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Erste Hilfe an Schulen

Wenn Minuten über Leben und Tod entscheiden

Sören Z. stand kurz vor dem Abitur und hatte große Pläne. Bis er im Sportunterricht plötzlich zusammensackt. Acht Minuten lang wird der Schüler nicht reanimiert, er erleidet schwere Hirnschäden. Mit den Folgen hat sich nun der Bundesgerichtshof befasst.

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Die Schüler Rabea und Jan (r) proben am Donnerstag (17.01.2008) im Gymnasium Paulinum in Münster eine Erste-Hilfe-Maßnahme. Mit der Aktion soll das Projekt «Schüler werden Lebensretter», bei dem seit 2006 Schüler in NRW in Reanimationskursen geschult werden, vorgestellt werden. Foto: Friso Gentsch dpa/lnw +++(c) dpa - Bildfunk+++ - Verwendung weltweit Foto: None
Sören Z. stand kurz vor dem Abitur und hatte große Pläne. Bis zu jenem Nachmittag am 13. Januar 2013. Im Sportunterricht hört der Gymnasiast aus Wiesbaden mit dem Laufen auf, er sackt an der Wand zusammen, ist nicht mehr ansprechbar. Die Lehrerin alarmiert den Notarzt. Doch bis der kommt, vergeht wertvolle Zeit.

Acht Minuten Bewusstlosigkeit ohne jegliche Laienreanimation, heißt es später im Klinikbericht. Der Schüler erleidet schwerste Hirnschäden durch Sauerstoffmangel.

Gericht eröffnet dem Mann Chance auf Schmerzensgeld

Hätte das verhindert werden können? Der Bundesgerichtshof (BGH) betont am Donnerstag die Pflicht eines Sportlehrers für rechtzeitige Erste Hilfe und hebt ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt auf. Die höchsten deutschen Zivilrichter eröffnen dem jungen Mann damit eine Chance auf Schmerzensgeld und Schadenersatz.

„Es ist eine tragische Sache.“ So leitet der Vorsitzende Richter vor zwei Wochen die mündliche BGH-Verhandlung ein. Auf der einen Seite sitzen ihm Vertreter des hessischen Kultusministeriums gegenüber, auf der anderen Seite der Vater des Jungen.

Keiner hat ihm geholfen
Der Vater

Er ringt mit Fassung, als jener Tag rekapituliert wird. „Keiner hat ihm geholfen“, sagt der Vater. Sein heute 24-jähriger Sohn hat das Land Hessen wegen unzureichender Erste-Hilfe-Maßnahmen verklagt. Er fordert 500.000 Euro Schmerzensgeld, gut 100.000 Euro für die Erstattung materieller Schäden, eine monatliche Mehrbedarfsrente von 3 000 Euro sowie die Zusicherung, dass Hessen für künftige Kosten aufkommen soll.

Die Familie klagt, damit so etwas nie mehr passiert, sagt der Vater. Und: „Wir wollen, dass unser Sohn versorgt ist, wenn wir nicht mehr sind.“

Kein Sachverständiger im ersten Verfahren

Vor dem Landgericht Wiesbaden und dem Frankfurter OLG war die Klage erfolglos geblieben. Es sei nicht sicher, ob sich mögliche Fehler der Lehrer bei der Ersten Hilfe kausal auf den Gesundheitszustand des Klägers ausgewirkt hätten.

Ein tragischer Ausnahmefall
Die Anwältin des Kultusministeriums

Ein Sachverständiger wurde nicht hinzugezogen. Das rügt nun der BGH. Das OLG muss in neuer Verhandlung klären, ob eine Amtspflichtverletzung ursächlich für die Behinderung war. Dass nicht alles gut lief, wird bei der BGH-Verhandlung deutlich. Von einer „Verkettung unglücklicher Umstände“ spricht die Anwältin des Kultusministeriums. „Ein tragischer Ausnahmefall.“ Grobe Fahrlässigkeit weist sie zurück.

Acht Minuten lang nicht reanimiert

Die Lehrerin und ein Kollege waren nicht untätig: Sören Z. wird nach Anweisung der Rettungsleitstelle in die stabile Seitenlage gebracht. Der Puls wird gefühlt. Doch ob der Schüler noch atmet, wird nicht kontrolliert. Es gibt weder eine Mund-zu-Mund-Beatmung noch eine Herzdruckmassage. Obwohl der Schüler nach Zeugenaussagen schon blau gewesen sei, hätten zwei Lehrer acht Minuten lang „nichts“ zur Wiederbelebung getan, sagt der Anwalt des Jungen vor dem BGH.

Sein Vater versteht nicht, wie das passieren konnte. „Man kann nichts falsch machen bei einer Wiederbelebung.“ So sieht das auch der Karlsruher Rettungsdienstleiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Daniel Schneider: „In einer Situation, wenn jede Minute zählt, ist der einzige Fehler, nichts zu tun“.

Angst vor der Herzdruckmassage nehmen

In den Erste-Hilfe-Schulungen hört Schneider oft besorgte Fragen, wie man etwa bei einer Herzdruckmassage vermeiden könne, die bewusstlose Person zu verletzen. „Diese Angst muss weg“, sagt er. „Wenn eine Rippe brechen sollte, dann bricht sie eben. Lieber später mit einer gebrochenen Rippe aufwachen als gar nicht.“

Mit den Zahlen der geschulten Ersthelfer im Bereich des Kreisverbandes ist der Leiter des DRK-Rettungsdienstes zufrieden. Allerdings sieht er einen großen Bedarf an Nachschulungen. „Man sollte regelmäßig das Wissen auffrischen, es geht sonst verloren“, erklärt Schneider.

„Wer einen Erste-Hilfe-Kurs wiederholt, fühlt sich sicherer und handelt ruhiger bei Notfällen“. Das gelte umso mehr für Lehrer, die eine große Verantwortung trügen.

Erste Hilfe ist für Sportlehrer Pflichtwissen

An den Schulen in Baden-Württemberg müssen ausgebildete Ersthelfer jederzeit zur Verfügung stehen. Für jeden Sportlehrer im Land seien Erste-Hilfe-Kenntnisse ohnehin Pflicht, sagt der Sportreferent des Regierungspräsidiums (RP) Karlsruhe, Manfred Reuther.

Er hält es jedoch für wichtig, dass auch andere Lehrer gut vorbereitet sind. Denn: „Die meisten Unfälle passieren in den Pausen.“ In den Gymnasien werden mindestens fünf Prozent des Lehrerkollegiums als Ersthelfer ausgebildet, was Reuter für ausreichend hält.

Auffrischung alle zwei Jahre

Nach RP-Angaben müssen die betroffenen Lehrer danach alle zwei Jahre Auffrischungskurse belegen.

Von einem großen Lehrerinteresse an Nachschulungen berichtet im Gespräch mit den BNN der Direktor des Max-Planck-Gymnasiums in Karlsruhe, Uwe Müller.

Zudem würden auch die Schüler aktiv mitziehen: „Jeden Tag sind zehn bis zwölf Ersthelfer im Dienst.“ Nach Darstellung des Schulleiters kommen kleinere Verletzungen beim Sportunterricht relativ häufig vor, an gravierende Unfälle in seiner Schule kann er sich hingegen nicht erinnern.

Notruf im Zweifel immer die richtige Entscheidung

Laut Müller fehlt manchen Eltern das Verständnis, wenn ein Notarzt ins Gymnasium gerufen wird – als Beispiel nennt er Fälle, wenn ein Kind mit einer psychischen Erkrankung nicht ansprechbar ist. Er sei jedoch dagegen, das Risiko einzugehen: „Wenn ein Schüler zusammenbricht, können wir nicht einfach 15 Minuten warten, bis dieser wieder aufwacht. Wenn sich der Lehrer also für den Notruf entscheidet, handelt er richtig“.

mit dpa
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