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Gedenken zum Tag der Deutschen Einheit einmal ganz anders

Feierstunde zur Einheit in Pforzheim: Geschichte einer Freundschaft über Stacheldraht hinweg

Mit persönlichen Geschichten erinnerten die Referenten bei der Feierstunde der Stadt Pforzheim zum 30. Tag der Deutschen Einheit an die Einschränkungen in der DDR und an die Bedeutung der friedlichen Revolution, die zur Wiedervereinigung führte.

Akte Luftballon: So heißt das Buch von Stefanie Wally, aus dem sie bei der Pforzheimer Feierstunde vorliest. Es erzählt von der Freundschaft zweier Mädchen, die mit einem gelben Luftballon begann.
Akte Luftballon: So heißt das Buch von Stefanie Wally, aus dem sie bei der Pforzheimer Feierstunde vorliest. Es erzählt von der Freundschaft zweier Mädchen, die mit einem gelben Luftballon begann. Foto: Hansjörg Ebert

Diese Geschichte ging unter die Haut: Wesentlich eindrücklicher und anschaulicher als es ein historischer Festvortrag vermag, hat Stefanie Wally den rund 50 Besuchern der Feierstunde der Stadt Pforzheim zum 30. Tag der Deutschen Einheit das Kernanliegen dieser Gedenkstunde vermittelt. In einer musikalischen Lesung erzählte sie die wahre Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft über Grenze und Stacheldraht hinweg, die mit einem gelben Luftballon begann.

Den schickte sie als Sechsjährige mit einer rosa Postkarte auf die Reise, die wenig später in einem kleinen DDR-Dorf landete. So begann die Brieffreundschaft mit der gleichaltrige Anke. Elf Jahre wandern Briefe hin und her, bevor sich die Mädchen als Teenager das erste Mal treffen.

Partei kontrollierte das Leben der Bürger

Mehr und mehr wird – ähnlich wie im Tagebuch von Anne Frank – durch die Briefe sichtbar, was das jährliche Weihnachtspaket aus dem Westen, auf den Ostblock beschränkte Reisemöglichkeiten, ein Mickey-Mouse-Pullover und die Weigerung, in die Partei einzutreten, für einen jungen Menschen in der DDR bedeutet haben. Zug um Zug wird bedrückend deutlich, was es heißt, wenn eine Partei das Leben ihrer Bürger bis ins Letzte kontrolliert und auch vor Bespitzelung und Einschüchterung nicht Halt macht.

Besonders eindrücklich wird die Geschichte, die Pianist Paul Taube immer wieder mit passenden Ost-West-Songs unterlegt, als Anke von den Montagsdemos in Dresden und Leipzig erzählt und dabei die beklemmende Erfahrung macht, von bewaffneten Soldaten flankiert zu werden. „The Wall“ von Pink Floyd, „Wind of Change“ von den Scorpions und der Westernhagen-Song „Freiheit“ geben zu den Lesepassagen das jeweils passende musikalische Stimmungsbild.

Seniorin
Erinnerungsarbeit: Museumsleiterin Birgit Kipfer unterstreicht die Bedeutung des Pforzheimer DDR-Museums. Foto: Roland Wacker

Mit einem emotionalen Appell, für Menschlichkeit und Respekt einzutreten und Deutschland und Europa gegen nationalistischen Kleingeist und Hassprediger zu verteidigen, beendete Stefanie Wally den knapp einstündigen Vortrag. Das Publikum dankte berührt mit anhaltendem Applaus.

OB Boch zieht Vergleich mit Belarus

Pforzheims Oberbürgermeister Peter Boch hatte in seiner Begrüßung den Mut der Menschen gewürdigt, die in der DDR auf die Straße gingen, um gegen die SED-Diktatur, gegen Wahlfälschung und Bespitzelung, gegen Willkür und Unterdrückung sowie gegen die tödliche Mauer zu demonstrieren.

Dabei schlug er den Bogen zu den Menschen in Belarus, die im Moment ebenso versuchten, ihr Land von einem Unrechtsregime zu befreien. „Hoffen wir, dass auch ihnen eine friedliche Revolution gelingt“, so Boch. Gleichzeitig erinnerte er daran, dass Pforzheim die einzige Stadt in Deutschland sei, die ein DDR-Museum unterhält und damit eine wichtige Aufklärungsarbeit leiste.

Hoffen wir, dass auch ihnen eine friedliche Revolution gelingt.
Peter Boch Porzheimer OB zur Situation in Belarus

Birgit Kipfer, die Vorsitzende der Stiftung „Lernort Demokratie – das DDR-Museum“, sprach vom Fieberthermometer, mit dem Jahr für Jahr am Tag der Deutschen Einheit die Temperatur des Patienten Deutschland gemessen werde. „Noch nicht ganz gesund, aber auf dem Weg der Besserung“, lautete ihre Diagnose.

Kein Wunder: 56 Jahre Diktaturerfahrung hätten tiefe Spuren in den Seelen der Menschen hinterlassen. Viele Ältere hätten das verdrängt, und die Jugend strebe nach vorne. „Doch sich an die Geschichte zu erinnern, ist die Grundlage für das Verständnis der Gegenwart“, betonte sie.

Noch nicht ganz gesund, aber auf dem Weg der Besserung.
Birgit Kipfer Vorsitzende der Stiftung „Lernort Demokratie“ zum Patienten Deutschland

Genau diese Erinnerungsarbeit habe sich das DDR-Museum auf die Fahne geschrieben. Denn die Westdeutschen hätten sich nach dem Mauerfall nicht allzu viele Gedanken über die Lebensumstände der Menschen im Osten gemacht, und daran habe sich nicht viel geändert. „Wir müssen mehr aufeinander hören und voneinander lernen“, lautete ihr Appell.

Ein Erzählcafé soll im Museum bald die Gelegenheit für solche Gespräche geben. Ihr Fazit klang dennoch versöhnlich: Trotz mancher Probleme sei der Tag der Deutschen Einheit ein Tag der Freude: „Wir leben im besten Deutschland, das es je gegeben hat“.

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