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Druck auf Geschäftsmodell

Corona in Schlachthöfen: Das Beispiel Müller-Fleisch in Birkenfeld ist Mahnung für eine ganze Branche

Die deutsche Fleischindustrie gerät in Folge der vielen Corona-Infektionen generell unter Druck. Allein bei Müller-Fleisch in Birkenfeld sind zunächst 330 und in der Nachtestung weitere 82 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen.

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Die Quarantäne über Müller-Fleisch in Birkenfeld wird am Montag aufgehoben. Auch der Werkverkauf darf wieder geöffnet werden. Foto: Fix

Patient eins des Corona-Debakels in der Deutschen Fleischindustrie hat sich selbst gemeldet. Der Mann aus Neuenbürg fühlte sich schlecht. Da er sich nicht auskennt und überdies nur rumänisch spricht, wendet er sich an die Polizei.

Von dort bis zum Gesundheitsamt Enzkreis ist es nicht weit. Und damit steigt das bis zu diesem 7. April sehr überschaubare Corona-Geschehen in Pforzheim und den umliegenden Gemeinden sprunghaft an. Gute eine Woche später ist klar, dass 80 von 240 Menschen mit dem Virus infiziert sind. Auf dem Höhepunkt der Infektionskette sind es 330.

Das Bindeglied zwischen all diesen Männern und Frauen ist ihr Arbeitsplatz bei Müller-Fleisch in Birkenfeld. „Sofort schließen“, wird zahlreich gefordert. Und dies immer lauter, seitdem das Thema getragen von Betriebsschließungen in Deutschlands Fleischgürtel mit 17.000 Beschäftigten zum bundesweiten Aufreger wird.

Jüngste Beiträge dazu liefern Pforzheims FDP-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, Hans-Ulrich Rülke, und sein Kollege Erik Schweickert sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Gewerkschaft Nahrung und Genuss (NGG).

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Rindfleisch wohin das Auge schaut: Müller-Fleisch gehört zu den größten Verarbeitern in der Republik. Foto: Kollros

Das Enzkreis-Landratsamt entscheidet in Absprache mit dem Landeskompetenzzentrum Gesundheitsschutz anders. Die Großschlachterei mit etwa 1.100 Mitarbeitern wird unter Quarantäne gestellt. Dies habe auch die NGG mitgetragen, heißt es im Landratsamt. Die Allgemeinverfügung dazu gilt bis diesen Sonntag. Nachdem bei Nachtests an rund 800 Müller-Mitarbeitern weitere 82 Corona-Infizierte entdeckt worden sind, steht eine Verlängerung im Raum.

Müller-Fleisch muss Pandemieplan 2.0 vorlegen

„Es muss sich etwas grundlegend ändern“, sagt Enzkreis-Landrat Bastian Rosenau angesichts der neuen Zahlen. Er verbietet Neueinstellungen und fordert von dem Fleisch-Konzern bis Ende der Woche einen „Pandemieplan 2.0“. Rosenau zielt damit auf Betriebsabläufe, er meint aber vor allem auch die teils äußerst beengten Wohnverhältnisse eines Großteils der Corona-Infizierten.

Die Verantwortung liegt bei der Fleischindustrie für die gesamte Kette der Beschäftigten bei dieser Infektion
Katja Mast, SPD-Bundestagsabgeordnete

Gewerkschaften und Politiker gehen weiter. „Die Verantwortung liegt bei der Fleischindustrie für die gesamte Kette der Beschäftigten bei dieser Infektion“, sagt Pforzheims SPD-Bundestagsabgeordnete Katja Mast am Mittwoch bei der Aktuellen Stunde im Bundestag. Sie stellt grundsätzlich in Frage, dass Firmen im Kernbereich ihrer Tätigkeit fast ausschließlich mit nicht direkt angestellten Menschen arbeitet

450 von 1.100 Mitarbeitern sind direkt angestellt

Müller-Fleisch hat im April Zahlen dazu offengelegt, nachdem Coronaviren auf den Geschäftsbetrieb durchschlugen. Man habe rund 450 eigene Mitarbeiter, alle anderen brächten sogenannte Dienstleister. Es sind Firmen mit osteuropäischen Wurzeln. Sie bringen Männer und Frauen aus Polen, Rumänien, der Ukraine und anderen Staaten in dieser Region zu Schnitzeln, Spießchen, Steak und Hackfleischarrangements an die Verpackungsfließbänder in Birkenfeld. Auch Metzger mit mehreren 1.000 Kilometer Anfahrtsweg sind gefragt.

Fokus bei den Opfern des Produktionsmodells

Andere Kräfte seien auf dem deutschen Markt kaum zu bekommen, heißt es bei Müller-Fleisch. Alles eine Frage der Bezahlung, halten dem Kritiker entgegen. Sie fokussieren überdies, wie in der Aktuellen Stunde, auf die Opfer des Produktionsmodells der exportorientierten deutschen Fleischwirtschaft.

Saisonales Gemüse wirkt teuer

Die Kehrseite einer Fleischproduktion, die saisonales Gemüse teuer erscheinen lässt, ist in Ställen ebenso zu besichtigen wie auf Lohnzetteln, bei Arbeitszeiten und in Unterkünften der Wanderarbeiter. „Nicht nur das Tier, sondern auch der Mensch leidet unter dem Preisdumping der Fleischproduzenten“, urteilt etwa Susanne Nittel vom DGB in Pforzheim.

Gemeinsam mit NGG-Regionalgeschäftsführer Elwis Capece beklagt sie, dass auch neu eingestellten Werksvertragsarbeiter monatlich 260 Stunden arbeiten müssten. „Die sieben Tagewoche scheint immer ein gängiges Arbeitszeitmodell zu sein.“ Müller-Fleisch teilt dazu mit, man halte sich an das deutsche Arbeitsrecht.

Auch Edeka-Fleischwerk in der Kritik

Ein Schlaglicht auf das, was auf Mitarbeiterebene geht, wirft Ende April auch das Edeka-Fleischwerk in Rheinstetten. Dessen polnischer Subunternehmer „Meat Pros“ soll Kräfte aus der Ukraine mit gefälschten EU-Pässen ausgestattet haben. Dort wie in Birkenfeld zeigte sich schnell, dass womöglich auch Unterkünfte für das Personal aus den Randzonen Europas eine Geldquelle für Vermittler sein könnten.

60 Wohnungen und Sammelunterkünfte in vier Landkreisen

Zumindest in der Umgebung von Müller-Fleisch sind viele Einwohner betroffener Gemeinden überzeugt davon. Die Menschen sind in über 60 Wohnungen und Sammelunterkünften in vier Landkreisen untergebracht, rechnet Mast vor.

Es sind ehemalige Hotels, Seniorenheime, Ferienwohnungen, die sonst keiner mehr will, Bruchbuden. Für Coronaviren bilden die meisten davon über Gemeinschaftsküchen und -bäder sowie enge Verhältnisse eine prima Brutstätte.

Dass sie auch geeignet sind für eine Corona-Quarantäne ohne Arbeitsbezug, wird im Enzkreis-Landratsamt bezweifelt. Die Handlungsstrategie folgt bislang der Vorgabe: Besser den Laden zusammenhalten, statt durch eine Schließung eine schier unkontrollierbare Situation mit fast 800 direkt oder indirekt Betroffenen zu schaffen.

Parallel dazu sind drei Quarantänezentren für Infizierte eingerichtet worden. Eines davon wir noch genutzt. Bezahlen soll dies Müller-Fleisch, findet nicht zuletzt die Enzkreis-CDU.

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