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Kritik an der Banken-Aufsichtsbehörde

Genossenschaftspräsident Roman Glaser zur BaFin: „Das ist ein massiver Eingriff in unsere Autonomie”

Genossenschaften sind für Roman Glaser kein alter Hut: Patienten könnten Miteigentümer von Ärztehäusern werden und Daten-Genossenschaften eine Alternative zu Google & Co. sein. Im BNN-Interview äußert er sich verärgert über Druck, den die Bankenaufsicht BaFin ausgeübt hat.

Roman Glaser, Präsident BWGV.
Kritisiert die Bankenaufsicht BaFin: Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbandes, sieht einen Eingriff in die Autonomie der Volks- und Raiffeisenbanken. Foto: Andrea Fabry

Die Corona-Krise könnte dazu führen, dass die Verbraucher dauerhaft regional produzierte Waren bevorzugen – und davon Genossenschaften profitieren. Diese Hoffnung hat Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbandes. Auch bei der Ärzteversorgung, vor allem auf dem Land, könnten Genossenschaften eine wichtige Rolle spielen.

Kritik übt Glaser an der Finanzaufsichtsbehörde BaFin. Diese habe Druck ausgeübt, vorerst auf die Ausschüttung von Dividenden zu verzichten – das sei ein inakzeptabler Eingriff in die Autonomie von Volksbanken und Raiffeisenbanken. Mit Glaser unterhielt sich BNN-Redakteur Dirk Neubauer.

Corona hat gezeigt, wie heikel es sein kann, wenn Vorprodukte in fernen Ländern entstehen. Genossenschaften stehen für die komplette Produktion in der Region. Werden diese insofern von Corona profitieren?
Glaser:

Viele Menschen hinterfragen die Wirtschaft anders als vor Corona. In den Vordergrund rücken dadurch Unternehmensformen, die für Transparenz und für Nachvollziehbarkeit stehen. Da sind wir dann ganz schnell bei den Genossenschaften ...

... aber wir leben in einer kurzlebigen Zeit. Aktuell mag der Verbraucher ja regionale Produkte eher wertschätzen, aber wie sieht es in zwei, drei Jahren aus? Wird dann immer noch eher zum heimischen Wein gegriffen, als zur billigeren Flasche aus Südafrika?
Glaser:

Diese Frage ist vollkommen berechtigt. Es bleibt eine Daueraufgabe für uns, deutlich zu machen, welchen Wert die Produkte und Dienstleistungen der Genossenschaften haben. Ich bin dankbar für jeden Verbündeten, so wie beispielsweise das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium mit seiner Kampagne „Wir versorgen unser Land“.

Volksbanken und Raiffeisenbanken werden es immer weniger. Wo sehen Sie Potenzial für neue Genossenschaften?
Glaser:

Viel versprechen wir uns von einem Projekt mit dem Sozialministerium. Dabei geht es um eine ganzheitliche Quartiersentwicklung, die genossenschaftlich organisiert und um weitere Dienstleistungen rund um das reine Wohnen ergänzt wird. Außerdem sind wir mit dem Hausärzteverband und dem Gemeindetag am Thema genossenschaftlich getragene Gesundheitsvorsorge. Da gibt es beispielsweise in Calw mit dem Medizinischen Versorgungszentrum eine sehr spannende Neugründung.

Sie sprechen Ärztehäuser und medizinische Versorgungszentren an. Nur gibt es eben auch viele institutionelle Anleger, die ihr Geld in Ärztehäuser stecken ...
Glaser:

Natürlich gibt es hier einen Wettbewerb der Modelle. Die Finanzierung ist ja aber nur die eine Seite der Medaille. Bei einem genossenschaftlich getragenen Ärztehaus ist der Arzt Miteigentümer. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied.

Inwiefern profitiert der Patient?
Glaser:

Zunächst einmal kommt es immer auf die ärztliche Leistung an. An einer Ärztehaus-Genossenschaft könnten sich aber auch Patienten beteiligen und profitieren – so wie es viele ja als Mitglied etwa der Volksbanken und Raiffeisenbanken kennen. Übrigens gibt es auch für Handwerksbetriebe gute Gründe, zu einer Genossenschaft umzufirmieren ...

... das Nachfolgethema ...
Glaser:

… ja, da könnten sich etwa mehrere Mitarbeiter an einem Handwerksbetrieb beteiligen und auf Wunsch auch der bisherige Eigentümer mit an Bord bleiben. Wir beschäftigen uns noch mit weiteren Themen. Es darf beispielsweise nicht sein, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen von großen amerikanischen IT-Konzernen abhängig sind, ihre Daten also nur bei Google & Co. liegen.

Und wie soll da eine Genossenschaft die Lösung sein?
Glaser:

Datengenossenschaften ermöglichen es kleinen und mittleren Unternehmen, von den Potenzialen der Digitalisierung und Vernetzung zu profitieren, ohne dabei in die Abhängigkeit großer, internationaler Plattformen zu geraten. Die Datengenossenschaft schafft einen Vertrauensraum, der Unternehmerinnen und Unternehmer dazu ermutigt, eigene Daten zu teilen. In einem durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg geförderten Projekt haben sich das Ferdinand-Steinbeis-Institut, die Lehrstühle Controlling und Wirtschaftsinformatik 1 der Universität Stuttgart sowie der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband das Ziel gesetzt, technische,betriebswirtschaftliche sowie rechtliche Grundlagen zur Etablierung von Datengenossenschaften zu erforschen.

Sie vertreten eine große Vielfalt an Genossenschaften. Reden wir über einige, die Volksbanken und Raiffeisenbanken mit der Corona-Hilfe etwa.
Glaser:

Unsere 168 Volksbanken und Raiffeisenbanken im Land haben wieder einmal gezeigt, dass sie nah an den Unternehmen dran sind. Sie haben im ersten Halbjahr allein 4.900 Förderkreditanträge mit einem Volumen von 1,7 Milliarden Euro bearbeitet.

Die Finanzaufsicht BaFin will, dass Ihre Banken für 2019 zunächst keine Dividenden an die Mitglieder ausbezahlen. Das ist doch Alarmstufe Rot.
Glaser:

Das ist ein massiver Eingriff in die genossenschaftliche Autonomie. Auf politischen Druck haben sich die Aufsichtsbehörden in Europa auf die Forderung bei den Dividenden verständigt, dies aber ohne Differenzierung nach der finanziellen Verfassung jeder einzelnen Bank. Dagegen wehren wir uns. Die Dividende einer Genossenschaftsbank bleibt im Kreislauf von deren Mitgliedern. Bei einer Bank,die eine börsennotierte Aktiengesellschaft ist, ist das nicht zwingend der Fall.

Sie klingen richtig sauer. Soll heißen, die BaFin soll sich um Fälle wie Wirecard kümmern?
Glaser:

Aufsicht ist wichtig, aber immer mit Maß. Was mich erschüttert ist Folgendes: Die BaFin als eine Anstalt des öffentlichen Rechts unterliegt der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen und hat zunächst über ihre Pressearbeit dafür geworben, dass Banken und Sparkassen vorerst keine Dividende ausschütten sollen. Rechtlich hat sie dafür übrigens keine Handhabe.

Das Eigenkapitalpolster der Genossenschaftsbanken reicht für die Herausforderungen in der Corona-Krise?
Glaser:

Ja, es hat sich gezeigt, wie wichtig es war, dieses Polster nach der Finanzmarktkrise aufzubauen.

Corona trifft auch Genossenschaften sehr unterschiedlich: Edeka und Rewe kommen gut durch die Krise. Intersport und Euronics, um zwei weitere Handelsunternehmen zu nennen, traf’s heftig.
Glaser:

Die Betroffenheit ist in der Tat unterschiedlich. Ich muss aber grundsätzlich dem Land Baden-Württemberg ein Kompliment machen. Es hat zügig nachjustiert. Raiffeisenmärkte beispielsweise durften nach dem Lockdown zunächst nicht öffnen. Dann hat das Land sehr schnell erkannt, auch durch unsere Überzeugungsarbeit, dass dort Güter des täglichen Bedarfs eingekauft werden, und ließ die Öffnung zu. Auch unsere genossenschaftlichen Blumengroßmärkte durften wieder handeln. Das ist gut so, denn Blumen bedeuten auch Lebensfreude. Gerade in Krisenzeiten brauchen wir diese. Unabhängig von den Branchen: Alle Genossenschaften werden durch Corona Umsatzverluste erleiden. Nehmen Sie nur das Thema Wein: Mit der mehrwöchigen Schließung der Restaurants ist ein wichtiger Absatzkanal weggebrochen.

Die Winzergenossenschaften haben es eh nicht leicht. Stichwort neues Weinrecht. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner will sich an Ländern wie Italien, Frankreich oder Spanien orientieren. Bei bestem Qualitätsanspruch wird die exakte Lage genannt ...
Glaser:

... Frau Klöckner sollte nicht vergessen, dass 70 Prozent des Weinbaus in Baden-Württemberg genossenschaftlich organisiert sind. Und für Genossenschaften ist neben der Einzellage die Großlage von besonderer Bedeutung. Wir wehren uns, dass das mit einem Federstrich zunichtegemacht werden soll. Für etwaige Änderungen fordern wir daher eine angemessene Übergangsfrist.

Wir sind hier im Akademiehotel des Genossenschaftsverbandes. Das wird wohl in diesem Jahr tiefrote Zahlen schreiben, oder?
Glaser:

Hotel- und Bildungsbetrieb waren ja zwangsläufig über Wochen stationär nicht möglich. Die Ausfälle können Sie nicht wieder aufholen. Positiv ist, dass die Mitarbeiter schnell die technischen Möglichkeiten genutzt haben. Das Angebot an Fernseminaren wurde erheblich ausgebaut.

Und wie sieht es mit der wirtschaftlichen Lage des Genossenschaftsverbandes aus?
Glaser:

Es ist gut, dass wir in den vergangenen Jahren Reserven gebildet haben. Wir können noch nicht genau prognostizieren, wie wir bis zum Jahresende abschneiden.

Szenarien gibt es aber ...
Glaser:

Ja, damit gehen wir aber zunächst in unsere Gremien und nicht vorab an die Öffentlichkeit. Eines kann ich aber sagen: Wir werden aufgrund unseres soliden Wirtschaftens in den vergangenen Jahren auch das schwierige Jahr 2020 überstehen und den BWGV zum Nutzen seiner Mitgliedsgenossenschaften zukunftsfähig weiterentwickeln.

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