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Handwerkskammer kämpft um Nachwuchs

200 Lehrstellen im Handwerk im Bezirk Karlsruhe unbesetzt

Verkehrte Welt: Früher haben sich Schülerinnen und Schüler bei Handwerksbetrieben um Ausbildungsplätze beworben. Mittlerweile ist es umgekehrt. Und das liegt nicht nur an Corona.

Lackierarbeiten Autowerkstatt
Das geht was: Das Handwerk in der Region ist gut ausgelastet, es fehlen aber Auszubildende. Darauf hat Handwerkskammerpräsident Joachim Wohlfeil jetzt erneut hingewiesen. Foto: Shotshop/Imago

Evaz hat seine praktische Gesellenprüfung als Karosseriebauer mit der Note 1,4 bestanden. Aber in Gemeinschaftskunde ist der 27-jährige Afghane an seinen Deutschkenntnissen gescheitert. In einem halben Jahr wird er die mündliche Prüfung wiederholen, bis zu diesem Zeitpunkt weiterhin nur Auszubildendengehalt beziehen und mit seinem Juniorchef pauken.

Evaz ist motiviert. Er will seinen Abschluss, hat sich ganz gezielt für diesen Handwerksberuf entschieden und für den Ausbildungsbetrieb Adamiok GmbH.

Dieses Bruchsaler Traditionsunternehmen für Karosseriebau und Autolackierung wurde 2013 von Samir Celikcan übernommen. Gemeinsam mit seinem Sohn Kenan hat er den Betrieb für künftige Anforderungen ertüchtigt und technisch aufgerüstet. Die interne Kommunikation zwischen Werkstatt, Lager und Verkauf läuft zum Beispiel elektronisch. „Alle Mitarbeiter kommunizieren per i-Pad, auch die Auszubildenden, die aktiv an den Aufträgen beteiligt werden“, informieren die Unternehmer.

Trotz Innovationen und bewährter Praxis, Jugendliche mit Migrationshintergrund auszubilden, konnten sie keinen neuen Lehrling für ihren Betrieb finden.

Nicht nur bei Firma Adamiok bleibt die Ausbildungsstelle vorerst unbesetzt. 200 Lehrstellen in mehr als 50 Gewerken stehen in den Handwerksbetrieben des Kammerbezirks Karlsruhe noch offen, informiert Joachim Wohlfeil am Samstag, am Tag des Handwerks. „Bedarf besteht in allen Handwerksberufen, vor allem im Bau und Ausbau sowie den Lebensmittelgewerken wie Metzger und Bäcker“, so der Handwerkskammerpräsident. Aktuell sind rund 2.200 Lehrverträge geschlossen. Im vergangenen Jahr waren es 2.358.

Bedarf besteht in allen Handwerksberufen.
Joachim Wohlfeil, Präsident Handwerkskammer Karlsruhe

Wohlfeil weiß, dass dieses regionale Ergebnis einem bundesweiten Trend folgt. Die Demographie spielt eine Rolle und Corona hat die Lage zusätzlich belastet, räumt er ein. Ausbildungsmessen, Berufsorientierungen und praktische Erfahrungen in den Betrieben mussten entfallen. Dafür setzte das Handwerk verstärkt auf Werbe-Spots und Social Media. „Früher haben sich die Jugendlichen um eine Ausbildungsstelle beworben. Heute bewerben sich die Firmen um Jugendliche“, sagen die Ausbilder übereinstimmend.

Hightech ist in vielen Gewerken längst Standard

Das Handwerk muss sich neu darstellen, sind sich die Verantwortlichen einig. Wenn Eltern ihren Kindern von einer Ausbildung abraten, um sie vor gesundheitlichen Schäden und Schmutz zu bewahren, dann haben beide Generationen die Zeichen der Zeit nicht erkannt, vermutet Kenan Celikcan. Neben echter Handarbeit und Kreativität ist in den meisten Gewerken längst Hightech eingezogen und hat die Berufsbilder verändert. Das ließe sich bei einem Praktikum veranschaulichen. Aber nicht in Corona-Zeiten.

Für Transparenz sorgt zumindest die Lehrstellen-App der Handwerkskammer. Dort sind die freien Stellen gelistet und Berufsbilder beschrieben, um die Hemmschwelle bei den Jugendlichen zu senken.

Schon vor Corona haben sich Defizite im Schulbetrieb offenbart. Kenan Celikcan erinnert sich an seine Prüfung: zwei Schweißgeräte für 15 Prüflinge. Da muss nachgebessert werden, räumt Präsident Wohlfeil ein. Gerade ist er mit Karlsruhes Oberbürgermeister Frank Metrup im Gespräch.

Die Bildungsakademie des Handwerks platzt aus allen Nähten, weil die Ausbildungswerkstätten ständig vergrößert und dem technischen Fortschritt angepasst werden müssen. Ein Beispiel liegt auf der Hand: „Die Politik setzt auf E-Mobilität. Das ist ein Quantensprung, den wir ausbilden müssen, aber keinen Platz für eine eigene Ausbildungswerkstätte haben“, kritisiert der Kammerpräsident. „Die Verantwortlichen müssen Geld in die Hand nehmen, für die Ausstattung der Berufsschulen und der überbetrieblichen Bildungsstätten im Handwerk.“

Kenan Celikcan gibt die Hoffnung nicht auf. Bis November würde er für das seit 1. September laufende Ausbildungsjahr noch Mitarbeiter für Karosseriebau und Fahrzeuglackierung einstellen. Der versäumte Schulunterricht ließe sich nachholen, ist Celikcan Junior zuversichtlich.

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