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Neue Straßenverkehrsordnung

Scheuers Panne gewährt Schonfrist für Temposünder

Eine Panne im Gesetzgebungsverfahren hat dazu geführt, dass die erst im April eingeführte, neue Straßenverkehrsordnung mit verschärften Strafen für Raser vorerst nicht in Kraft treten kann. Bund und Länder streiten sich um eine Lösung.

Die Bundesländer haben zurzeit keine einheitliche Regelung für die Durchsetzung von Geschwindigkeitskontrollen. In manchen Ländern werden den Rasern vorerst keine Bußgeldbescheide ausgestellt, wenn die Verstöße einen Führerscheinentzug zur Folge haben könnten.
Die Bundesländer haben zurzeit keine einheitliche Regelung für die Durchsetzung von Geschwindigkeitskontrollen. In manchen Ländern werden den Rasern vorerst keine Bußgeldbescheide ausgestellt, wenn die Verstöße einen Führerscheinentzug zur Folge haben könnten. Foto: dpa

Karlsruhe. Viele Autofahrer in Deutschland nehmen es mit der Geschwindigkeitsbegrenzung nicht immer ganz genau. In Umfragen gibt jeder Dritte an, häufig zu schnell unterwegs zu sein. Andererseits hat jeder Vierte Angst vor Rasern oder fährt schneller als ihm lieb ist, wenn hinten einer drängelt. Eine seit April geltende Neuregelung sollte eigentlich die Lust am Drücken aufs Gaspedal zügeln – doch ein formeller Fehler im Gesetzgebungsverfahren hat dazu geführt, dass der Bund die Länder darum bitten musste, den neuen Bußgeldkatalog auszusetzen. Das führte zu Protesten von Landesregierungen und Unsicherheit bei vielen Fahrern. Was gilt nun? Die BNN beantworten die wichtigsten Fragen zur Kontroverse um die Straßenverkehrsordnung (StVO).

Welche Regelung steht im Mittelpunkt des Streits?

Es geht vor allem um den Führerscheinentzug für einen Monat, wenn man innerorts 21 Kilometer pro Stunde zu schnell fährt oder außerorts 26 km/h zu schnell. Die Autofahrer müssen zudem 80 Euro Bußgeld zahlen und bekommen einen Punkt im Flensburger Zentralregister. Zuvor griff diese Strafe erst bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von 31 km/h im Ort und 41 km/h außerhalb. Die neue Regelung stammt nicht aus dem Ressort des Bundesverkehrsministers Andreas Scheuer (CSU), sondern sie war von den Ländern im Bundesrat eingebracht worden.Viele Autofahrer empfanden sie als ungerecht, es gab Klagen und heftige Kritik.Deswegen signalisierte Scheuer schon im Mai, die „unverhältnismäßigen” Strafen bald zurücknehmen zu wollen. Später stellte sich allerdings noch aus, dass die Formulierung der Verordnung einen handwerklichen Fehler enthält.

Welche Folgen hat das?

Aus der Sicht Scheuers und vieler Juristen sind die neuen Strafen damit ungültig. So erklärt etwa die Expertin Daniela Mielchen von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins, dass der Verordnungsgeber bei Erlass einer Verordnung angeben müsse, auf welcher Rechtsgrundlage er gehandelt habe. Dies sei in diesem Fall unzureichend geschehen. Aus „Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit“ sieht Mielchen deswegen die gesamte Verordnung als nichtig an.

Warum gibt es einen Konflikt zwischen dem Bund und den Ländern?

Die Länder hatten die Verschärfung der Strafen für Raser mitgetragen und haben jetzt sehr wenig Verständnis dafür, die Regeln wieder abzumildern. Im Bundesrat gab es zuletzt keine Mehrheit für eine Korrektur. Mehrere SPD- und Linken-Landesminister nahmen das Chaos in Scheuers Ressort zum Anlass, mit dem Minister in der Öffentlichkeit politisch abzurechnen. So sprach etwa Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) von einem „weiteren unseligen Kapitel im Wirken des Bundesverkehrsministers“. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) nannte Scheuers Vorgehen „ziemlich merkwürdig, wenn nicht zu sagen, peinlich“. Die meisten Länder akzeptierten jedoch am Ende zähneknirschend die Aufforderung des Bundes, vorerst zum alten Bußgeldkatalog zurückzukehren, während nach einer Kompromisslösung gesucht wird.

Wo gilt nun welche Regelung?

Das Bild ist chaotisch: In Bremen gilt die neue Verordnung, allerdings werden die Verstöße, die einen Punkt in Flensburg oder ein Fahrverbot zur Folge haben, so lange ausgesetzt, bis eine bundeseinheitliche Regelung feststeht. Ähnlich ist es in Thüringen, wo einzig der umstrittene Artikel der neuen Verordnung nicht angewandt wird. Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Berlin und einige andere Länder gaben in den vergangenen Tagen bekannt, zum alten Bußgeldkatalog zurückkehren zu wollen. Diesen Weg will jedoch Baden-Württemberg nicht gehen. „Im Moment wissen wir nicht genau, was gilt, und hängen rechtlich in der Luft“, erklärte auf BNN-Anfrage ein Sprecher des Landesverkehrsministeriums in Stuttgart. „Nach Ansicht unserer Juristen kann es jedenfalls keine Rückkehr zur alten StVO geben, weil sie im Gesetzgebungsverfahren durch eine neue Regelung abgelöst wurde. Diese könnte wohl ein Gericht für nichtig erklären, aber die Exekutive kann das aus unserer Sicht nicht tun.“

Was bedeutet das für die Bürger?

Die Landesregierung hat die Bußgeldstellen zunächst angewiesen, laufende Verfahren nicht abzuschließen. Alles andere ist offen. „Es ist ein beispielloser Zustand, dass wir in diesen rechtsfreien Raum gefallen sind. Der Bund muss uns sagen, wie es weitergeht“, kritisierte der Sprecher des Verkehrsministeriums.

Was ist mit den Rasern, die bereits auf Grundlage der neuen Verordnung bestraft wurden?

Das Vorgehen in den bereits abgeschlossenen Verfahren, die eigentlich rechtskräftig sind, gilt als hochproblematisch und wird unterschiedlich gehandhabt. Baden-Württemberg und einige andere Länder warten einfach ab. Dagegen wurde in Thüringen die Polizei offenbar angewiesen, eingezogene Führerscheine wieder zurückzugeben.

Was war außerdem neu in der im Frühjahr eingeführten StVO?

Sie soll unter anderem den Verkehr für Radfahrer und Fußgänger sicherer machen. Nach der neuen Verordnung darf auf den Schutzstreifen für Radfahrer am Straßenrand nicht mehr gehalten werden. Parken in zweiter Reihe wird mit schärferen Strafen geahndet. Für diese Verkehrsverstöße wurden die früheren Geldbußen ab 15 Euro auf bis zu 100 Euro erhöht. Auch die Autofahrer, die im Stau unerlaubt durch eine Rettungsgasse für Einsatzfahrzeuge fahren, werden jetzt schärfer bestraft: Ihnen drohen Bußgelder zwischen 200 und 320 Euro sowie ein Monat Fahrverbot. Neue Regeln gibt es beim Überholen von Radfahrern, Fußgängern und Elektro-Tretrollern. Zu ihnen muss innerorts ein Mindestabstand von 1,5 Metern gehalten werden, außerorts zwei Meter.

Wie geht es weiter mit dem Streit?

Es sind weitere Beratungen nötig. „Ich will eine klare, faire und zügige Lösung. Richtigstellung und Verhältnismäßigkeit in einem Paket”, sagte am Wochenende Minister Scheuer in einem Interview. In Stuttgart erwartet man mehr Klarheit bis Ende dieser Woche.



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