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Nur 130 Besucher im Pforzheimer Theater erlaubt: Wie kann der Restart gelingen?

Beethovens Oper „Fidelio” soll dem Pforzheimer Theater zu einem glanzvollen Saisonauftakt verhelfen. Dem stehen derzeit geltende Corona-Vorgaben entgegen. Demnach könnten nur 130 Besucher im Großen Haus Platz nehmen. Das würde sich nicht rechnen.

Zwei Männer sehen vor leeren Zuschauerrängen im Theater
Leeres Großes Haus: Die Zuschauerplätze im Theater Pforzheim müssen frei bleiben, da hilft auch das Hygienekonzept der Leitung um Thomas Münstermann (links) und Uwe Dürigen nichts. Auf der Bühne soll trotzdem etwas passieren. Foto: Roland Wacker

Voll besetzte Zuschauerreihen, mitreißende Stimmung und jede Menge Applaus für die Akteure auf der Bühne: Als das Musical „Frankenstein Junior“ am 13. März im Großen Haus gefeiert wurde, konnte keiner ahnen, dass es für lange Zeit der letzte Theaterabend sein würde. Die durch Corona bedingte Zwangspause hat der Pforzheimer Stadtbühne Einnahmeausfälle von über 850.000 Euro beschert. Dank Kompensationen steht bisher unterm Strich ein Minus von rund 120.000 Euro, schätzt Verwaltungschef Uwe Dürigen.

Die Menschen haben große Sehnsucht nach Normalität und wünschen sich ihre Theaterabende zurück.
Uwe Dürigen, Verwaltungsdirektor

Durch Kurzarbeit im Dreispartenhaus mit seinen 240 Mitarbeitern konnten die Einbußen etwas abgefedert werden; und dank der Solidarität vieler Zuschauer, die auf Gutscheine für ausgefallene Aufführungen verzichten. „Die Menschen haben große Sehnsucht nach Normalität und wünschen sich ,ihre Theaterabende’ zurück“, beschreibt Dürigen eine Lage, auf die weder er noch Intendant Thomas Münstermann Einfluss haben.

Theatergebäude unter Wolken.
Wolken über dem Stadttheater: Wie es in der nächsten Spielzeit weiter geht, hängt von den Corona-Vorgaben der Landesregierung in Zusammenhang mit Großveranstaltungen ab. Die Pforzheimer Theaterleitung wünscht sich möglichst bald Planungssicherheit. Foto: Roland Wacker

Zwei Monate vor Beginn der neuen Spielzeit befinden sich die Theatermacher in Lauerstellung. „Wir warten darauf, wie die Absichtserklärung des Landes aussieht, die ab 1. September gelten müsste“, erklärt Dürigen. Er hofft, dass ein Appell des Dachverbands ans Sozialministerium möglichst schnell fruchtet. Es brauche weit früher ein klares Signal, um organisatorische Prozesse anzustoßen, damit der Spielbetrieb starten kann. Besonderes Augenmerk legt Dürigen auf Besuchertreue: die rund 4.500 Abonnenten, die fast 50 Prozent der Zuschauer ausmachen. Jeder von ihnen hat seinen festen Sitzplatz. Das Abonnement für ein Jahr auszusetzen, wie andere Häuser es tun, kommt für Dürigen nicht in Frage. Er betont: „Wir müssten mindestens 250 Menschen in einer Vorstellung im Großen Haus unterbringen, um ein traditionell gepflegtes System am Leben zu halten – und da reden wir nicht von Wirtschaftlichkeit.“

130 Zuschauer bringen nur 25 Prozent Auslastung

Momentan lässt das Sozialministerium zwar eine Obergrenze von 250 Besuchern zu, doch da Abstandsregeln von 1,5 Metern berücksichtigt werden müssen, könnten maximal 130 Zuschauer ins Große Haus. Das wäre eine Auslastung von nur 25 Prozent. „Wir brauchen aber 75 Prozent“, sagt Münstermann. „Und die haben wir im Schnitt auch.“

„Fidelio“ mit weniger als 250 Besuchern aufzuführen, sei „nicht darstellbar“, verdeutlicht Dürigen. Ebenso wenig würde sich unter diesen Vorgaben das erste Sinfoniekonzert der Saison am 18. Oktober im Congresscentrum rechnen. Statt rund 1.650 Plätzen könnten nur 244 belegt werden, hinzu kommt die Saalmiete. An besagtem Abend soll Starpianist Nikolai Tokarev kommen, will sich Pforzheims neuer Generalmusikdirektor Robin Davis dem Publikum vorstellen. Bei „Fidelio“ wird ihm das nicht vergönnt sein, er muss mit seinen Musikern in den hinteren Bühnenbereich umziehen.

28 Menschen bräuchten 560 Quadratmeter Aufstellungsfläche

„Es gibt bei uns keine Möglichkeit, den Chor in seiner jetzigen Stärke singend auftreten zu lassen“, weist Münstermann aufs nächste Problem hin: die Sonderregelungen für die Oper. Der Intendant jongliert mit Zahlen, die selbst in Corona-Zeiten abstrus wirken. „28 Menschen bräuchten 560 Quadratmeter Aufstellungsfläche, dazu kommen sechs Meter in Gesangsrichtung, drei Meter Mindestabstand untereinander, und die Bühne hat nur 130 Quadratmeter ...“. Konsequent beachte man auch den Abstand der Sänger zur ersten Zuschauerreihe, sagt Münstermann.

Dachverband strebt Harmonisierung an

Zu leichtfertig würden Vergleiche zu anderen Großveranstaltungen gezogen, meint Dürigen mit Blick auf freikirchliche Zusammenkünfte, in deren Folge es mehrfach zu Corona-Ausbrüchen kam. Bislang gebe es keinen einzigen nachgewiesenen Fall einer Ansteckung im Theater. „Unser Publikum singt nicht“, setzt Münstermann nach. Der Dachverband strebe eine Harmonisierung der Regelungen an, so Dürigen. Es gehe nicht um Sonderbehandlung, sondern darum, dass die jeweilige Situation kritisch in Betracht gezogen werde.

Anders geplant werden müssen auch die Gastspiele, ein Sektor, der dem Theater jährlich rund 450.000 Euro einbringt. Bei über 20 Auftrittsorten gleicht keine Bühne der anderen, bezogen auf Größe und Ausstattung. Nun bedarf es maßgeschneiderter Lösungen, die gemeinsam mit den Veranstaltern gefunden werden müssen.

Nach dreimonatiger Pause gibt es seit Ende Juni ein Sommerprogramm aus Sonderformaten in allen drei Sparten, allesamt in Eigeninitiative des Ensembles entstanden, wie Münstermann hervorhebt. „Unser Thema ist die Begegnung und wir haben überlegt, was live geht.“ Dabei haben sich Mund- und Nasenschutz bewährt. Besucher sollen sie weiterhin beim Einlass tragen. Vor und auf der Bühne arbeite man auf Basis der Vorgaben des Arbeitsschutzes. Bei der Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen sind Betriebsarzt und Sicherheitsingenieur der Stadt mit im Boot.

„Wir brauchen eine Brücke“, sagt Dürigen und setzt seine Hoffnung auf ein entscheidendes Signal aus Stuttgart, damit auch im Pforzheimer Theater mindestens 250 Zuschauer Platz nehmen können. Dann kann „Fidelio“ kommen. „Wir arbeiten dafür, dass es geht und stehen parat.“ Um „Fidelio“ seinen Chor zur Seite zu stellen, denkt Münstermann über Aufnahmen nach, so dass man die Sängerinnen und Sänger über Playback einspielen könnte.



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