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Kirchenaustritte steigen

Leben mit und ohne Kirche: Wie halten es Menschen aus der Region mit dem Glauben?

Die katholische und evangelische Kirche verlieren immer mehr Mitglieder, wie die Statistik zur Mitgliederentwicklung 2019 zeigte. Hinter den Zahlen stecken unterschiedliche Lebensgeschichten und Beweggründe.

In dieser symbolisch nachgestellten Szene verlässt ein Mann die katholische Kirche St. Johann in Bremen.
Die Mitgliederzahlen sinken: Immer mehr Menschen in Deutschland kehren den großen Kirchen den Rücken zu. Sie begründen ihre Entscheidung unter anderem mit der Abkehr vom Glauben, die die steuerliche Last nicht mehr rechtfertigt. Foto: Ingo Wagner

Der Trend zu immer mehr Kirchenaustritten hält weiter an. „Die Zahlen nehmen wir aufmerksam wahr”, sagt Jochen Cornelius-Bundschuh, Landesbischof der Evangelischen Kirche in Baden, auf BNN-Anfrage. Die Anlässe für einen Kirchenaustritt seien unterschiedlich. Es gebe zum einen finanzielle Gründe, aber auch emotionale, in der sich Enttäuschung oder Ärger über die Kirche widerspiegle.

„Hinter den Zahlen stecken Lebensgeschichten”, erklärt Cornelius-Bundschuh. Aufgabe der Kirche sei es, die Bindung der Menschen in allen Lebenslagen zur Kirche zu stärken. „Es wird von uns erwartet, dass wir da sind”, weiß der Landesbischof. Die Kirche müsse gerade in einer Zeit, in der Verbindlichkeiten abnehmen, verlässlich Kontakt zu den Gläubigen halten. Wir haben bei Menschen im Landkreis Karlsruhe nachfragt, wie sie heute zum Thema Glauben stehen - und warum.

Anton Barth (Name von der Redaktion geändert), 57

„Das ist das letzte Mal, das ich mich engagiert habe”, dachte Anton Barth, als er mit 19 Jahren das erste Mal mit der katholischen Kirche brach. Er selbst beschreibt sich als „katholisch sozialisiert”, war Messdiener und in der Jugendarbeit engagiert.

In einem Gottesdienst wollte er mit anderen jungen Menschen einen Text von Amnesty International präsentieren, in dem ein Gefangener seine Lage beschreibt. Der Priester lehnte ab, eine Messe dürfe nicht politisch sein, seien seine Worte gewesen. „Er selbst sprach dann in seiner Predigt von den ,Grünen’ als ,Ungeist der Zeit’. Wenn das mal nicht politisch ist”, ärgert sich Barth noch heute.

Was folgte, war nicht der Bruch mit der Kirche, sondern die Suche nach einem Sinn hinter allem Leben. Schließlich folgte der Austritt aus der Kirche. „Nachweise müssen überprüfbar sein, man muss den Mut haben, Fragen offen zu lassen, und bei Gegenbeweisen zugeben, dass man falsch lag”, erklärt Barth seine heutige Weltanschauung, „die Kirche würde sich so aber aushebeln, sie ist in ihrer Autorität gar nicht ausgelegt, sich zu hinterfragen.”

Simon Seifried, 20

„Man darf die Kirche durchaus kritisieren, aber gerade die Aufgabe von jungen Menschen ist es, sich einzusetzen, um etwas zu ändern”, sagt Simon Seifried. Der 20-Jährige macht derzeit sein FSJ im Katholischen Jugendhaus in Karlsruhe. Die Kirche hat für ihn immer schon zum Leben dazu gehört. Seit früher Kindheit ist er Teil der Katholischen jungen Gemeinde St. Martin in Ettlingen, war Ministrant. Ein Austritt käme für ihn nicht in Frage.

Seifried hat sein Abitur im Fach Religion gemacht. Dabei habe er registriert, wie viel mehr hinter der Kirche stecke, zum Beispiel karitative Einrichtungen. „Die machen so viel Soziales, das kann der Staat ja gar nicht alles leisten”, sagt er. „Ich kann jungen Leuten was geben, was ihnen im Leben weiterhilft”, beschreibt er sein Engagement innerhalb der Kirche. Einige Punkte sieht er trotzdem kritisch, wie den Umgang mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche.

Tobia Luck, 24

„Ich bin damit aufgewachsen, die Gemeinschaft hat mir von Anfang an gut gefallen”, erzählt Tobia Luck von ihrer Kindheit in der Kirche Herz Jesu in Karlsruhe. Die 24-Jährige war Ministrantin, leitete Ferienlager und ist heute Dekanatsleiterin im BDKJ (Bund der Deutschen Katholischen Jugend). Dass ein Austritt aus der Kirche nie in Frage käme, kann sie nicht sagen. „Es gibt viele Punkte, die es schwierig machen, dabei zu bleiben”, gibt sie zu.

Aber da seien auch Freiräume, um zu gestalten. Entscheidend sei für sie, dass sie sich in den Grundwerten der Nächstenliebe, Solidarität und Gemeinschaft wieder finde. Und gerade in der Gemeinschaft würden auch andere Meinungen vertreten, die sie mit ihren vereinbaren kann.

Genau da setzt ihr Kritikpunkt an: Werte, die von vielen an der Basis gelebt werden, werden oft nicht geachtet. „In der Kirche sind zu veraltete Strukturen, es ist zu wenig Demokratie möglich, und die Forderungen von der Basis werden nicht umgesetzt”, erklärt sie.

Heiko Priller, 44

„Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, man ging in die Kirche, weil man es gewohnt war”, sagt Heiko Priller. Sein Umfeld sei nicht besonders christlich geprägt gewesen. Trotzdem engagierte sich der 44-Jährige, der heute in Karlsruhe lebt, als Messdiener. Noch heute erinnert er sich an den Moment, als er als junger Mann erkannte, dass das Weltbild der Kirche nicht zu seinem passte.

Von da an hatte der Glauben keine Bedeutung mehr in seinem Leben. Nur die jährliche Steuererklärung erinnerte ihn bis zu seinem Austritt an seine Kirchenmitgliedschaft. „Ich glaube nicht mehr daran”, sagt er.

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