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Betroffene klagen über Vorurteile

Gibt es in Pforzheim einen Masken-Rassismus?

Migranten sind in Pforzheim immer häufiger mit dem Vorwurf konfrontiert, Masken-Verweigerer zu sein. Belegen lässt sich das nicht. Dennoch beklagen Vertreter einen zunehmend raueren Ton.

Panorama der Fußgängerzone in Pforzheim vom „Dicken" aus. Zahlreiche Menschen sind mit Maske unterwegs, nicht alle tragen sie richtig.
Nicht jeder trägt Maske: In Pforzheim spüren Migranten im Zuge der Corona-Krise einen Anstieg von Aggression und Vorurteilen –unter anderem in Sachen Hygieneregeln. Foto: Jürgen Müller

Für einige Gastronomen und Hoteliers ist der Fall klar: Schuld am Lockdown tragen die Migranten. Hinter mehr oder minder vorgehaltener Hand fallen im Gespräch gelegentlich Sätze wie „die sollen mal lieber unsere Neubürger kontrollieren“ oder „wir halten uns wenigstens an die Regeln, anders als die Ausländer“.

Hat Pforzheim etwa ein Problem mit seinen Migranten, weil die sich nicht an die Corona-Maskenverordnung halten? Oder spricht das eher für ein Problem mit Rassismus? Für Fazli Isbilen, Sprecher des Internationalen Beirats in Pforzheim, ist der Fall klar: „Es ist Rassismus. Besonders in letzter Zeit gibt es eine verschärfte Stimmung.“ Und die beschränke sich nicht nur auf ein Grundrauschen.

Betroffene klagen über Vorurteile

„Es wird schon aggressiver. Gerade gegenüber Muslimen. Die Leute können sich immer mehr erlauben, die verstecken sich nicht mehr. Sie glauben, sie haben jetzt einen Grund, über Türken, Kurden und Araber herzuziehen.“

Ähnlich berichtet es auch Emre Nazli, Stadtrat für Bündnis 90/Die Grünen: „Seit über einem Jahr erleben wir eine Verrohung der Sprache. Es ist vieles salonfähig geworden, von dem man in Deutschland gedacht hatte, dass es nicht mehr möglich ist.“ Isbilen beobachtet das vor allem in den Sozialen Netzwerken, Nazli berichtet von Gesprächen mit Betroffenen. „Man sucht gerade einen Sündenbock“, analysiert Nazli.

Besonders in letzter Zeit gibt es eine verschärfte Stimmung.
Fazli Isbilen, Internationaler Beirat Pforzheim

Den hatte man bundesweit Anfang des Jahres vor allem bei Asiaten gefunden, als vermeintlichen Einschleppern des Virus. Das berichtet ein Sprecher der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Nicht vermietete Wohnungen, Probleme im Einzelhandel, all das habe man beobachten können. Das aktuelle Grundrauschen sei noch nicht justiziabel, deshalb erreiche das die Beratungsstellen auch nicht.

Verstöße gehen durch alle Bevölkerungsgruppen

Beim Polizeipräsidium Pforzheim ist man auf Anfrage zurückhaltend, das Maskenverweigern speziellen Gruppen zuzuweisen. Das lasse sich nicht nachweisen. Zahlen, wie viele von den Bußgeldern wegen nicht getragener Masken an Migranten ausgestellt wurden, registriert die Behörde nicht.

Die Stadt Pforzheim und deren Ordnungsamt teilen auf Anfrage mit, binnen zwei Tagen 300 Beanstandungen ausgesprochen zu haben. Klare Profile ließen sich da nicht erkennen. „Die Verstöße gehen durch alle Bevölkerungsgruppen“, heißt es in der Stellungnahme. Allerdings erhebe man ebenfalls keine Statistik.

Doch warum geraten nun die Nahost-Migranten in den Fokus? Das könne, obwohl völlig überzogen, teilweise auch an den Kulturen selbst liegen, räumt Isbilen ein. „Ich komme aus einer Kultur, in der man sich zur Begrüßung küsst. Wo 1.000 Menschen zu einer Hochzeit kommen. Natürlich ist das für viele schwer, sich umzustellen. Ich zum Beispiel habe meine Mutter seit acht Monaten nicht mehr geküsst, auch wenn ich regelmäßig bei ihr bin.“

Wer ist schuld?

Natürlich gebe es auch „einfache Geister“, die nicht über ihr Handeln nachdenken – wie überall. Aber das bedeute eben nicht, dass Verallgemeinerungen zulässig seien. Oder auch nur, dass es unter den Migranten zu mehr Maskenverweigerung komme als unter „Biodeutschen“, wie Isbilen sagt.

Er verweist etwa auf die Corona-Demonstrationen. „Die würde es in der Türkei zum Beispiel gar nicht geben, die wären gar nicht erlaubt.“ Und so fordert auch er schärfere und striktere Kontrollen. „Viele Migranten sind einen starken Staat gewöhnt, keine Demokratien.“ Daher gebe es bei einigen – gerade den neueren Mitbürgern – manchmal Irritationen, warum der Staat nicht härter einschreite.

Doch nicht nur die Migranten müssen lernen, wie Nazli betont. „In Deutschland konnten wir uns immer gut selbst reflektieren“, sagt er. „Jetzt haben wir das verlernt, die Leute wollen nur noch schwarz-weiß.“ Irgendjemand müsse ja schuld daran sein, dass Gaststätten und Hotels schließen müssen.

„Es ist für viele auch einfach ein Instrument, einen Schutzwall aufzubauen. Die Leute merken gar nicht, was sie für einen Schaden anrichten.“ Denn nicht jeder, der orientalisch aussieht, sei gerade erst in Deutschland angekommen. „Hier leben Leute der vierten oder fünften Generation, die werden da alle in einen Topf geworfen.“

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