Er ist höher als das Ulmer Münster, länger als der Stuttgarter Fernsehturm und größer als der Aufzugtestturm von Rottweil. Der Mühlacker Sender ist das höchste Bauwerk im Ländle. Von weitem sieht er aus, wie ein Strich in der Landschaft.
Doch je näher man dem großen Sendemast kommt, desto beeindruckender wird seine Erscheinung. Wie eine riesenhafte Nadel balanciert er dort auf seinem wuchtigen Fundament, oben auf der windigen Höhe über der Stadt, die ohne ihn wohl heute noch ein kleines Dorf wäre.
Denkmalgeschütztes Kulturerbe
Mühlacker ist stolz auf diese 273 Meter hoch aufragende rot-weiße Ringelsocke, mit einer großen Geschichte und der Aussicht auf ein abruptes Ende. Vor 90 Jahren sendete der Süddeutsche Rundfunk erstmals von Mühlacker hinaus in die Welt.
Sein Nachfolger, der Südwestrundfunk, will das denkmalgeschützte Kulturerbe nun am liebsten sprengen, besser heute als morgen.
Wir dürfen da kein Geld mehr reinsteckenWolfgang Utz, Sprecher des SWR
Am Donnerstag gab das Regierungspräsidium Karlsruhe das Denkmal zum Abriss frei. Urprünglich hatte die Stadt Mühlacker in ihrer Eigenschaft als Untere Denkmalbehörde den Antrag des SWR, die Anlage abzureißen, abgelehnt.
Regierungspräsidium gibt Sender zum Abriss frei
Diese Entscheidung hat das Regierungspräsidium jetzt kassiert. Man könne der Sendeanstalt die Kosten für den Erhalt des Bauwerks nicht zumuten, heißt es in der Begründung. Beim SWR sieht man das naturgemäß ähnlich.
„Für den Erhalt von Kulturdenkmalen sind wir nicht zuständig“, sagt Wolfgang Utz, Unternehmenssprecher des SWR. „Wir dürfen da schlicht und ergreifend kein Geld mehr reinstecken. Das würden uns unsere Aufsichtsgremien und Rechnungshöfe nicht durchgehen lassen.“
Mühlacker ist arm wie eine KirchenmausFrank-Ulrich Seemann, Sprecher Förderverein "Sender Mühlacker"
Eine Chance auf Erhalt hat das Kulturdenkmal jetzt nur noch, wenn Mühlacker die Anlage kauft. Doch die traditionell klamme Stadt scheut die Kosten. „Mühlacker ist arm wie eine Kirchenmaus und die Forderung des SWR ist unbezahlbar“, sagt Frank-Ulrich Seemann, Sprecher des Fördervereins „Sender Mühlacker“.
Die Entscheidung des Regierungspräsidiums sei ärgerlich, aber so befürchtet und auch zu erwarten gewesen. Er träumt davon, das einzigartige Bauwerk der Nachwelt zu erhalten und in den Gebäuden unter der Sendeantenne ein Rundfunkmuseum einzurichten.
550.000 Euro wollen die Stuttgarter letztlich für ihren Sender haben. Dabei hätten Stadt und Förderverein schon an den Unterhaltungskosten zu knabbern.
SWR will 1,9 Millionen für den Senderhügel
Der SWR gibt sich großzügig, taxiert aber allein schon den Wert der sieben Hektar Grundfläche auf knapp 1,9 Millionen Euro. Zieht er davon die Kosten für Abriss und Entsorgung ab, kommt er auf die geforderte halbe Million.
50.000 Nieten auf 273 Metern
Pikant ist dabei, dass der Sendeanstalt mindestens die Hälfte der Fläche seinerzeit kostenlos überlassen wurde – von der Stadt Mühlacker. Jetzt also will man dem Schenker das Geschenk zurückverkaufen.
Für Mühlacker, das sich selbst seit 1930 stolz die Senderstadt nennt, ist die Anlage vor ihren Toren mehr als nur ein vertikal stehendes Rohr.
50.000 Nieten halten dort oben im Wind nicht nur einen großen Teil der Geschichte, sondern auch des Selbstverständnisses der Stadt zusammen.
Bevor sich die Reichspost in den letzten Jahren der Weimarer Republik für den Standort ziemlich genau zwischen Stuttgart und Karlsruhe entschied, war Mühlacker ein Dorf.
Mit dem Bau des Großsenders, zunächst als Holzkonstruktion, kam das Stadtrecht und eine globale Bekanntheit – zumindest unter den Kurzwellenhörern der Welt.
Aufwendige Technik füllte nicht nur die große Sendehalle, sondern auch Tisch und Kühlschrank zahlreicher armer Bauernfamilien, die sich beim Rundfunk ein Zubrot verdienten.
Durch wassergekühlte Röhren wurde das Stuttgarter Radioprogramm ausgestrahlt, auf Kurzwelle bis nach Kanada und – den Machthabern weit wichtiger – auf der Mittelwelle weit über den Rhein hinaus nach Westen.
Als Rädchen in der Nazi-Propaganda-Maschine trug auch der Sender Mühlacker seinen Teil zur deutschen Geschichte bei.
Auf dem Rückzug vor den Alliierten sprengte die Wehrmacht das damals höchste Holzbauwerk Europas. Doch der Standort war so gut, dass die einrückenden Amerikaner ziemlich schnell für Ersatz sorgten.
Die heutige Röhre mit einem Durchmesser von rund 170 Zentimetern wurde von den Amerikanern gebaut, für ihren Soldatensender AFN.
Techniker können in ihrem Innern bis an die Spitze klettern. Ein Aufstieg dauert über eine Stunde. Später übernahm erneut der Süddeutsche Rundfunk die gewagt anmutende Konstruktion.
Das rote Blinklicht könnte für immer erlöschen
Ob das Kulturdenkmal nun fällt oder doch erhalten wird, hängt nach der Entscheidung des Regierungspräsidiums nun daran, ob man in Mühlacker das Geld für Kauf und Erhalt zusammen bringt.
Sollte das nicht gelingen, könnte das rote Blinklicht, das den Sendemast bei Nacht weithin sichtbar macht, bald endgültig erlöschen. Förderverein-Sprecher Seemann traut sich zu, den Unterhalt finanziell zu stemmen.
„Die Denkmalstiftung Baden-Württemberg hat Zuschüsse zugesagt und die drei Holzhäuser, die Wohnungen und die große Sendehalle ließen sich vermieten.“ Einzig das Geld um das einst der Sendeanstalt geschenkte Gelände zurückzukaufen fehlt.
Hintergrund
Der Gemeinderat Paul Strobel hat es wohl geahnt. Als einziger stimmte der Straßenbahnschaffner, der für die Sozialdemokraten im Rat saß, im Dezember 1929 gegen den Vertrag der Gemeinde Dürrmenz-Mühlacker mit dem Süddeutschen Rundfunk.
Der Straßenbahnschaffner hatte recht
In diesem Vertrag verpflichtet sich die Gemeinde fünf Hektar Land kostenlos für den Bau des Senders zur Verfügung zu stellen, auf eigene Kosten eine Zufahrtsstraße und eine Wasserleitung samt Pumpstation zu bauen.
Da der Gemeinde nur 1,5 Hektar selbst gehörten, zahlte sie den Bauern 5.000 Mark für das Land, um es anschließend dem Süddeutschen Rundfunk zu schenken. Zusammen mit Wasserleitung, Straße und Gehweg investierte die Kommune über 25 000 Mark in das Versprechen, mit einem Großsender zu Ansehen und Wohlstand zu kommen. „Diese Summe muss ausschließlich aus Anleihensmitteln gedeckt werden“, vermerkt das Gemeinderatsprotokoll vom 27. Dezember 1929 trocken.
Rückfall-Klausel fehlt im Schenkungsvertrag
Die Zustimmung im Rat war überwältigend. Nur Gemeinderat Strobel war dagegen. Nicht, weil er etwas gegen den Sender hatte.
„Ihm fehle eine Vertragsbestimmung, nach welcher das von der Gemeinde unentgeltlich zur Verfügung gestellte Areal im Falle der Aufgabe des Unternehmens wieder in das Eigentum der Gemeinde zurückfalle.“ Die Stuttgarter Sendeanstalt hatte sich darauf nicht einlassen wollen.
Jetzt will der SWR Geld für das einstige Geschenk
„Mit kurzen, bestimmten Worten“ hat sich der Aufsichtsratsvorsitzende der Rundfunk AG gegen dieses Verlangen gestellt. „Gemeinderat Strobel bleibt dennoch auf seiner ablehnenden Haltung“, notierte der Ratsschreiber.
90 Jahre später will der SWR die Fläche den einstigen Schenkern zurückverkaufen – für 1,9 Millionen Euro. Dass das so kommen könnte, hat damals im Gemeinderat nur einer gesehen.