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Datenklau per Fehlinfo

Fake News: Warum ein angeblich entführter Junge aus Pforzheim ein Mädchen aus den USA ist

Die Nachricht, dass ein 7-jähriger Junge aus Pforzheim entführt worden sei, fand in den sozialen Medien schnell Widerhall. Die Polizei entlarvt die Meldung als falsch und ermittelt nun gegen den Betreiber der Seite. Und der vermisste Junge? Ist tatsächlich ein Mädchen aus den USA.

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fb vorschau Foto: Screenshot: BNN

Die Infos auf der Website waren spärlich, Wirkung erzielte sie dennoch: Die Nachricht, dass ein siebenjähriger Junge aus Pforzheim entführt worden sei, fand in den sozialen Medien am Montag schnell Widerhall. Die Polizei entlarvt die Meldung als falsch und ermittelt nun gegen die Urheber. Und der vermisste Junge? Ist tatsächlich ein Mädchen aus den USA.

Der Fahrer eines Audi A6, so stand es in einer kurzen Nachricht, habe den Jungen in Pforzheim in seinen Wagen gezerrt. Seitdem fehle von beiden jede Spur. Mit dem Text haben die Urheber auch ein Bild veröffentlicht. Es zeigt ein Kind mit kurzen, braunen Haaren. Offenbar der Junge, der verschwunden ist.

Die Seite kommt aus Polen

Veröffentlicht wurde die Information auf der Seite "fehltinf.pro-linuxpl.com", deren Aufmachung an ein typisches Nachrichtenportal erinnerte - wie auch der Name, der im Logo der Seite geschrieben stand: "NB News Box."

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Entführung-Pforzh Foto: Screenshot: BNN

Unter dem Text ist ein Video verlinkt, das den Tathergang zeigen soll. Wer es anklickt, wird zunächst aufgefordert, sich mit seinem Facebook-Account einzuloggen.

Ansonsten funktioniert auf der Seite eigentlich nichts.

Am Dienstag funktioniert dann auch die Seite selbst nicht mehr. Wer die URL eingibt, wird auf eine polnische Homepage weitergeleitet, die offenbar vorrangig Celebrity-News verbreitet. Die Redaktion des Portals teilt zunächst nicht mit, ob ihr die Weiterleitung bekannt ist - und was es damit auf sich haben könnte.

Fakt ist: Die Adresse "fehltinf.pro-linuxpl.com" liegt auf den Servern des polnischen IT-Unternehmens LinuxPL.com, das zahlreiche Domains zum Kauf anbietet.

Wer die Seite nun betreibt, verrät das Unternehmen nicht. Klar ist jedenfalls: Am Montag ist die Seite - oder besser: ihr einziger funktionierender Inhalt - noch mehrmals geändert worden.

Die Ermittler bestätigen das Offensichtliche

So wurde zwischendurch die Ortsmarke Pforzheim durch andere Orte ersetzt. So kursierte am Montag etwa in Österreich eine Meldung mit identischem Wortlaut und identischer Aufmachung. Sie verkündet: Ein 7-jähriger Junge sei in Österreich entführt worden.

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Bild der vermeintlichen Entführung aus PZ. Vergleichbare Fake News wurden auch in Österreich verbreitet Foto: Screenshot BNN

In den sozialen Netzwerken beginnen Menschen, die Nachricht des vermeintlichen Verbrechens zu teilen. Schnell erlangt die Polizei in Pforzheim Kenntnis von dem Fall. Die Ermittler bestätigen, was ziemlich offensichtlich ist: Bei der Nachricht handelt es sich um eine Falschinformation. Fake-News in der Goldstadt.

Für Inga Klas liegt der Fall am nächsten Tag ziemlich klar. Die Ettlingerin engagiert sich beim Karlsruher Verein "Medienkompetenz Team" und hat immer wieder mit entsprechenden Fällen zu tun. "Vergleichbare Falschmeldungen kursieren immer wieder in lokalen Whatsapp- oder Facebook-Gruppen", erklärt sie.

Wer ist der Junge auf dem Bild?

Meist steckten dahinter Menschen, die an die persönlichen Daten anderer wollen. Im Falle des vermeintlich entführten Jungens sei dazu offenbar das Video im Beitrag verlinkt worden. "Wer seine Daten da eingibt, gibt sie tatsächlich den Betreibern der Seite preis", sagt Klas.

Zum gleichen Schluss gelangt die Polizei in Pforzheim. "Wir ermitteln nun in der Sache, da wir davon ausgehen, dass der Tatbestand des Ausspähens von Daten erfüllt ist" teilt ein Sprecher der Polizei am Dienstag mit. Ob es tatsächlich Geschädigte gebe, sei derzeit noch unbekannt - wie auch die Frage nach den Tätern.

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Die Polizei selbst warnt auf ihren digitalen Kanälen vor der Falschmeldung. Das Bild des Jungen ist in den entsprechenden Beiträgen verpixelt. Auch die Identität des Jungen sei derzeit noch unklar, teilt der Polizeisprecher mit.

Ist da überhaupt ein Junge auf dem Bild?

Allerdings: Im Internet lassen sich deutliche Hinweise auf die Herkunft des Bildes finden. Sie führen allerdings nicht nach Pforzheim. Und auch nicht nach Österreich. Sondern nach Dayton, einer Stadt im US-Bundesstaat Ohio. Dort lebt Jetta Fosberg, eine Teenagerin.

Vor knapp sechs Jahren, Jetta Fosberg war da zehn Jahre alt, waren in ihrem Verwandtenkreis einige Menschen an Krebs erkrankt. Fosberg muss in dem Zusammenhang von der Hilfsorganisation "Wigs for Kids" erfahren haben. Wigs for Kids sammelt gespendetes Haar, um daraus Perücken für an Krebs erkrankte Kinder fertigen zu lassen, denen in Folge von Chemotherapien kein eigenes Haar mehr wächst.

Jetta Fosberg entschloss sich, der Organisation ihre Haare zu spenden - und ließ sich knapp 35 Zentimeter davon abschneiden. Die Folgen der Aktion sind im Internet gut dokumentiert - etwa bei Fox News:

In dem Fernseh-Beitrag nämlich beklagen Jetta und ihre Mutter, dass der Kurzhaarschnitt eine Mobbing-Kampagne an Jettas Schule zur Folge habe.

Jetta taucht in verschiedenen Kontexten auf

"Sie sagen Dinge wie: Jetzt will sie ein Junge sein, sie ist jetzt hässlich und andere verletzende Sachen", erklärt Jetta Fosberg in dem Video. Die Sache ist knapp sechs Jahre her und ausweislich von auf Facebook einsehbaren Familienfotos sind Jettas Haare längst wieder lang.

Bilder, die sie mit kurzen Haaren zeigen, kursieren aber immer noch zahlreich im Internet. Ganz offensichtlich haben die Hintermänner der Seite, die die vermeintliche Entführung vermeldet hat, das Bild des Fox-News-Beitrages für ihre Nachricht genutzt.

Und damit nicht genug: Wer etwa auf der russichen Suchmaschine Yandex das Bild in die Bildersuche eingibt, stellt fest, dass Jetta Fosbergs Bild etwa als Beispiel für gelungene und einfache Jungen-Haarschnitte auftaucht.

Jetta Fosbergs Vater Kenneth bestätigt auf Anfrage unserer Redaktion, dass es sich bei Person auf dem Bild eindeutig um Jetta handelt. Ihr Fall illustriert einmal mehr: Das Web vergisst nichts - und lädt dazu ein, Fehlinformationen zu produzieren, zu verbreiten - und im Zweifelsfall für kriminelle Zwecke zu nutzen.

Im Zweifel führt der Facebook-Account bis zum Bankkonto

Inga Klas vom Medienkompetenz Team rät daher, bei dubiosen Nachrichten stets skeptisch zu sein - und die Herkunft zu prüfen: "Gerade wenn die Nachricht spektakulär oder sensationell wirkt - wie etwa im Falle einer Kindesentführung - die Quelle uns aber nicht bekannt ist, sollten wir vorsichtig sein."

Sie empfiehlt, sich im Impressum über die Betreiber einer Seite zu informieren und zu prüfen, ob die Nachricht auch in anderen Quellen thematisiert wird.

Wichtig zudem: "Geben Sie keine Daten ein, wenn Sie Zweifel an der Seite haben." Im Zweifelsfalle reiche Hackern und Datenräubern bereits der Zugang zu einem Facebook-Account, um etwa auch an Passwörter für Zahlungs- und Bankingplattformen und E-Mail-Konten oder Freundeslisten zu kommen - aus denen sich möglicherweise weitere Daten abgreifen lassen.

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