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Brüche und Schädelprellung

95-Jährige an Zebrastreifen in Mühlacker angefahren: Mann kommt mit Geldstrafe davon

Weil er echte Reue zeigte, entgeht der 55-Jährige einem Fahrverbot. Dabei spielen auch seine Lebensumstände eine Rolle.

Ein Passant geht mit seinem Rollkoffer über einen Zebrastreifen.
Ein Zebrastreifen, hier ein Symbolbild, sollte für Fußgänger eigentlich eine sichere Möglichkeit sein, auf die andere Straßenseite zu kommen. Foto: Guido Kirchner/dpa

Am 29. Januar 2023 hatte ein Autofahrer auf der Goethestraße in Mühlacker eine damals 95-Jährige mit Rollator auf dem Zebrastreifen angefahren und sie dabei schwer verletzt. Der Pkw-Fahrer hat es am Dienstag seinem offensichtlich sehr schlechten Gewissen zu verdanken, dass er ein Fahrverbot umkurvte und Richter Bernd Lindner es bei einer Geldstrafe von 1.500 Euro beließ.

Am Tag des Unfalls war der Angeklagte gegen 16 Uhr mit rund 20 Kilometern pro Stunde immer noch zu schnell stadtauswärts auf der Goethestraße unterwegs. Die Sonne stand nämlich tief – und machte den Zebrastreifen auf Höhe des Biomarktes Denn’s für Autofahrer, die aus der Innenstadt kamen, nahezu unsichtbar.

Dass der 55-Jährige deutlich die Geschwindigkeit seines VW-Kleinwagens gedrosselt hatte, reichte ihm nicht mehr, um rechtzeitig zu bremsen, als er die Fußgängerin bemerkte. Er erfasste die 95-Jährige, die die Straße, gestützt auf ihren Rollator, überquerte. Mit Oberschenkelhalsbruch, Unterschenkelbruch und Schädelprellung wurde die hochbetagte Frau schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht, wo sie operiert werden musste, einige Tage auf der Intensivstation lag und erst Mitte Februar wieder entlassen werden konnte.

Dass der Aufprall mehr als ein leichtes Touchieren gewesen sein muss, davon zeugte auch die Windschutzscheibe des Kleinwagens, die auf der Fahrerseite gesplittert war.

Sichtverhältnisse waren nachweislich schlecht

Bilder vom Unfallort, ein Zeuge, der hinter dem Unfallverursacher fuhr, und auch die Polizei bestätigten die miserablen Sichtverhältnisse an dem Winternachmittag. Dieser Umstand allein hätte Amtsgerichtsdirektor Lindner bei der Verhandlung am Dienstag in Maulbronn allerdings kaum dazu bewegt, von dem Fahrverbot, das mit dem Strafbefehl erging, abzusehen.

Lindner machte mehr als einmal deutlich, was er von der „angepassten“ Geschwindigkeit hielt, auf die der Angeklagte und sein Verteidiger, Andreas Melter, sich beriefen. „Bei einem Zebrastreifen ist damit zu rechnen, dass jemand darüber läuft. Spielende Kinder, Frauen mit Rollator. Wenn Sie nichts sehen, sind 20 Stundenkilometer viel zu schnell. Was hätten Sie getan, wenn ein Kind auf die Straße geflitzt wäre?“ Schrittgeschwindigkeit wäre angepasst gewesen, so Lindner.

Auch er selbst sei an einer Ampel schon einmal ausgestiegen, um zu sehen, ob diese auf Grün steht. „Wahrscheinlich wurde ich für verrückt gehalten“, plauderte der Richter aus dem Nähkästchen.

Angeklagter ist für seine Familie auf das Auto angewiesen

Mit dem Strafbefehl, der neben 30 Tagessätzen zu je 60 Euro auch ein einmonatiges Fahrverbot vorsah, wollte sich der 55-Jährige nicht abfinden und legte Einspruch ein, auch aus organisatorischen Erwägungen. Er sei in der Familie der Einzige mit Führerschein und müsse seine psychisch kranke Frau und seinen Bruder, der mit einer Behinderung im gleichen Haus wie er im östlichen Enzkreis lebt, regelmäßig zu Arztbesuchen fahren. Auch zur Frühschicht in seinem Job fahre er mit dem Auto. „Ein Fahrverbot darf auch unangenehm sein“, belehrte Lindner den Angeklagten.

Dass der Angeklagte mit seinem Einspruch Erfolg hatte und ihm das Fahrverbot erspart blieb, hatte er seiner Einsicht zu verdanken: „Ich habe aus meinem Fehler gelernt und warne auch alle meine Freunde davor, zu schnell zu fahren.“

In puncto Entschuldigung bei der Geschädigten blieb er trotz deren anfänglicher Abfuhr hartnäckig. Er besuchte die Seniorin im Krankenhaus, wo sie „noch sauer“ gewesen sei und ihn nicht habe sehen wollen und später im Pflegeheim. „Ich habe großes Glück, dass die Dame noch lebt und mir verziehen hat“, erklärte er. Für Richter Bernd Lindner reichte die Reue, um auf ein Fahrverbot als „zusätzliche erzieherische Maßnahme“ verzichten zu können.

Wenig Verständnis hatte der Amtsgerichtsdirektor indes für das Ansinnen von Verteidiger Andreas Melter, der es einen „Ermessensfehler“ nannte, dass die Staatsanwaltschaft die Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung auf eigenes Betreiben, im „öffentlichen Interesse“, weiterverfolgt habe, obwohl sogar das Unfallopfer auf eine Anzeige verzichtet habe. Seinem Mandanten, den das Ereignis sehr belastet habe, hätte nicht noch eine „fahrlässige Körperverletzung“ auf den Rücken gebunden werden müssen, so Melter.

„Da wollen wir die Kirche im Dorf lassen“, schrieb Richter Lindner sowohl dem Anwalt als auch dem Unfallfahrer ins Stammbuch. „Das Unfallopfer hat mit Glück überlebt.“ In dem Alter könne bei solchen Verletzungen alles passieren. „Bei 50 Stundenkilometern und guter Sicht hätten wir über einen dauerhaften Entzug ihres Führerscheines geredet“, stellte Lindner klar, dass er im Urteil die besonderen Umstände sehr zugunsten des Angeklagten berücksichtigt habe.

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