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Süddeutsche Staaten gingen im preußisch dominierten Reich auf

Vor 150 Jahren: Als Baden seine Unabhängigkeit verlor

Im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles wurde vor 150 Jahren das Deutsche Kaiserreich gegründet. Im Gegensatz zu den Königreichen Württemberg und Bayern verzichtete der badische Großherzog auf seine Sonderrechte.

Vor 150 Jahren wurde in Versailles das Deutsche Kaiserreich ausgerufen. Baden unterstützte das, obwohl es seine Souveränität verlor.
Vor 150 Jahren wurde in Versailles das Deutsche Kaiserreich ausgerufen. Baden unterstützte das, obwohl es seine Souveränität verlor. Foto: Archiv der Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh

Der Krieg ist so gut wie entschieden. Der Erzfeind ist nicht nur besiegt, sondern geradezu gedemütigt worden. Und Wilhelm Friedrich Ludwig von Preußen steht kurz vor seiner Rangerhöhung vom König von Preußen zum Kaiser des auf dem Schlachtfeld geschmiedeten deutschen Nationalstaates.

Doch der 73-jährige König ist todunglücklich. Am liebsten, so schreibt er seiner Frau, würde er Versailles verlassen und alles hinschmeißen: „In einer Konferenz gestern war ich so moros (mürrisch, verdrießlich), dass ich drauf und dran war, zurückzutreten und Fritz alles zu übertragen“ – seinem Sohn, dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm, dem späteren Kaiser Friedrich III.

Morgen ist der unglücklichste Tag meines Lebens!
Wilhelm I., König von Preußen und Deutscher Kaiser

Immer wieder kommt es zum Streit mit seinem Kanzler, Otto von Bismarck. Wilhelm befürchtet, dass sein geliebtes Preußen im gesamtdeutschen Nationalstaat aufgeht und damit untergeht. Wenn er schon Kaiser werden soll, dann will er „Kaiser von Deutschland“ genannt werden.

Doch Bismarck lehnt dies ab und pocht auf „Deutscher Kaiser“, worauf man sich in zähen Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten geeinigt hatte. Das sollte klar zum Ausdruck bringen, dass mit dem Titel keine Territorialansprüche des Hauses Hohenzollern verbunden seien. Wilhelm lehnt ab. Entweder „Kaiser von Deutschland“ oder gar nichts. Und am Vorabend der Kaiserproklamation, am 17. Januar 1871, klagt er: „Morgen ist der unglücklichste Tag meines Lebens! Da tragen wir das preußische Königtum zu Grabe.“

Verhindern kann der greise König die Ausrufung des Deutschen Kaiserreiches vor 150 Jahren, am 18. Januar 1871, nicht. Es ist eine kurze, schlichte Zeremonie, die nicht in Berlin, der Hauptstadt des Reiches stattfindet, sondern im Herzen des besiegten und besetzten Feindeslands, im Spiegelsaal von Versailles, dem prächtigen Schloss des Sonnenkönigs Ludwigs XIV.

Nach einer kurzen Predigt des königlich-preußischen Hofpredigers Bernhard Rogge dankt Wilhelm in einer knappen Rede den „durchlauchtigsten Fürsten und andern hohen Bundesgenossen“ für die „Aufforderung“, mit der Wiederherstellung des Deutschen Reiches die deutsche Kaiserwürde anzunehmen. „Diesen Entschluss habe ich gefasst in der Hoffnung, dass es mir, unter Gottes Beistande, gelingen werde, die mit der Kaiserlichen Würde verbundenen Pflichten zum Segen Deutschlands zu erfüllen.“

Danach fordert Wilhelm seinen Kanzler Bismarck auf, die Proklamation „An das Deutsche Volk!“ zu verlesen. In dieser verspricht der Kaiser, „allseits Mehrer des Deutschen Reichs zu sein“, nicht interessiert „an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung“.

Seine Kaiserliche und Königliche Majestät, Kaiser Wilhelm, lebe hoch, hoch, hoch!
Friedrich I., Großherzog von Baden

Geklärt ist die leidige Titelfrage damit noch immer nicht. Es ist Wilhelms Schwiegersohn, der Großherzog Friedrich I. von Baden, der das Schweigen nach der kurzen Zeremonie in dem eiskalten Spiegelsaal durchbricht und laut ruft: „Seine Kaiserliche und Königliche Majestät, Kaiser Wilhelm, lebe hoch, hoch, hoch!“

Daraufhin, so schreibt der Badener in seinem „Tagebuch von Versailles 1870/71“, „begann ein begeistertes sechsfaches Hochrufen, das man gehört haben muss, aber nicht beschreiben kann“. „Kaiser Wilhelm“, das ist die diplomatische Lösung im Titelstreit, die alle zufriedenstellt.

Großherzog Friedrich ist der Schwiegersohn des Kaisers

Das Deutsche Kaiserreich war damit gegründet. Für die bis dahin selbstständigen süddeutschen Staaten, die Königreiche Bayern und Württemberg sowie die Großherzogtümer Baden und Hessen-Darmstadt endete damit ihre Unabhängigkeit. Die regierenden Könige und Großherzöge durften zwar ihre Titel behalten, doch ihre Staaten gingen im Reich auf.

Baden war als einziges Land von Anfang an vorbehaltlos hinter der Reichseinigung gestanden, obwohl die Erinnerung an die brutale Niederschlagung der Revolution in Baden 1849 noch sehr lebendig war. Großherzog Friedrich war eng mit Preußen verbunden, so hatte er 1856 Prinzessin Luise von Preußen geheiratet, die einzige Tochter des späteres Kaisers Wilhelm I. 1852 hatte ihn der preußische König Friedrich Wilhelm IV. zum Chef des Rheinischen Ulanen-Regiments Nr. 7 ernannt.

Treuer Gefolgsmann: Friedrich I., Großherzog von Baden und Schwiegersohn des Kaisers.
Treuer Gefolgsmann: Friedrich I., Großherzog von Baden und Schwiegersohn des Kaisers. Foto: imago stock/people/Leemage

Und bereits nach der Schlacht von Königgrätz 1866, bei der Preußen Österreich besiegte, schlossen Baden und Preußen ein geheimes Schutz- und Trutzbündnis ab, das unter anderem vorsah, dass das badische Heer im Falle eines gemeinsam geführten Krieges unter preußischen Oberbefehl kommen sollte. Dies war vor 150 Jahren im deutsch-französischen Krieg der Fall.

Im Gegensatz dazu war vor allem der bayerische König Ludwig II. ein entschiedener Gegner von Bismarcks Politik, das Reich unter Preußens Führung auf dem Schlachtfeld mit „Eisen und Blut“ zu schmieden. Der seit 1864 regierende „Märchenkönig“ Ludwig hielt auch nach der Niederlage Österreichs 1866 in Königgrätz an einer großdeutschen Lösung unter Einschluss Österreichs fest und wollte die Unabhängigkeit seines Königreiches nicht verlieren.

Doch er hatte wegen des Baus seiner Märchenschlösser immense Geldsorgen. Bismarck nutzte dies aus und stellte aus dem sogenannten Welfenfonds insgesamt sechs Millionen Goldmark zur Verfügung, zudem sicherte er Bayern und den anderen süddeutschen Staaten gewisse Sonderrechte zu, so eigene Gesandtschaften, ein eigenes Heer in Friedenszeiten, eigene Eisenbahnen sowie eigenes Post- und Fernmeldewesen.

Wirtschaftsboom und Gründerzeit

Bayern und Württemberg nahmen diese „Reservatrechte“ nach der Reichseinigung 1871 in Anspruch, das Großherzogtum Baden hingegen verzichtete auf diese und gliederte sich komplett in die preußisch-deutschen Reichsstrukturen ein. Großherzog Friedrich schaffte das Außenministerium ab und schloss alle diplomatischen Vertretungen, die badische Armee wechselte als XIV. Armeekorps in den Verantwortungsbereich des preußisch geprägten kaiserlichen Heeres.

Karlsruhe blieb Residenz- wie Garnisonsstadt und entwickelte sich im Wirtschaftsboom der Gründerzeit zu einer wohlhabenden Bürgerstadt, wovon bis heute zahlreiche prächtige Bauwerke aus der Kaiserzeit künden. 1897 entstand das große Kaiser-Wilhelm-Denkmal in der Mitte des Kaiserplatzes.

Elsass und Teile Lothringens werden deutsch

Gravierende Folgen hatte die Reichsgründung für das benachbarte Elsass und Teile Lothringens. Mit dem am 10. Mai 1871 zwischen Frankreich und dem Kaiserreich unterzeichneten „Frieden von Frankfurt“ wurden die überwiegend deutschsprachigen Gebiete als „Reichsland Elsass-Lothringen“ der Staatsgewalt des Kaisers unterstellt, erst 1911 wurde das Reichsland den deutschen Bundesstaaten rechtlich gleichgestellt.

Sträubte sich bis zuletzt: Wilhelm I., der König von Preußen, seit 1871 Deutscher Kaiser.
Sträubte sich bis zuletzt: Wilhelm I., der König von Preußen, seit 1871 Deutscher Kaiser. Foto: Archiv der Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh“

In der einheimischen Bevölkerung stieß die Annexion auf wenig Begeisterung, vor allem, die starke katholische Kirche wurde in den Anfangsjahren zu einem Träger des Widerstandes gegen die deutschen Behörden. Zwar profitierten auch das Elsass und Lothringen vom Wirtschaftsboom der Gründerzeit, 1872 wurde zudem die Universität in Straßburg wieder gegründet und erheblich ausgebaut, gleichwohl blieb das Verhältnis zwischen der einheimischen Bevölkerung und der preußisch dominierten Obrigkeit nicht frei von Spannungen. Bis sie sich 1914 in einem neuen Krieg entluden.

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