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Immer weniger Treffpunkte

Im Enzkreis veröden die Dörfer – aber es gibt auch Ausnahmen

Immer weniger Treffpunkte in den Dörfern: Im Enzkreis verstärkt gerade der Rückzug der Banken die Verödung kleiner Orte. Zwei Unternehmer haben eine Antwort darauf: Hamberg brachte dies an den Himmel der Michelin-Sterne, Nussbaum sichert es Selbstständigkeit beim Einkaufen.

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Raum für Begegnungen: Im kleinen Lädle von Hamberg gibt es immer auch ein Schwätzchen, zum Beispiel mit Spitzenkoch Claudio Urru von der Alten Baiz. Foto: Kopf

Immer weniger Treffpunkte in den Dörfern: Im Enzkreis verstärkt gerade der Rückzug der Banken die Verödung kleiner Orte. Zwei Unternehmer haben eine Antwort darauf: Hamberg brachte dies an den Himmel der Michelin-Sterne, Nussbaum sichert sie Selbstständigkeit beim Einkaufen.

Ein Schwätzchen beim Bäcker, zwei, drei Worte auf der Post, das Palaver im Wirtshaus: Wer in Hamberg wohnt, vermisst nichts von alledem. Während andere Dörfer solche Orte der Gemeinschaft einbüßen und gerade die letzten Bankfilialen verschwinden sehen, schafft in dem Ortsteil von Neuhausen ein tatkräftiger Privatinvestor neue Treffpunkte.

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Es war einmal: Die Krone in Nussbaum hat schon seit 1959 geschlossen. Foto: Ehmann

Im mit 1.100 Einwohnern fast gleich großen Nussbaum gibt es diese nicht. Dort zeigt ein Schild an einem ehemaligen Wirtshaus, seit wann es rückwärts geht im geselligen Leben. Es wurde in den 50er Jahren aufgehängt, lange vor der Eingemeindung nach Neulingen. Bis heute erinnert es daran, dass es einmal einen Dorfstammtisch gab.

Der letzte Metzger ist jünger. Aber auch er ist weg – macht inzwischen in Kanada als „Butcher of the year“ Karriere. Ein weiteres Loch riss jetzt die VR Bank Enz plus. Sie schloss im April ihre Filiale.

Die Dörfer bleiben auf der Strecke
Norbert Holme, Bürgermeister von Ölbronn-Dürrn

Schwund, dein Name ist Nussbaum, ließe sich sagen. Aber auch in Ölbronn-Dürrn, ein paar Kilometer weiter, grassiert nicht nur das Bankensterben. Es setzt lediglich „einen schleichenden Prozess“ fort, sagt Norbert Holme, Bürgermeister der 3.500-Einwohnergemeinde.

Anfang Mai habe er erfahren, dass die Volksbank in Dürrn zum 1. Juni dichtmacht, das Ende ihrer wegen Corona ohnehin geschlossenen Filiale in Ölbronn zum 1. Juli sowie weiterer neun Niederlassungen teilte die Sparkasse Pforzheim-Calw wenige Tage später mit.

Das Internet hält die Leute im Dorf

„Die Dörfer bleiben auf der Strecke“, bilanziert Holme. Und das ist „eher ein soziales, denn ein Nahversorgungsproblem“, sagt Neulingens Bürgermeister Michael Schmidt. „Es fehlt die zufällige Begegnung beim Bäcker.“ Für einen Ort wie Nussbaum sei das „richtig Käse, wenn quasi nichts mehr stattfindet“. Vereine könnten diese Alltäglichkeit nicht ersetzen.

Internetleitungen nützen auch kaum gegen die sich ausbreitende Ödnis. Aber sie helfen, wenn es darum geht, wenigstens die Bevölkerung zu halten, ist den Worten Holmes zu entnehmen. Ölbronn-Dürrn habe immerhin zwei Netzbetreiber zur Auswahl. „Das sei eine komfortable Situation und ganz wichtig für die jüngere Generation.“ Außerdem ist es in Homeoffice-Zeiten Geld wert. „Es gab keine Klagen“, sagt Holme.

Die Generation 70plus, die zu „Siegfrieds Rollendem Supermarkt“ kommt, klagt auch nicht – zumindest nicht hörbar. „Das Angebot gibt ihnen ein Stück Selbstständigkeit und Lebensqualität zurück“, sagt der Einzelhändler aus Kürnbach.

In anderen Dörfern, wo er nicht vorfährt, dominiert beim Füllen der Senioren-Kühlschränke das Nachbarn- und Verwandten-System. Dass das jetzt Corona-bedingt generell angesagt ist, schwächt den Rollenden Supermarkt. Siegfried Guggolz kann sein rollendes Geschäft für 40 Dörfer nur aufrechterhalten, wenn was geht.

Rollender Supermarkt hat sieben Orte auf der Warteliste

In Nussbaum fährt der begehbare 7,5-Tonner mit Lebensmitteln und vielem mehr, das die Kundschaft nachfragt, seit knapp einem Jahr dienstags an. Neulingens Bürgermeister Schmidt konnte das Angebot als Ausgleich für das, was es nicht mehr gibt im Dorf, noch rechtzeitig sichern, so er wie jetzt für den Ortsteil Bauschlott mit der VR Bank Enz plus über ein gemeinsam genutztes neues Kulturzentrum verhandelt. Eine Anfrage aus Ötisheim kann Guggolz aber schon nicht mehr bedienen. Er bräuchte einen zweiten Laster für die zusätzlich sechs bis sieben Ortschaften auf seiner Warteliste.

Die Möglichkeiten gegenzusteuern, sind sehr eingeschränkt
Udo Kleiner, Bürgermeister von Kämpfelbach

„Man muss das bisschen, was man hat pflegen“, sagt Schmidt zur Gesamtsituation in Neulingen. „Aber die Möglichkeiten gegenzusteuern, sind sehr eingeschränkt“, befindet dessen Kämpfelbacher Kollege Udo Kleiner, der im Ortsteil Bilfingen mit 2.500 Einwohnern die VR Bank Enz plus und die Sparkasse verliert.

Er vertraut darauf, dass drei Stadtbahnhaltestellen sowie ein neues Pflegeheim mit Café und ein Neubaugebiet die Gemeinde „stabil“ halten.

Zur WM 2018 kam der Biergarten zurück

„Leben reinbringen und Arbeitsplätze schaffen“, ist auch das Konzept von Sven Bogner. Der Mann ist aber nicht Dorfbürgermeister, sondern Unternehmer und „leidenschaftlicher Hamberger“, der seit seiner Geburt 1974 sah, wie in „drei Läden und vier Wirtschaften“ das Licht ausging.

Als er 2013 ein Verkaufsschild am „Grünen Wald“ sah, griff er zu. „Ich bin Unternehmer und möchte mit meinem Geld etwas tun“, erläutert Bogner seiner Motivation. Diese brachte den knapp 1.000 Einwohnern passend zur WM 2018 einen gepflegten Biergarten zurück.

Es folgten eine Hausbrauerei, ein kleiner Laden mit Backwaren und Poststation und im Januar leuchtete ein Michelin-Stern über der „Alten Baiz“ im Grünen Wald. Gäbe es Corona und die damit verbundenen Engpässe nicht, die auch Bogner erst einmal überwinden muss, wäre jetzt ein Hotel im Bau für ferngereiste Freunde guten Essens. Am 1. Juli geht es im Restaurant wieder los, die Alte Baiz soll am 3. September folgen. Wanderer und Radler sind jetzt schon wieder da, weil der schöne Biergarten in Hamberg zum Miteinander einlädt.

Mit der Schließung zahlreicher Filiale reagieren die Kreditinstitute der Region 2020 besonders deutlich auf ihre im Vergleich zu früher schmale Einkommenssituation.

Bei der VR Bank Enz plus fallen die Standorte Weiler, Langenalb, Göbrichen, Nußbaum, Mutschelbach, Auerbach, Nöttingen und Singen ganz weg. Dietlingen, Öschelbronn, Kleinsteinbach, Eisingen, Königsbach, Enzberg, Iptingen, Mühlhausen und Hohenwart bekommen einen Selbstbedienungsautomaten (SB) als Ersatz.

Zehn Filialen weniger gibt es bei der Sparkasse Pforzheim Calw. Dazu zählen in Pforzheim die Niederlassung Sonnenhof sowie im Enzkreis Zahlstellen in Arnbach, Bilfingen, Ölbronn, Mühlhausen, Mühlacker, Großglattbach, Freudenstein, Langenalb und Zaisersweiher weg. Auch die Volksbank Pforzheim reagiert mit einem weiteren Rückzug aus der Fläche auf ihre Einkommenssituation. So wurden in Arnbach und in Feldrennach die Geldautomaten abgezogen. Zu Dürrn teilt die Volksbank mit, die Filiale sei nicht geschlossen, sondern würde als SB-Standort geführt.



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