
Es ist eine tiefe Zäsur für das System der gesetzlichen Rente. Seit der großen Rentenreform unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) im Jahr 1957 funktioniert die Alterssicherung nach dem Umlageprinzip.
Was in einem Monat durch die Beiträge der Erwerbstätigen und der Arbeitgeber eingenommen wird, wird im nächsten Monat an die Rentnerinnen und Rentner ausbezahlt.
Staatliche Zuschüsse für sogenannte versicherungsfremde Leistungen sorgen für zusätzliche Einnahmen. Es gilt der Grundsatz der Generationengerechtigkeit: Die Jungen kommen für die Alten auf und können ihrerseits im Alter auf die Unterstützung durch ihre Kinder rechnen.
Stabilisierung von Beitragssatz und Rentenniveau
Um die Rente zukunftsfest zu machen, kommt nun nach dem Willen der Ampel-Koalition ein zusätzlicher Baustein hinzu. Im Koalitionsvertrag vereinbarten SPD, Grüne und FDP, zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Beitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einzusteigen.
„Diese teilweise Kapitaldeckung soll als dauerhafter Fonds von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle professionell verwaltet werden und global anlegen“, heißt es in den Zeilen 2.400 und 2.401 des Koalitionsvertrags. In einem ersten Schritt sollte dazu im Jahr 2022 aus Haushaltsmitteln ein Kapitalstock in Höhe von zehn Milliarden Euro angelegt werden.
Das Jahr 2022 ist fast vorbei, doch den Fonds gibt es noch nicht. Allerdings seien die Vorbereitungen mittlerweile weit gediehen, heißt es in Berlin. Auf dem Tisch liege ein „Grundkonzept“ aus dem Haus von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), das mit Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) abgestimmt sei.
Demnach stellt Lindner im kommenden Jahr die vereinbarten zehn Milliarden Euro zur Verfügung, die teilweise kreditfinanziert und zweckgebunden am Kapitalmarkt angelegt werden. Zudem sollen „Sacheinlagen des Bundes“ wie die noch bestehenden Beteiligungen an Unternehmen wie der Telekom oder der Post in den Kapitalstock überführt werden.
Erträge fließen ab Mitte der 2030er Jahre
Die Einnahmen dienen zunächst der Schuldentilgung, später der Aufstockung des Fonds. Verwalten soll den Fonds eine unabhängige öffentlich-rechtliche Stelle, ursprüngliche Überlegungen, dass dies die Deutsche Bundesbank oder die Rentenversicherung tun sollten, sind vom Tisch.
Als Vorbild dient der Staatsfonds Kenfo, der die Mittel für die Entsorgung des Atommülls verwaltet. In frühestens 15 Jahren, ab Mitte der 2030er Jahren, werden dann die Erträge des Fonds in die Rentenkasse fließen, um die Beitragszahler zu entlasten.
Aber reichen zehn Milliarden Euro als Startkapital überhaupt aus? Nicht nur erfahrene Sozialpolitiker wie der frühere badische CDU-Abgeordnete Peter Weiß aus Emmendingen, sondern auch die Experten der Deutschen Rentenversicherung bezweifeln dies.
„Zehn Milliarden Euro sind für das, was man zur Stabilisierung von Rentenniveau und Beitragssatz benötigt, völlig unbedeutend“, sagte Reinhold Thiede, Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung der Deutschen Rentenversicherung, beim sozialpolitischen Arbeitskreis der Rentenversicherung Baden-Württemberg in Stuttgart.
Nötig ist ein Vermögen von mehreren hundert Milliarden Euro
Nötig sei „ein deutlich höheres Fondsvermögen von mehreren hundert Milliarden“, wenn die Erträge eine nennenswerte Rolle im Etat der Versicherung spielen sollen.
So habe die Rentenversicherung im vergangenen Jahr Ausgaben in Höhe von 354,7 Milliarden Euro gehabt, pro Monat rund 30 Milliarden, ein Beitragspunkt entspreche rund 17 Milliarden Euro. Auf Nachfrage unserer Redaktion verwies Thiede darauf, dass es bislang aus Kreisen der Koalition keine Hinweise darauf gebe, dass der Bund weitere Mittel zur Verfügung stelle oder die Einzahlungen in den Fonds gar verstetige.
Gleichwohl ist die Deutsche Rentenversicherung nicht grundsätzlich gegen den Aufbau eines Kapitalstocks, um die Rentenkasse zu entlasten. Denn vom Tisch ist nach den Worten Thiedes das ursprüngliche Konzept der FDP, dass nach dem Vorbild des schwedischen Pensionsfonds zwei Punkte der Beiträge in den Fonds fließen. Nun wird nicht mit dem Geld der Versicherten und der Unternehmen am Kapitalmarkt agiert, sondern mit dem Geld der Steuerzahler.
Der Einzelne bekommt seine Rente, egal ob der Fonds viel oder wenig bringt.Reinhold Thiede, Deutsche Rentenversicherung
„Das Risiko trägt somit nicht mehr der Einzelne, sondern die Versichertengemeinschaft oder der Bund, wenn die erwarteten Erträge ausbleiben“, so Thiede. „Der Einzelne bekommt seine Rente, egal ob der Fonds viel bringt oder wenig.“ Dafür sorge das bewährte Umlageverfahren.
Keine Nachteile, aber auch keine Vorteile für die Rentner
Die Koalition habe sich für ein Verfahren entschieden, in dem man die Vorteile des Aktienmarktes nutzen wolle, ohne dass dies Auswirkungen auf die Rente des Einzelnen habe.
„Letztlich ist es eine Wette darauf, dass man auf mittlere oder lange Sicht ordentliche Erträge erwirtschaften kann“, sagte der Rentenexperte. „Wenn es schlecht läuft, hat der Einzelne keine Nachteile, allerdings hat er auch keine Vorteile, wenn es gut läuft, denn dann profitieren die Beitragszahler.“
Der Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung bei der Rentenversicherung geht davon aus, dass im kommenden Jahr das Gesetzgebungsverfahren über die Bühne geht. „Die SPD will die doppelte Haltelinie bei Rentenniveau und Beitragssatz sichern, die FDP will den Einstieg in die Aktienrente, deswegen spricht viel dafür, dass das so kommt.“