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Mehrere Meter Abstand

„Fidelio” am Pforzheimer Theater wird zum Corona-Arrangement

Beethovens einzige Oper wird fürs Pforzheimer Theater zum „Corona-Test”. Mit „Fidelio” will die Stadtbühne die kommende Spielzeit beginnen. Doch Vorsicht: Zu viel Nähe darf nicht sein, gibt „Regisseur” Corona vor. Auch Zuschauerzahlen sind begrenzt.

Bühne, auf der drei Akteure stehen und ein Mann am Klavier sitzt.
Viel Abstand: Auch bei den Proben für die Saisonpremiere „Fidelio“ müssen die Akteure Abstandsregelungen und andere Hygienevorschriften einhalten. Foto: Roland Wacker

Ein wenig verloren wirken Fidelio, Rocco und Marcelline, wie sie weit voneinander entfernt auf der Bühne des Großen Hauses stehen. Dann beginnt Rocco zu singen. Was auch immer die Regie sonst vorgeben mag, die Corona-Verordnung hat absolutes Vetorecht in dieser wie in jeder Szene der Beethoven-Oper.

„Wir halten die Richtlinien des Bundesverbands der Unfallversicherer zum Arbeitsschutz ein – wenn wir sie nicht vorauseilend übertreffen“, beschreibt Pforzheims Intendant Thomas Münstermann dem Zaungast an diesem Vormittag das Agieren der Sängerinnen und Sänger, die vor kurzem mit den Proben für die Premiere zum Saisonauftakt begonnen haben. Mit „Fidelio“ will die Stadtbühne am 18. September in die neue Spielzeit starten.

Sechs Meter Mindestabstand in Gesangsrichtung

Sechs Meter Mindestabstand in Gesangsrichtungen sind gefordert. Untereinander müssen Fidelio und Co mindestens drei Meter Distanz halten. „Die Abstandsregeln sind dynamisch“, erklärt Intendant Thomas Münstermann. Singen die Darsteller gerade nicht, dürfen sie näher beisammen stehen. Aufs Maßband wird verzichtet.

„Es läuft gut“, ruft der Intendant seinen Sängern zu. Etwa eine halbe Stunde haben sie zu dem Zeitpunkt probiert. Nach einer weiteren halben Stunde muss für 15 Minuten Pause gemacht und gelüftet werden. Auch das gibt Regisseur Corona vor. Noch gut zwei Wochen vor den Theaterferien und zwei weitere danach hat das Ensemble Zeit, sich in die ungewohnten Bewegungsabläufe hineinzufinden – so, dass es am Ende nicht zu unnatürlich wirkt.

Käfige erinnern an Massentierhaltung

Zwischen den Gesangseinlagen schwört Münstermann seine Leute auf die Handlung ein. Im Zentrum: Leonore, die als Mann (Fidelio) verkleidet das Vertrauen von Kerkermeister Rocco gewinnt, um ihren Gatten Florestan aus dem Kerker zu befreien. „Man muss sich das vorstellen“, sagt Münstermann. „Ein Leben im Käfig – der Dreck und die Rattenlöcher.“

Im Hintergrund der Bühne sind zwölf Gitterkästen aufgebaut als Staatsgefängnis, in dem Edelmann Florestan als politischer Häftling in Einzelhaft eingekerkert ist. „Bei den Aufführungen werden es zehn mal so viele sein“, erklärt der Intendant. „Die Käfige sind keine Tierboxen“, betont er. Das Theater hat sie von einem Logistikunternehmen. In Zeiten von Corona und der massiven Kritik an Massentierhaltung wirken sie wie ein Appell. Zu gegebener Zeit sollen einige davon in der Stadt aufgestellt werden.

Stamatia Gerothanasi, Aleksandar Stefanoski und Anna Gütter sehen sich das Geschehen zunächst von oben im Zuschauerraum an, während Elisandra Melián, Dorothee Böhnisch und Lukas Schmid-Wedekind auf der Bühne stehen. Einige Rollen sind doppelt besetzt, wer welchen Part bei der Aufführung singen wird, will der Intendant noch nicht sagen.

Eure Gesangsrichtung muss zur Saalöffnung gehen.
Thomas Münstermann, Intendant

„Eure Gesangsrichtung muss zur Saalöffnung gehen“, ruft er jetzt dazwischen. Ob die Distanzregelungen im September noch wissenschaftlichen Bestand haben werden, vermag kein Mensch zu sagen. Dass Beethovens „Fidelio“ in der Pforzheimer Fassung etwa eine Stunde kürzer ausfallen wird, hat indes weniger mit Corona zu tun, sondern liegt daran, dass Münstermann die in der Oper enthaltenen Gespräche gestrichen hat.

„Sie haben nicht die Qualität der Musik.“ Er und der neue Generalmusikdirektor Robin Davis hätten eine „sehr zügige Auffassung“ vom Werk, erklärt Münstermann. An der einen oder anderen Stelle wird während der Proben noch gekürzt werden.

Mann und Frau stehen sich auf einer Bühne gegenüber.
Nähe unerwünscht: Lukas Schmid-Wedekind ist zusammen mit Stamatia Gerothanasi in einer Szene von” Fidelio” am Theater Pforzheim zu sehen. Im Hintergrund wartet Elisandra Melián auf ihren Einsatz. Foto: Roland Wacker

Eine Szene wird nun mehrmals hintereinander geprobt: Roccos Tochter Marcelline hat sich in Fidelio verliebt. Der Kerkermeister stößt mit dem vermeintlichen künftigen Schwiegersohn auf die Verlobung an. Rocco schenkt ein und verlässt mit seinem Glas den Stehtisch, damit Fidelio seines nehmen kann. Marcelline taucht von hinten unbemerkt auf, stibitzt ein Gläschen und läuft in eine andere Richtung davon. Zu viel Nähe, Berührungen gar, sind verboten; auch das gehört zum „Corona Arrangement“.

„Wir bauen Strukturen, die auf jeden Fall möglich sind“, sagt Münstermann. Dazu gehört auch, dass das Orchester nicht im überschaubaren Graben spielen darf, sondern nach hinten auf die Bühne umziehen wird. Einen Chor dürfte es nach derzeitigen Corona-Regelungen nicht geben, wenn die Beethoven-Oper zur Aufführung kommt in einem Saal, der in „normalen Zeiten“ proppenvoll ist mit seinen 511 Sitzen. Derzeit dürften nur 130 Zuschauer maximal kommen.

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