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Interview

Was eine Heidelberger Büro-Knigge-Expertin zu Shorts am Schreibtisch, Tattoos und lockeren Grußformeln sagt

Der Büro-Knigge ist auch nicht mehr der, der er einmal war. Dennoch gibt es Tabus. Die IHK-zertifizierte Knigge-Trainerin Barbara Kaiser sagt im BNN-Interview, was für sie dazu gehört.

Auch Knigge-Empfehlungen ändern sich: Barbara Kaiser, Vorstandsmitglied der Deutschen-Knigge-Gesellschaft, äußert sich im BNN-Interview zu aktuellen Aspekten des Büro-Benimms.
Auch Knigge-Empfehlungen ändern sich: Barbara Kaiser, Vorstandsmitglied der Deutschen-Knigge-Gesellschaft, äußert sich im BNN-Interview zu aktuellen Aspekten des Büro-Benimms. Foto: Kaiser PR

In vielen Büros wird ungefragt geduzt, selbst bei vielen Banken und Versicherungen ist der (Krawatten-)Knoten geplatzt. Tattoos blitzen am Arbeitsplatz auf.

Die Heidelberger Knigge-Trainerin Barbara Kaiser sagt im Gespräch mit BNN-Redakteur Dirk Neubauer, was sie davon hält – und weshalb so manche klassische Regel nicht mehr pauschal gilt.

„Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“ – über diese generelle Aussage von Karl Lagerfeld ließe sich sicher streiten. Nur: Inzwischen kommen auch welche mit Jogginghosen zur Arbeit. Frau Kaiser: Ist der Büro-Knigge noch zu retten?
Barbara Kaiser

Der ist schon noch zu retten. Ich denke, es kommt sehr auf die Branche an, in der ich tätig bin. Wenn ich in der Freizeitbranche arbeite, zum Beispiel im Büro eines Sportstudios, ist das Tragen von Jogginghosen in Ordnung. Ansonsten hat Freizeitkleidung in Büros nichts zu suchen, also auch Shorts nicht. Das wirkt sonst auf andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihr Bestes geben, nicht motivierend. Und Freizeitkleidung im Kundenkontakt – das geht gar nicht.

Selbst Top-Manager tragen mitunter Sneaker zum Anzug. Banken und Versicherungen haben den Krawattenzwang abgeschafft.
Kaiser

Schon vor der Pandemie habe ich beobachtet, dass – selbst in konservativen Branchen – die Jüngeren von der Krawatte Abschied genommen haben. Aber wenn Sie in Frankfurt zu Bankern gehen, dann stellen Sie fest: Deren Bekleidung ist tipptopp. Ich sehe dort hochwertige Bekleidung, zum Beispiel das Hemd mit Doppelmanschette und Manschettenknöpfen – und keine Sneaker zum Anzug.

Sind Sie noch so streng und empfehlen der Businessfrau prinzipiell Strumpfhosen in bestimmten Garnstärken zum dunklen Kostüm?
Kaiser

Prinzipiell ja, aber es kommt immer darauf an, wie konservativ die Branche ist und wie das Gesamtbild in einer Firma aussieht. Ist man neu in einem Unternehmen, dann ist es sinnvoll, nach dem Dresscode zu fragen oder auch zu schauen, wie es sich im Internet darstellt. Wenn Sie keine Kundenkontakte haben und der Stil im Unternehmen lässiger ist, kann ich es mir durchaus vorstellen, dass man im Sommer auf das Tragen der Strumpfhose verzichtet. Es gibt da keine generelle Regelung mehr, auch nicht zu den Garnstärken.

In südeuropäischen Ländern wird auch während der Sommermonate eher mehr als weniger Kleidung getragen.
Kaiser

Da sind die Dresscodes immer noch konservativer. Ich komme viel nach Italien, da kann ich Ihre Einschätzung absolut bestätigen. Auch in Frankreich geht der Trend in Richtung Business Casual. Aber bei offiziellen Anlässen ist dort die Krawatte zum Anzug noch viel häufiger verbreitet als bei uns.

Frau Kaiser, wo sind eigentlich all die Krawatten geblieben, die man vor Jahren noch in deutschen Büros sah?
Kaiser (lacht)

In den Schränken der Herren. Und die Jüngeren kaufen erst gar keine mehr.

Oft gibt es ja Wellenbewegungen, so auch in der Mode. Kommt die Krawatte irgendwann wieder zurück?
Kaiser

Zumindest sehe ich, dass man sich wieder etwas schicker kleidet. Jetzt, wo die Pandemie hoffentlich langsam ausläuft, geht es nicht mehr so extrem lässig zu. Aber ich glaube, dass sich die Nicht-Krawatten-Events ihren festen Platz erobert haben, gerade bei jüngeren Mitarbeitern.

Jeder fünfte Deutsche hat ein Tattoo. Darf ein solches aus Ihrer Sicht im Büro aufblitzen?
Kaiser

Bei einem Einstellungsgespräch würde ich dringend davon abraten. Ich kenne viele Personaler, die sichtbaren Tattoos kritisch gegenüberstehen. Ich kenne aber auch Banker, die Tattoos tragen – aber eben nicht sichtbar. Das Problem bei Tattoos ist, dass Tattoos immer eine Story erzählen. Die Frage ist, ob man seiner Umwelt eine solche Story mitteilen will. Man zwingt da vielleicht jemandem im Berufsleben etwa zu Persönliches auf.

Manche Mitarbeiter sind verunsichert: Ein Mann alter Schule, der bislang – gleich ob einer Frau, einem Mann oder einem Kind – jedem die Tür aufhielt, weiß nicht, wie er sich noch verhalten soll.
Kaiser

Das ist eine Höflichkeitsgeste, auch dass ein Chef jemandem beim Eintreten die Tür offenhält. Ein weiteres Beispiel: Ich kann als Frau durchaus einem Herrn, der älter oder gebrechlicher ist, beispielsweise im Restaurant den Mantel abnehmen. Da würde ich mich also nicht verunsichern lassen, sondern einfach machen. Wenn jemand das als übergriffig empfindet, kann er ja freundlich sagen, dass er lieber selbst den Mantel abnimmt.

Zum Thema Restaurant oder Kantine. Dort fällt auf: Immer mehr machen einen auf Amerikanisch. Die benutzen nicht mehr beide Hände fürs Besteck und legen den Ellenbogen auf den Tisch.
Kaiser

Ich habe viele Auszubildende in Sachen Tisch-Knigge unterrichtet und festgestellt: Das ist nicht Faulheit bei ihnen; das hat ihnen zuvor keiner vermittelt. Sie haben die Regeln für Tisch-Knigge dann sehr gern von mir angenommen.

Lassen Sie uns übers Duzen reden. Traditionsreiche Konzerne duzen ungefragt ihre Kundinnen und Kunden. In Stellenanzeigen werden potenzielle Bewerber häufig geduzt. Verwundert es da noch, dass Auszubildende selbst in der Hierarchie höher Gestellte per Du ansprechen?
Kaiser

Ich weiß, dass sich sowohl Kunden als auch Auszubildende oft nicht wohl fühlen, wenn immer ein Du herrscht. Es ist so: Wenn ich neu in ein Unternehmen komme und es heißt dort „wir duzen uns alle“, dann würde ich nicht versuchen, eine Sonderrolle einzunehmen. Interessant sind die gemischten Verhältnisse, wo geduzt und gesiezt wird. Es gilt die Regel: Der in der Hierarchie höher Stehende bietet das Du an. Einmal angeboten, kann man es nicht zurücknehmen. Das ist wie bei der Zahnpasta-Tube. Wenn die Paste mal draußen ist, bekommt man sie nicht zurück.

Im Schriftverkehr zwischen Unternehmen werden sogar Chefinnen und Chefs gerne kumpelhaft mit „Hallo“ begrüßt und nicht mehr mit dem klassischen „sehr geehrte Frau“ oder „sehr geehrter Herr“. Wäre ein „Guten Tag“ ein Kompromiss?
Kaiser

Ja, aber ich finde ihn nicht immer so freundlich und so wertschätzend. Mit einem „sehr geehrte beziehungsweise sehr geehrter …“ kann man nichts falsch machen. Kennt man jemanden besser, darf man auch zum „Lieber/Liebe“ übergehen oder zu einem „Hallo“. Die deutsche Sprache bietet so viele Möglichkeiten, warum sollte man sich nur auf das „Hallo“ beschränken?

Was halten Sie von Emojis in E-Mails, die innerhalb einer Firma versendet werden?
Kaiser

Gar nichts. Das ist ein No-Go …

… vermutlich werden Sie mit dieser Einschätzung viele Mitarbeiter zu einem Kopfschütteln bringen. Daher mal ganz allgemein gefragt: Was bringt ein Büro-Knigge einem Unternehmen und seinen Mitarbeitern?
Kaiser

Zum einen, dass der Umgang respektvoll ist. Zum anderen geht es darum, dass ich Dinge strukturiere, klare Absprachen treffe, damit etwa bei einem Meeting auch etwas herauskommt.

Sie meinen vermutlich solche Dinge, wie dass man pünktlich an einem Meeting teilnimmt. Manche arbeiten während einer Besprechung auch am Laptop oder scrollen am Handy …
Kaiser

… das geht gar nicht, das steht ganz weit oben auf der No-Go-Liste. Die anderen fühlen sich da ausgeschlossen und denken: „Was ich jetzt mache, spielt für den oder diejenige am Handy keine Rolle.“

Sie kämpfen weiter für den Büro-Knigge.
Kaiser (schmunzelt)

Ich kämpfe nicht, ich bringe ihn vieles bei und vermittele es. Der Sinn ist, dass wir verbindlich und freundlich bleiben. Auch mögliche Konflikte können übrigens durch das „Schmiermittel Freundlichkeit“ im Vorfeld reduziert werden.

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