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Traum vom Eigenheim platzt

Explodierende Kosten: Junge Familien trauen sich den Hausbau nicht mehr zu

Erst schossen die Materialpreise für Häuslebauer in die Höhe. Nun ziehen auch die Bauzinsen an. Für viele junge Familien bedeutet das: Aus der Traum vom Eigenheim.

Teurer Hausbau: Die Kosten für Holz, Stahl und Stein sind in den vergangenen beiden Jahren deutlich angestiegen.
Teurer Hausbau: Die Kosten für Holz, Stahl und Stein sind in den vergangenen beiden Jahren deutlich angestiegen. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Die sprunghaft angestiegenen Zinsen, explodierende Baukosten und die seit Jahren kontinuierlich steigenden Immobilienpreise verderben vielen jungen Familien die Lust auf die eigenen vier Wände.

„Während 2021 noch Torschlusspanik beim Immobilienerwerb herrschte, dominiert dieses Jahr das Gefühl: ,Ich habe den Zug verpasst’“, sagt Mirjam Mohr, Vorständin der Interhyp AG.

Zinsen für Immobiliendarlehen seit Jahresbeginn verdreifacht

Der Baufinanzierungsexperte Interhyp lässt in jedem Jahr seine „Wohntraumstudie“ erstellen, um die Stimmung potenzieller Hauskäufer auf dem Markt auszuloten. Und die wird schlechter.

Bei der Umfrage gaben jüngst 68 Prozent der Befragten an, einmal in den eigenen vier Wänden leben zu wollen (Vorjahr 72 Prozent), aber 34 Prozent von ihnen trauen sich den Kauf finanziell nicht zu.

Der Zinsanstieg bedeutet für Immobilienkaufende monatliche Mehrkosten von meist mehreren hundert Euro.
Mirjam Mohr, Vorständin der Interhyp AG

Interhyp macht dafür unter anderem das Zinsniveau verantwortlich. Durch die hohe Inflation und die sich ändernde Notenbankpolitik haben sich die Zinsen für Immobiliendarlehen seit Jahresbeginn verdreifacht – von rund einem auf über drei Prozent.

„Der Zinsanstieg bedeutet für Immobilienkaufende monatliche Mehrkosten von meist mehreren hundert Euro“, sagt Mohr. Sprich: Wer heute eigene vier Wände neu über einen Kredit finanziert, muss deutlich mehr von seinem Einkommen für die Raten abzwacken.

„Für Masse der Schuldner werden sich höhere Zinsen mit Verzögerung bemerkbar machen“

Die Commerzbank sieht trotz steigender Immobilienzinsen aber noch keine Gewitterfront aufziehen, vor allem nicht für die, die bereits vor vielen Jahren ihr Baudarlehen abgeschlossen haben und nun eine Anschlussfinanzierung brauchen.

„Bei langfristigen Zinsbindungen, die zum Beispiel vor zehn Jahren abgeschlossen wurden, ist nicht sicher, dass Zins und Belastung bei der Anschlussfinanzierung steigen, da das Zinsniveau beim damaligen Abschluss noch über dem heutigen lag“, sagt Johannes Kube, verantwortlich für das Privatkundengeschäft in der Commerzbank-Niederlassung Karlsruhe.

„Daher werden sich für die Masse der Schuldner die höheren Zinsen auch erst mit einer beträchtlichen Verzögerung bemerkbar machen.“

Deutlicher Preisschub bei Holz, Stahl und Stein

Laut Kube registriert die Commerzbank aber gleichzeitig, dass die teurer werdende Finanzierung potenzielle Bauherren „durchaus vorsichtiger werden“ lässt. Auch die Volksbank Karlsruhe Baden-Baden registriert einen Rückgang bei neuen Baukrediten.

„Die Kombination von steigenden Zinsen, unvermindert hohen Baukosten und gestiegenen Lebenshaltungskosten wird dazu führen, dass der ein oder andere Privatkunde seinen Bauwunsch nicht realisieren kann“, sagt Volksbank-Vorstand Martin Schöner. In diesem Fall müsse der Bankberater sagen: „Das Risiko ist zu groß, lass die Finger davon.“

Dass der Traum vom Eigenheim bei vielen jungen Familien aus der Mittelschicht platzt, ist nicht nur den Zinskonditionen bei der Finanzierung geschuldet, sondern vor allem den extrem gestiegenen Baukosten in den vergangenen zwei Jahren.

Zum einen haben die Lieferkettenprobleme infolge der Corona-Pandemie für einen deutlichen Preisschub bei Holz, Stahl und Stein gesorgt, zum anderen schlägt nun auch die Inflation zu. Laut Statistischem Bundesamt legten die Baupreise bei Wohngebäuden zwischen 2015 und 2020 noch vergleichsweise moderat um 15 Prozent zu. Seit zwei Jahren geht es jedoch rasant aufwärts.

Wir selbst haben noch keinen gestiegenen Beratungsbedarf festgestellt.
Tobias Erd, Diakonischen Werk

Allein im Mai dieses Jahres stiegen die Kosten für den Neubau konventionell gefertigter Wohngebäude um 17,6 Prozent gegenüber demselben Zeitraum ein Jahr zuvor. Das ist der höchste Anstieg innerhalb eines Jahres seit Mai 1970. Betonarbeiten wurden 23 Prozent teurer, das Dach decken kostete 19,4 Prozent mehr, die Preise für Metallbauarbeiten im Ausbaubereich stiegen innerhalb eines Jahres um 23,6 Prozent.

Derzeit keine steigenden Zahlen bei Zwangsversteigerungen

Obwohl die Kalkulation bei vielen Häuslebauern nun nicht mehr aufgehen wird, droht in den meisten Fällen aber nicht das Schlimmste: die Insolvenz. „Angesichts des konservativen Finanzierungsverhaltens erwarten die Commerzbank-Volkswirte keine Pleitewelle bei privaten Hausbauern“, sagt Kube.

Auch die Schuldnerberatung bemerkt hier noch keine Auffälligkeiten. „In der Schuldnerberatungsstelle (...) hat nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Ratsuchenden eine Immobilie. Wir selbst haben noch keinen gestiegenen Beratungsbedarf festgestellt“, sagt Tobias Erd vom Diakonischen Werk des Evangelischen Kirchenbezirks Baden-Baden und Rastatt.

Wie das Amtsgericht Karlsruhe auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, sind derzeit auch keine steigende Zahlen bei Zwangsversteigerungen zu verzeichnen.

Eine Trendwende ist auch längerfristig nicht in Sicht

Dass die Immobilienblase in den kommenden Monaten platzen wird, ist also wohl eher nicht zu erwarten. Denn ein Grundproblem bleibt: Grundstücke und Häuser werden selbst bei leicht gedämpfter Nachfrage nicht günstiger.

Zwar haben sich die Immobilien im ersten Quartal 2022 laut Statistischem Bundesamt im Vergleich zum Jahresende 2021 nicht wesentlich verteuert. Insgesamt ist das Niveau jedoch hoch, egal ob in Metropolen oder städtisch geprägten Landkreisen.

Selbst in dünn besiedelten Gebieten sind die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser laut den Statistikern innerhalb der vergangenen sechs Jahre um 65 Prozent angestiegen. Allgemeine Lohnsteigerungen können das nicht abfedern – sie werden von den explodierenden Lebenshaltungskosten aufgefressen.

Zahl der Haushalte werden trotz Bevölkerungsschwund zunehmen

Eine Trendwende ist auch längerfristig nicht in Sicht. Zwar schrumpft die Bevölkerungszahl in Deutschland, das wird aber wohl auch in den kommenden Jahren nicht zu deutlich mehr Angebot auf dem Immobilienmarkt und damit sinkenden Preisen führen. Das legt eine Untersuchung von Bernd Raffelhüschen und Roman Witkowski von der Universität Freiburg nahe.

Beide Forscher kommen zu dem Schluss, dass die Immobilienpreise entlang des Oberrheins mindestens bis 2060 weiter steigen werden: Im Stadtkreis Karlsruhe zwischen 15 und 30 Prozent, im Enzkreis zwischen 30 und 45 Prozent, und in den Landkreisen Rastatt, Karlsruhe, Ortenau und den Stadtkreisen Pforzheim und Baden-Baden sogar um mehr als 45 Prozent.

Ein wichtiger Grund dafür: Die Zahl der Haushalte und die Größe der Wohnflächen werden trotz allgemeinem Bevölkerungsschwund weiter zunehmen.

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