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Fluchtweg ist oft versperrt

Ukrainische Homosexuelle und Transmenschen fürchten russische Todeslisten

Homosexuelle und Transmenschen in der Ukraine fürchten, dass ihnen Folter, Vergewaltigung und Mord drohen, wenn sie den Angriffskrieg überleben. Auch in manchen Zufluchtsländern droht ihnen womöglich Gewalt.

"Trink keine Coke mit Putin" steht am 31.08.2013 in Berlin auf einem Plakat als Mahnung an die Sponsoren der Olympischen Spiele 2014. Mehrere tausend Menschen zogen in einer Demonstration unter dem Motto "Enough is enough - Stop Homophobia" vom Kurfürstendamm zur russischen Botschaft und protestierten damit gegen das in Russland erlassene Homosexuellen-Gesetz. Foto: Florian Schuh/dpa ++ +++ dpa-Bildfunk +++
Demonstranten zeigten ein Porträt Wladimir Putins und prangerten dessen Homophobie an, als sie 2013 gegen das russische Homosexuellen-Gesetz protestierten. Foto: Florian Schuh / dpa

Um das Leben der Menschen in der Ukraine bangen ungezählte Verwandte, Freunde und mitfühlende Bürger – doch bei Homosexuellen und Transmenschen kommt noch eine weitere Sorge hinzu: Dass ihnen auch dann der Tod droht, wenn sie Raketenangriffe und die Invasion des russischen Militärs zunächst überleben.

„Es gibt Informationen, dass die russische Seite Listen hat, auf denen nicht nur Oppositionelle stehen, sondern auch queere Aktivisten“, sagt René Mertens, Sprecher des bundesweiten Lesben- und Schwulenverbands (LSVD).

Queer ist eine englische Sammelbezeichnung für Menschen, die nicht in heterosexuellen Normen leben, darunter Schwule, Lesben, Bisexuelle, Trans- und Intersexuelle. Die Fluchtwege aus dem Kriegsland sind diesen Menschen teilweise versperrt.

Transfrauen können wegen der Mobilmachung oft nicht ausreisen.
René Mertens, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands

„Gerade Transfrauen sind in ihrer geschlechtlichen Identität in der Ukraine nicht anerkannt“, erklärt Mertens. „Sie können wegen der Generalmobilmachung oft nicht ausreisen.“ Denn alle Männer bis 60 Jahre müssen im Land bleiben, um gegen die russischen Angreifer zu kämpfen. Da eine rechtliche Änderung der Geschlechtszugehörigkeit in der Ukraine aber nicht möglich ist, zählen selbst Menschen, die eine hormonelle Umwandlung zur Frau vollzogen haben, weiterhin als Mann.

Im Militärdienst und bei einer Gefangennahme sei diese Gruppe besonders von Vergewaltigung, Folter und Tod bedroht, betonen queere Verbände. „Das hat man auch im Tschetschenien-Krieg gesehen“, sagt Mertens. „Wir haben große Sorgen.“

Verband: In einigen Fällen verweigerte Polen die Einreise

Wer sich über die Grenze retten kann, sei aber noch lange nicht in Sicherheit. „Es gibt erste Fälle, in denen Transfrauen nicht nach Polen einreisen können“, berichtet Mertens. Da Homosexuellen und Transpersonen in den osteuropäischen Zufluchtsländern oft starke Abneigung, teils auch rohe Gewalt entgegenschlägt, haben der LSVD und zahlreiche Partnerverbände eine Petition an die Bundesregierung veröffentlicht.

Sie solle den Grenzschutz anweisen „besonders schutzbedürftige Geflüchtete aus der Ukraine nicht nach Polen, Ungarn, Rumänien, Slowakei oder Moldawien zurückzuschicken, sondern ihnen die Möglichkeit auf ein Asylverfahren in Deutschland zu belassen“.

Angst vor Übergriffen in Massenunterkünften

Denn auch in Massenunterkünften für Geflüchtete drohten queeren Menschen womöglich Übergriffe. „Es gibt in Polen ja diverse Regionen, die sich zu LGBT-ideologiefreien Zonen erklärt haben“, sagt Mertens. LGBT ist die englische Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell und transgender. Die sichere Unterbringung von Homosexuellen und Transgeschlechtlichen sehen die Szene-Verbände nur in Deutschland gewährleistet. Auch die Versorgung mit geschlechtsangleichenden Hormonen sei auf der Flucht in andere Länder schwierig.

In Deutschland antworten inzwischen rund 83 Prozent der Bürger mit Ja auf die Frage: „Finden Sie, dass Homosexualität von der Gesellschaft akzeptiert werden sollte?“ Das ergab eine Umfrage des US-amerikanischen Pew Research Centers aus dem Jahr 2019 in 34 Ländern. In Polen lag die Akzeptanz gegenüber Schwulen und Lesben bei 47 Prozent, in Ungarn bei 49 Prozent, in Russland und in der Ukraine jeweils nur bei 14 Prozent.

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