Das wachsende soziale Problem der Vereinsamung ist jetzt in der großen Politik angekommen: Die Ampelkoalition will die bislang unzureichende Forschung in diesem Bereich bündeln und die unterschiedlichen Initiativen gegen Einsamkeit in einem nationalen Netzwerk zusammenbringen.
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) gab am diesen Donnerstag die Gründung eines Kompetenznetzes Einsamkeit (KNE) bekannt, das zunächst bis Ende 2022 mit über einer Million Euro aus Bundesmitteln gefördert werden soll.
Einsamkeit beeinträchtigt negativ das Leben von Millionen Menschen. In Umfragen gaben jeder siebte Jugendliche und ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland an, das Problem gut zu kennen. Es ist erwiesen, dass die dauerhafte Vereinsamung das Risiko für Depressionen und körperliche Erkrankungen stark erhöht. Eine Studie stellte zudem ein um 29 Prozent erhöhtes Sterblichkeitsrisiko fest. Einsamkeit verringert auch die politische Stabilität und fördert die Radikalisierung der Gesellschaft.
Problem für Millionen von Menschen
In absoluten Zahlen fühlten sich hierzulande vor dem Ausbruch der Pandemie geschätzte 14 Millionen Menschen einsam. Die coronabedingten Beschränkungen und der Rückzug ins Private haben diese Situation noch weiter verschärft. Dem will nun die Bundesregierung mit dem neuen Kompetenznetzwerk entgegenwirken. Laut Ministerin Spiegel soll das für alle offene KNE bestehendes Engagement sichtbar machen, Wissen teilen und und diejenigen zusammenbringen, die sich gegen „Einsamkeit als Sackgasse“ einsetzen.
Ein weiteres Ziel ist, eine umfassende politische Strategie zu entwickeln. Dies wurde bereits von früheren Bundesregierungen versprochen und in Koalitionsverträgen verankert. Jedoch hat die Politik das Problem Einsamkeit lange stiefmütterlich behandelt und kein Geld dafür locker machen wollen. Deutschland war damit im Vergleich mit anderen EU-Ländern wie den Niederlanden, Großbritannien oder Schweden rückständig, die eigene nationale Programme gegen Einsamkeit haben und sie teilweise sehr gut finanzieren.
Umfassende Strategie soll entstehen
Das KNE wird durch das Frankfurter Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik koordiniert. Sein Direktor Benjamin Landes will das Thema „aus zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Blickwinkeln betrachten“. Die Forscher haben sich zum Ziel gesetzt, effiziente Maßnahmen zu identifizieren, die der Vorbeugung und Bekämpfung von Einsamkeit dienen.
Auf kommunaler Ebene gibt es in Deutschland bereits zahlreiche Initiativen, die vereinsamten Menschen helfen. So sorgt zum Beispiel in Karlsruhe das Kirchenprojekt „Nachbarschaftslotsen“ dafür, dass sich Ehrenamtliche um Senioren aus ihrer Nachbarschaft kümmern, die sonst niemanden haben.
Die 2021 gegründete Karlsruher Stiftung „Kraft-Netz“ macht mithilfe von freiwilligen „Kraft-Boten“ sozial isolierte Menschen ausfindig und zeigt ihnen den Weg zurück in die Gemeinschaft.
Solche Projekte waren allerdings bislang bundesweit wenig vernetzt. Eine Idee des neuen Kompetenznetzwerks ist es, in den geplanten Veranstaltungen des „KNE Salons“ alle Interessierten zum Erfahrungsaustausch zusammenzuführen.