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Schicksalsschläge

In der Pforzheimer Suppenküche dem Alltag kleiner Renten und Hartz IV entfliehen

Im Suppenküchen-Café in der Kiehnlestraße in Pforzheim treffen sich bedürftige und einsame Menschen. Kaffee und Kuchen gibt es für einen Euro, Live-Musik gibt es gratis dazu. Unsere Redakteurin Claudia Kraus hat dem Suppenküchen-Café einen Besuch abgestattet und mit den Besuchern gesprochen - über Armut, über Schicksalsschläge und übers Niemals-unterkriegen-lassen.

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Im Suppenküchen-Café in der Kiehnlestraße in Pforzheim treffen sich bedürftige und einsame Menschen. Kaffee und Kuchen gibt es für einen Euro, Live-Musik gibt es gratis dazu. Foto: Wacker

„Aber bitte mit Sahne“, singt der Mann mit der Gitarre. Und mit jeder Strophe des Udo Jürgens-Schlagers wird der Chor ein bisschen größer. Besucher der Suppenküche fallen zögernd ein, als der Refrain kommt. Sahne gibt es zwar keine. Aber Kaffee, mit Kirsch- und Johannisbeerkuchen, zusammen für nur einen Euro. Auf den Tischen stehen Topfblumen und Teelichter.

„Sonst haben wir noch mehr Besucher, einmal ging uns der Kuchen aus“, sagt Sylvia Uhlig, Initiatorin des seit Mai einmal im Monat stattfindenden Suppenküchen-Cafés in der Kiehnlestraße. 15 Frauen und Männer sind diesmal gekommen.

Selbstständig und nix eingezahlt

Vielleicht liegt es am Weihnachtsmarkt, vielleicht auch daran, dass jetzt in der kalten Jahreszeit die Auswahl an preiswerten Essensangeboten reichlicher ist in Pforzheim. Hierher in die Kiehnlestraße kommen vor allem Leute, die es sich nicht leisten können, für Kaffee und Torte ins Café zu gehen. Oder ältere Menschen, die der Einsamkeit daheim entfliehen wollen.

Für die 67-jährige Pforzheimerin, die mit einer Bekannten an einem Tisch in der Ecke sitzt, trifft beides zu. Angebote wie Vesperkirche und Suppenküche nimmt sie gerne an, „damit es mit der Rente reicht“. 31 Jahre habe sie ein Textilgeschäft gehabt. „Ich war selbstständig und habe nix eingezahlt“, erzählt sie.

Zwei Schlaganfälle und viele OPs hat sie auf der Seite ihres Kontos stehen, die man „Leid“ nennen könnte. Sie ist dezent geschminkt und wirkt sehr gepflegt. „Man muss es mir doch nicht ansehen“, sagt sie und lacht.

Ich bin ja nicht als Hartzer auf
die Welt gekommenMatthias Boie

Der Sänger macht eine Pause. Er trägt eine Sonnenbrille, die er auch nicht abnimmt, während er an seinem Kaffee nippt. Matthias Boie ist der Jüngste in dieser Kaffeerunde. Hier in der Kiehnlestraße singt der 47-Jährige regelmäßig, auch in den Pflegeheimen Ambiente und Goldene Pforte hat er Auftritte. „Ich spiele jederzeit überall, meistens ehrenamtlich.“

Boie ist selbst auf karitative Essensangebote angewiesen. Der gelernte Bankkaufmann lebt von Hartz IV, und seine Sonnenbrille trägt er nicht, weil er den coolen Musiker geben will. „Ich bin links blind und rechts sehe ich schlecht.“ Er leidet am Grünen Star. Demnächst hat er einen Termin beim Arbeitsamt, um zu erfahren, welche Maßnahme für ihn infrage kommt.

Alle möglichen Jobs habe er vor seiner Augenerkrankung gemacht, als Spielhallenaufsicht und in der Gebäudereinigung gearbeitet, Schallplatten und Comics vertrieben.

Fürs Leben bleiben zehn Euro am Tag

die Welt gekommen

Ein Rückfahrticket nach Karlsruhe kostet über zehn Euro, das sprengt sein Tagesbudget. Auch ein Bier in der Kneipe muss er sich vom Essen abknapsen. Und sich von einem Kumpel einladen zu lassen, ist ihm unangenehm.

In Deutschland ist Hartz IV Armut. Man verliert den Anschluss an die Gesellschaft.

„In Deutschland ist Hartz IV Armut. Man verliert den Anschluss an die Gesellschaft.“ Und man komme nicht mehr raus aus dieser Schiene. „Hartzer treffen immer wieder Hartzer, und so hartzen wir durchs Leben“, erklärt Matthias Boie.

Die Frauen und Männer in der Suppenküche wollen, dass ihr Sänger weiter spielt: Griechischer Wein, Hallelujah. Die Stimmung wird lebhaft, mit seiner Gitarre und dem fröhlichen Lächeln reißt Boie alle mit. „Er singt so schön“, sagt die 66-jährige Anna Heck. 45 Jahre sei sie im Versandhandel gewesen. „Man kann lange gearbeitet haben und trotzdem ist die Rente klein.“ Die Gesellschaft am Tisch tut ihr gut. „Es ist schön, nicht immer allein zu Hause zu sein.“

Die Songs hat er früher selbst geschrieben

Zusammen mit Ehrenamtlichen leitet Sylvia Uhlig das Café und sie steht auch regelmäßig mittags in der Suppenküche. Bei der Diakonie Pforzheim ist Uhlig in der Beratungsstelle für Hilfen im Alter. Ihre Idee war es, Matthias Boie als Sänger zu „verpflichten“. Sie entdeckte ihn im Erwerbslosentreff. „Er kam sofort gut an. Und sonst wären die Leute doch nur unter sich“, meint sie. Geld für ein Konzert haben die Wenigsten.

Kaffee und Kuchen gehen in die zweite Runde. Boie hat stimmliche Verstärkung erhalten: Oliver Benz, einer der Helfer und ehemaliger Krankenpfleger, singt die zweite Stimme, voller Leidenschaft. Immer wieder fasst er sich ans Herz. Das Publikum beklatscht den spontanen Doppelauftritt. Boies Repertoire ist groß. Gerne würde er professionell Musik machen. Seine Songs hat er früher selbst geschrieben.

Heute spielt er viel auf Zuruf. Er unterhält auch Hochzeiten und Trauerfeiern. „Und Scheidungen“, ergänzt er lachend. Wenn ihm jemand Geld geben will, sagt er nicht nein. „Ich mache Musik für die Menschen – und damit ich mal aus meiner Bude rauskomme.“

Bei den Kommunalwahlen im vergangenen Mai kandidierte Boie für die Linke. Gegen Privatisierung städtischer Betriebe wollte er kämpfen und dafür, dass Pforzheim einen anderen Weg geht, so hatte er auf der Website der Linken geschrieben.

Die Kaffeerunde geht dem Ende zu. Die dezent geschminkte Dame verabschiedet sich von ihrer Tischnachbarin. „Wir lassen uns doch nicht unterkriegen“, sagt sie. „Die kleine Kneipe in unserer Straße“, singt Matthias Boie. Es wird laut, fast alle singen jetzt mit. „Da wo das Leben noch lebenswert ist. Da fragt dich keiner, was du hast oder bist“.

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