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Das Attentat von Bönnigheim

Uralter Mord revolutioniert die Kriminaltechnik: Stammt die forensische Ballistik von der badischen Grenze?

Die Wiege der Kriminaltechnik steht wohl an der badischen Landesgrenze. Ein Oberamtsrichter vom Stromberg jagte schon 1835 einen Mörder mit Methoden, die offiziell erst 50 Jahre später erfunden wurden. Doch den Ruhm ernteten andere. Der findige Richter war aus ermittlungstaktischen Gründen zum Schweigen verdonnert.

Blick in den Lauf eines Gewehres mit deutlich sichtbaren Innenzügen im Lauf.
Der Lauf der Geschichte: Mit solch einem Gewehr wurde der Bürgermeister von Bönnigheim erschossen. Foto: Karl Sartorius

Ein uralter Mord im Grenzland zwischen Baden und Württemberg revolutioniert die Geschichte der Kriminaltechnik.

Die forensische Ballistik wurde wohl nicht wie bislang vermutet, in Lyon erfunden, sondern im deutschen Südwesten, von einem schwäbischen Oberamtsrichter.

Amerikanische Staatsanwältin ermittelt am Stromberg

Davon sind eine ehemalige amerikanische Staatsanwältin, ein württembergischer Museumsdirektor und der Waffenexperte des Landeskriminalamtes überzeugt.

Das heimtückische Attentat auf den Bürgermeister des Weinorts Bönnigheim in der Region Kraichgau-Stromberg verändert damit die Geschichte der Kriminalistik, 185 Jahre nachdem der tödliche Schuss fiel.

Nachgestellte Szene vom Mord des Bönnigheimer Bürgermeisters. Ein Mann schießt mit einem historischen Gewehr auf einen Mann mit Frack und Zylinder
Der Mord am Bürgermeister von Bönnigheim Foto: Boris Lehner

Bislang gilt der Franzose Alexandre Lacassagne als Begründer der Spurensuche auf Kugeln und in Gewehrläufen. Der Arzt und Kriminologe war der Gründer der Lacassagne-Kriminologie-Schule in Lyon.

Er schrieb 1888 erstmals über die Möglichkeit, von einer in einem Mordopfer gefundenen Gewehrkugel auf die verwendete Waffe zu schließen und damit möglicherweise den Täter zu ermitteln – eine Technik, die heute jedem Zuschauer amerikanischer Krimi-Serien geläufig ist.

Der Mörder flieht nach Amerika

„Aber genau das hat Oberamtsrichter Eduard Hammer aus Bönnigheim schon 1835 getan, über fünfzig Jahre bevor Lacassagne auf die Idee kam“, sagt Ann Marie Ackermann, eine amerikanische Staatsanwältin, die es der Liebe wegen schon vor 20 Jahren in die schwäbische Kleinstadt verschlagen hat.

Als die ehemalige Ermittlerin von dem historischen Politikermord in ihrer neuen Heimat hörte, ließ der Fall sie nicht mehr los. Insbesondere, weil der Täter nach dem Mord in die USA floh und dort in der Armee von Südstaaten-General Robert E. Lee im amerikanischen Bürgerkrieg kämpfte und starb.

Der Oberamtsrichter ließ die Kugeln aus dem Leichnam schneiden
Ann Marie Ackermann, ehemalige US-Staatsanwältin

Bei ihren Recherchen fand Ackermann im Stuttgarter Staatsarchiv die 800 Seiten dicke Fallakte. Darin beschreibt der engagierte Richter, wie er so verbissen wie vergeblich nach dem Mörder suchte.

„Oberamtsrichter Hammer ließ die Kugeln aus dem Leichnam schneiden. Das war für damalige Zeiten absolut ungewöhnlich“, erzählt Ackermann.

Als ihm Spuren auf den Schrotkugeln auffielen, rief er einen Büchsenmacher zu Hilfe und schaute sich die Geschosse genauer an.

Untersuchung einer Schrotkugel
Schrotkugel Foto: Martin Keim

Blick durch ein Vergleichsmikroskop des Landeskriminalamtes auf zwei abgefeuerte Gewehrkugeln
Blick durch ein Vergleichsmikroskop des Landeskriminalamtes Foto: Karl Sartorius

„Die Riefen auf den Kugeln waren Spuren aus einem Gewehrlauf. Schrot wurde normalerweise mit der Flinte geschossen, die hat einen glatten Lauf“, so Ackermann. Im Gegensatz dazu haben Gewehre einen Lauf mit inneren Zügen, spiralförmigen Rillen, die dem Geschoss den nötigen Drall versetzen und so eine präzisere Flugbahn sicher stellen.

Probeschüsse in einen Sack mit Sägespänen

„48 Waffen ließ der Richter einsammeln. Mit Probeschüssen in einen Sack mit Sägespänen sicherte man sich die Kugeln, um sie mit den tödlichen Geschossen zu vergleichen.“ Nur eine Waffe lieferte tatsächlich die charakteristischen Rillen. Das Gewehr eines Försters kam als Tatwaffe in Betracht.

Der Förster war es nicht

Doch bei näherem Hinschauen dann auch wieder nicht. „Auch der Förster konnte als Täter ausgeschlossen werden. Der Lauf seiner Waffe war zu abgenutzt. Er hinterließ nur schwache Riefen auf der Munition. Aus diesem Gewehr konnten die im Leichnam gefundenen Kugeln nicht stammen“, so Ackermann.

Den Täter also konnte man damals trotz der modernen Ermittlungsmethode nicht finden. Er stammte aus dem Nachbarort und hatte sich längst abgesetzt. Das war das große Pech für den Oberamtsrichter.

Mit dem Mörder weiter auf freiem Fuß, durfte er seine neue Methode, die forenische Ballistik, nicht veröffentlichen – aus ermittlungstaktischen Gründen quasi. Man wollte dem Täter nicht verraten, wie dicht man ihm auf der Spur ist.

Eine gute Idee verschwindet in den Akten

Erst als sich 37 Jahre später ein amerikanischer Kriegskamerad des Mörders beim Essen verplapperte, was ein anderer schwäbischer Auswanderer zufällig hörte, war der Fall gelöst. Doch der Erfolg kam zu spät. Nicht nur der Mörder, auch der Richter war inzwischen gestorben.

Und seine Idee von den verräterischen Streifen auf mörderischen Kugeln verschwand in den Akten.

50 Jahre später veröffentlichte der Lyoner Kriminologe Lacassagne seine Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Kugel und Lauf. Er gilt seither als Vater der forensischen Ballistik.

Dass der Bönnigheimer Richter richtig lag mit seiner Methode, hat der Waffenexperte des Stuttgarter Landeskriminalamts, Volker Schäfer, bestätigt.

„Wir wollten wissen, ob Richter Hammer und sein Büchsenmacher tatsächlich feststellen konnten, dass die Schrotkugel aus einem gezogenen Gewehrlauf stammte. Wir haben das mit einer vergleichbaren Waffe nachgestellt und tatsächlich: Auch unsere Schrotkugeln haben die entsprechenden Merkmale des Gewehrlaufes angenommen. Die Waffe selbst eindeutig zu identifizieren, wäre wohl nicht gelungen. Aber in der Stadt eingesammelte Büchsen als Mordwaffe auszuschließen, das war möglich. Und auch der Ausschluss von Verdächtigen ist ein wichtiger Ermittlungsfortschritt“, sagt Schäfer.

Landeskriminalamt hält die Füße still

Doch für die nachträgliche Anerkennung von Oberamtsrichter Hammers wissenschaftlicher Leistung will man sich beim Landeskriminalamt nicht verkämpfen.

„Von uns wird in dieser Sache kein Vorstoß unternommen. Wir finden es ganz toll und sehr bemerkenswert, dass Richter Hammer mit Methoden ermittelt hat, die damals noch nicht in den Lehrbüchern standen.“ Die Forensik aber, so Schäfer, sei eine Wissenschaft. Und in der Wissenschaft gelte der als Vater neuer Erkenntnisse, der diese als erster veröffentlicht.

Ann Marie Ackermann und Karl Sartorius an einer Puppe, die den ermordeten Bürgermeister von Bönnigheim darstellt.
Ann Marie Ackermann und Karl Sartorius im Bönnigheimer Schnapsmuseum Foto: Karl Sartorius

Karl Sartorius, Direktor des Bönnigheimer Schnapsmuseums, hat dem Bürgermeister-Mord eine Sonderausstellung in seinem Haus gewidmet. Gemeinsam mit Ann Marie Ackermann setzt er sich weiter für die Anerkennung von Oberamtsrichter Hammers wissenschaftlicher Leistung ein.

Der Richter musste schweigen

„Richter Hammer war an seine Schweigepflicht gebunden. Er durfte seine Idee nicht veröffentlichen. Das machen wir jetzt für ihn“, sagt er. Die beiden planen einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde, als erste Anwendung der forensischen Ballistik. Das Einverständnis des erfinderischen Richters zu dieser Ehrung setzen sie voraus.

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