Seit dieser Woche wird der Innenraum des Nußbaumer Kirchenschiffes von 1388 (Ostseite) und 1811 (Westseite) saniert. Die Arbeiten sollen einen Monat dauern und kosten 105.000 Euro. Außerdem wird die von Pilz befallene Orgel von 1893 für rund 40.000 Euro durch die Orgelbaufirma Vier aus Oberkirch restauriert. Hierzu werden Teile in Etappen ausgebaut und mitgenommen, deren Restauration vor Ort nicht möglich ist. Zum Streichen des Langhauses muss die „Königin der Instrumente“ verhüllt werden.
Anstatt der bisherigen Cremefarbe werden die Wände mit einem dunkleren Weiß und die Decke mit einem helleren gestrichen. Auch die Umrandungen der acht hohen Fenster aus dem Jahre 1811 mit den großen, abgeschrägten Steinsimsen erhalten eine neue Kolorierung. Zudem werden die Risse an den Wänden repariert. „Dies sind einfache und ungefährliche Spannungsrisse“, teilte Pfarrer Reinhard Ehmann auf Anfrage mit.
Fünfte Renovierung seit 1904
Die Erneuerung erinnert an die lange und wechselvolle Geschichte der über 700 Jahre alten Kirche mit ihren vielen Renovierungen. Allein seit 1904 ist es bereits die fünfte, abgesehen von der Restaurierung der Fresken im Chorraum. Das von außen recht einheitlich wirkende Gotteshaus gehört nicht weniger als fünf großen Bauepochen an. Die Pfarrkirche Sankt Stephan geht nämlich auf den Anfang des 14. Jahrhunderts zurück. Sie zählt zu den 100 schönsten deutschen Dorfkirchen und ist das älteste erhaltene Bauwerk in Neulingen.
Als reizvolles Beispiel dörflicher Sakralarchitektur des Mittelalters und der Neuzeit ist das Gotteshaus malerisch in den alten Ortskern von Nußbaum eingebunden. Ihr heutiges Aussehen hat die Kirche mehrfachen baulichen Veränderungen und Vergrößerungen zu verdanken, wenngleich diese teils negativ waren. Sie wurde hierbei nicht nur in alle vier Himmelsrichtungen erweitert, sondern auch erhöht.
Im Mittelalter mehrmals schwer beschädigt
Der älteste Teil des Gotteshauses ist der aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts stammende große Chorraum. Das nunmehr nahezu quadratische Schiff wurde vermutlich um 1388 um jeweils etwa zwei Meter nach Norden und Süden verbreitert beziehungsweise abgebrochen und neu aufgebaut. Es wurden auf der Nord- und Südseite jeweils vier schmale Spitzbogenöffnungen paarweise übereinander angebracht. Das Langhaus erhielt einen doppelgeschossigen Speicher. Aus dieser Zeit stammt auch der gotische Eingang auf der Nordseite, genannt die „schöne Pforte“. Die Anlage wurde zur Wehrkirche ausgebaut.
1492 ist die im Mittelalter mehrmals schwer beschädigte Kirche instandgesetzt worden. Dabei ist im Chorraum ein trapezartiger Polygonanbau angebracht, das Netzgewölbe eingezogen und mit wertvollen Fresken ausgemalt worden. Hierzu wurde in statisch bedenklicher Konstruktion die Ostwand im Erdgeschoss in ihrer ganzen Breite ausgebrochen. Um dem Turm wieder seine Stabilität zu geben, erhielt die Süd- und Nordseite einfache Widerlager (Strebepfeiler).
Um 1800 musste die Gemeinde wegen des Zerfalls im Freien feiern
1578 ist der Turm in Achteckbauweise vollendet worden. Da dessen obere Stockwerke auf dem Netzgewölbe ruhen, hat dies im Lauf der Jahrhunderte zu erheblichen Bauschäden geführt. In der Neuzeit wurde das Gotteshaus durch Kriege beschädigt, vor allem gegen Ende des 17. Jahrhunderts, wobei das Kirchenschiff ausgebrannt sein soll. Im Lauf des 18. Jahrhunderts geriet der Sakralbau in schweren Zerfall mit ruinengleichen Mauern, die von meterhohen Schutthügeln umgeben waren.
Wegen akuter Einsturzgefahr des Langhauses sammelten sich die Gläubigen damals zum Gottesdienst überwiegend im Freien. Erst 1811 erfolgte der Wiederaufbau, wobei die Kirche in ihrer heutigen Größe und Gestalt vollendet wurde. Dabei wurde zugleich das Langhaus um zwei Fensterachsen nach Westen verlängert, um für die größer werdende Gemeinde mehr Platz zu bekommen.
Anlieferung der Orgel unter erschwerten Bedingungen
Die Orgel wurde 1893 unter dem damals schon 78-jährigen, musikalischen Pfarrer August Wilhelm Ludwig beschafft. Wie der Evangelische Oberkirchenrat in Karlsruhe am 18. März 1893 an die Kirchengemeinde schrieb, wurde der Bau einer neuen Orgel vorbehaltlich der Zustimmung der Großherzoglichen Staatsregierung genehmigt. Am 10. November desselben Jahres wurde von der Orgel-Fabrik H. Voit und Söhne aus Karlsruhe-Durlach die Disposition für eine neue Orgel in die evangelische Kirche zu Nußbaum erstellt. Es waren 16 klingende Stimmen, verteilt auf zwei Manuale und Pedal mit 861 Pfeifen, das Gehäuse aus Tannenholz mit Ölfarbanstrich, der Preis betrug 6.000 Mark.
Reinhard Bischoff in Keltern-Ellmendingen, der in Nußbaum aufwuchs, weiß aus Überlieferungen von längst verstorbenen Einwohnern, dass die Orgel im Dezember 1893 im Brettener Güterbahnhof mit einem Pferdefuhrwerk abgeholt wurde. Auf der vereisten Straße seien die Pferde ausgerutscht, wodurch sich der Anhänger auf die Seite neigte und an einem Rain landete. Zum Glück blieb die Orgel unbeschädigt. Ebenso ist überliefert, dass sie nicht durch die Türöffnung an der Westseite des Kirchenschiffes passte. So musste der Steintürrahmen notgedrungen herausgebrochen werden. Zuvor sei nichts mehr vor- und zurückgegangen.
Der anfängliche Plan, die Orgel von 1812 noch einmal zu sanieren, wurde nach langen Überlegungen aufgegeben. Mehr Informationen zur Geschichte der Nußbaumer Kirche gibt es in einem Kirchenführer, den der Verlag Jeff Klotz im Schloss Bauschlott in wenigen Wochen herausbringen wird.