
Nach Gewicht berechnet, hat Pforzheim einiges vor in Sachen Gleichberechtigung. Gleichstellungsbeauftragte Susanne Brückner stellt dem Gemeinderat ein 100-seitiges Werk zur Diskussion. Das Gremium ist angehalten, Gewalt in allen Facetten des Miteinanders der Geschlechter etwas entgegen zu setzen.
Den Auftrag dazu gab der Gemeinderat selbst. Das Gremium beschloss im November 2017 den Beitritt zur „Europäischen Charta zur Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene“.
Im November 2018 wurde von Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) bei einem Fest per Unterschrift besiegelt, dass sich Pforzheim den dort niedergelegten Ansprüchen nicht nur in Sonntagsreden verpflichtet fühlt.
Quintessenz dessen ist jetzt der „Erste Aktionsplan der Stadt Pforzheim“. Das klingt sperrig, ist aber kleinteilig. Wer auf der eigens eingerichteten Internetseite nachschaut, wird in der virtuellen Ausgabe des Papierpackens klar gegliedert nahezu alles finden, was im Fall von Gewalt hilfreich sein könnte.
Es braucht eine Strategie, damit Dinge langfristig auf den Weg kommen.Susanne Brückner, Gleichstellungsbeauftragte
Aber es geht um mehr als Anlaufstellen beim Kampf gegen häusliche, sexualisierte oder digitale Gewalt. „Es braucht eine Strategie, damit Dinge langfristig auf den Weg kommen“, unterstreicht Brückner ihren grundsätzlichen Anspruch.
Sie habe den Aktionsplan in Zusammenarbeit mit kommunalen Gremien, den vier Dezernaten der Stadtverwaltung sowie Organisationen und Institutionen erarbeitet. Außerdem habe sie mit ihrer Kollegin in Frankfurt am Main gesprochen, die sich ähnlich „wie Pforzheim nicht an der gesamten Charta orientierte, sondern ein Schwerpunktthema setzte“.
Mittelfristig spannend bei der Vorlage sind die Lücken. Der Aktionsplan bleibt nicht da stehen, wo Hilfe gratis zu bekommen ist.
Wenn der Gemeinderat am 4. April das Werk annimmt, signalisiert er auch, dass er beispielsweise für das Frauenhaus mehr zu bieten hat als lobende Worte: „Es wird so finanziert und ausgebaut, dass eine Versorgung gemäß den Vorgaben der ‚Istanbul Konvention‘ gewährleistet ist.“
Konkret heißt die Ausführung im Aktionsplan, dass Pforzheim und Enzkreis einen Familienplatz (2,59 Frauenhausbetten) je 10.000 Einwohner gewährleisten. Außerdem fehlt der Einrichtung ein barriere- und kostenfreier Zugang für Schutzsuchende.
Den Vorgeschmack auf das, was nach und nach ansteht, bekommt die Ratsrunde jetzt scheibchenweise. Brückner zeigt die einzelnen Anforderungen passend zum jeweiligen Gemeinderatsausschuss auf. So will sie am Mittwoch im Planungs- und Liegenschaftsausschuss beispielsweise eine hellere Beleuchtung für die Unterführungen beim Hauptbahnhof fordern.
Glastüren für die Tiefgarage
Glastüren für die Tiefgarage des Rathauses sind ebenfalls ein Thema der Prävention in Zusammenhang mit sexueller Gewalt. Außerdem setzt die Gleichstellungsbeauftragte einen Vortrag über Kriminalprävention im Städtebau auf die Tagesordnung.
Dass geschlechtsspezifische Gewalt über viele kleine Hebel zurückgedrängt werden kann, zeigt auch das Kapitel zu häuslicher Gewalt.
Neben bereits bestehende Angebote vom Frauenhaus über Fachberatungsstellen sowie die noch junge Kampagne „Hast du das auch gehört?“ zur Sensibilisierung der Nachbarschaft für mögliche Opfer soll das bereits angeschobene Projekt Lotsin@PF gestellt werden. Dabei geht es um guten Zugang zu spezialisierten Hilfsangeboten.
Die erste von 60 Städten hat die Charta 2006 unterschrieben
„Pforzheim war die sechste oder siebte Stadt in Baden-Württemberg, die sich den Zielen der Charta verpflichtet hat“, sagt Brückner. Bundesweit finden sich rund 60 Städte mit dem Anspruch, Gleichstellung aktiv anzugehen, zu der das Zurückdrängen sexualisierter Gewalt als Teilaspekt gehört. Die ersten Kommunen haben die Charta 2006 unterschrieben.
Mit dem dort geforderten Aktionsplan ist zwangsläufig eine Bestandsaufnahme verbunden. Diese führt auch zu Fehlstellen im Präventions- und Hilfesystem. Weichenstellungen im Kleinen sowie neue Angebote sind die Folge. So will Brückner jetzt Fokusgruppen und Fachforen zur Prävention von Gewalt an Frauen mit Behinderung einrichten.
Freiwillig, im Sinne von „es wäre nett, wenn wir das auch hätten“, ist so gut wie nichts beim Thema Verhütung und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt im Pforzheimer Aktionsplan.
Das ergibt sich allein aus den Unterschriften, die auf Bundesebene unter die vom Europarat auf den Weg gebrachte so genannte Istanbul-Konvention gesetzt wurden. „Das ist jetzt geltendes Recht“, betont Brückner. Mit dem Aktionsplan legt sie die lokale Handreichung dafür vor, wie daraus ein spürbares Recht werden kann.