeordneten“, politisch motivierten Gewaltdelikte in einem Jahr verfünffacht. Dazu zählen vor allem Straftaten im Zusammenhang mit Verschwörungserzählungen.

„Die Corona-Krise hat viele Menschen für sie geöffnet, seitdem beobachten wir bei Straßenprotesten eine Verknüpfung mit extremistischen Kräften. Es entsteht gerade eine neue Form von Extremismus“, berichtete am Donnerstag die Landesverfassungsschutz-Chefin Beate Bube bei einer Veranstaltung der Stiftung Forum Recht in Karlsruhe.

Bube ist beunruhigt darüber, dass die Verschwörungsanhänger zunehmend die Bundesrepublik einer Diktatur gleichsetzen und in ihren Diskussionen Begrifflichkeiten aus der Zeit des Nationalsozialismus benutzen.

„Die neue Gefahr für die Demokratie besteht darin, dass das Vertrauen in den Staat verschwindet“, warnte die LfV-Präsidentin.

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