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FASD ist unsichtbare Behinderung

Alkohol in der Schwangerschaft: Pforzheimer Beratungsstelle klärt über die Folgen und Gefahren auf

FASD ist eine unsichtbare Behinderung. Sie kann entstehen, wenn Mütter in der Schwangerschaft trinken. Eine Pforzheimer Beratungsstelle erklärt, wie das Zusammenleben mit den geschädigten Kindern gelingen kann.

Susanne Sommer von der FASD Hilfe im Kollmar & Jourdan Haus in der Bleichstraße, klärt Menschen mit FASD, Angehörige und Fachkräfte über die unsichtbare Behinderung auf.
Susanne Sommer von der FASD Hilfe im Kollmar & Jourdan Haus in der Bleichstraße, klärt Menschen mit FASD, Angehörige und Fachkräfte über die unsichtbare Behinderung auf. Foto: Ronny Döring

Alkohol schädigt das Gehirn von ungeborenen Kindern. Die Folge kann eine unheilbare, lebenslange Behinderung des Kindes unterschiedlichster Ausprägung sein. Diese Behinderung hat einen Namen: Fetale Alkohol-Spektrumstörung (FASD).

Der internationale Tag des alkoholgeschädigten Kindes am 9. September will auf die Gefahren von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft aufmerksam machen.

Jedes Jahr werden in Deutschland rund 10.000 Kinder mit FASD geboren, in Baden-Württemberg sind es etwa 1.100 Kinder im Jahr. „Offiziell, die Dunkelziffer liegt höher“, erklärt Susanne Sommer, Ansprechpartnerin der FASD-Hilfe in einem Gespräch mit dieser Redaktion.

Die Diagnose FASD sei nur schwer zu stellen. Die Frage nach dem Alkoholkonsum der werdenden Mutter ist schambelastet und insbesondere bei Pflegekindern häufig gar nicht bekannt. „FASD ist eine unsichtbare Behinderung“, sagt Sommer.

Nur einem Bruchteil der Kinder mit FASD könne man die Behinderung ansehen. Zum Beispiel, weil sie zu kleine Augen haben, oder die Oberlippe sehr schmal ist. Aber das könne auch andere Ursachen haben und sich zudem verwachsen.

Meist falle die Behinderung durch Verhaltensweisen auf, bei denen die Erziehenden an ihre Grenzen stoßen. FASD-Kinder gehören oft zu den sogenannten „Systemsprengern“, die von Einrichtung zu Einrichtung weitergereicht werden. Wenn die Kinder zappelig und unkonzentriert sind, werde die Krankheit häufig mit ADHS oder Autismus verwechselt.

Die Impulskontrolle ist immer ein großes Thema.
Susanne Sommer
FASD-Hilfe

Typische Verhaltensweisen von FASD-Kindern könnten sein, dass sie immer wieder die gleichen Fehler machen, Dinge vergessen, die sie eigentlich schon konnten und sich emotional nicht in andere hineinversetzen können. „Die eigenen Bedürfnisse sind bei FASD-Kindern immer im Vordergrund“, erklärt Sommer. Das ändere sich auch im Erwachsenenalter nicht.

Der Gedanke, dass man Dinge, die mir nicht gehören, nicht ungefragt nehmen darf, sei bereits zu abstrakt. Der Gedanke, das will ich haben, überwiege. „Die Impulskontrolle ist immer ein großes Thema“, weiß Sommer.

Durch die Schädigung des Gehirns seien bei Menschen mit FASD die Exekutivfunktionen gestört. Das sind Fähigkeiten, die zur Alltagsgestaltung notwendig sind, um sich selbst und seine Emotionen zu regulieren, seine Handlungen zu planen, an einer Sache dranzubleiben und angemessenes Verhalten sowie Empathie in sozialen Situationen zeigen zu können.

Man muss pädagogisch umdenken.
Susanne Sommer
FASD-Hilfe

„Viele Menschen mit FASD sind undiagnostiziert“, bedauert Sommer. Liegt eine FASD-Diagnose vor, empfiehlt sie, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen und einen Pflegegrad, um Unterstützung zu bekommen. „Es handelt sich um eine sehr herausfordernde Behinderung“, weiß Sommer aus eigener Erfahrung mit einer FASD-Pflegetochter.

Man müsse sich ein Netzwerk aufbauen, sonst sprenge die Behinderung den Familienrahmen. Die Erziehenden müssten sich Wissen aneignen, wie mit dem Kind umzugehen ist, weil es gewisse Dinge einfach nicht (lernen) kann. Es gelte herauszufinden, wo die Stärken des Kindes liegen und was gefördert werden kann. Auch die eigene Erwartungshaltung müssten Erziehende überprüfen. Oder auch das eigene Verhalten. „Man muss pädagogisch umdenken“.

„Die Facetten der Spektrumstörung sind vielfältig“, berichtet Sommer von einem Mann mit FASD, der sein Studium erfolgreich absolviert hat, aber jeden Tag zur Arbeit begleitet werden muss, weil er seinen Alltag nicht organisiert bekommt. Wichtig ist der FASD-Expertin, dass nicht die Mütter zu Schuldigen gemacht werden. „Sie schädigen ihr Ungeborenes nicht mit Absicht.“ Sommer sieht im Umgang mit Alkohol ein gesellschaftliches Thema, bei dem viel zu wenig Aufklärung betrieben werde.

Telefonische Beratung und online

Die FASD-Hilfe bietet Menschen mit FASD, Angehörigen und Fachkräften Beratung, telefonisch oder online. Aufgebaut wurde die Beratungsstelle, die landesweit aufklärt und berät, von Christiane Schute. Bis Ende des Jahres soll eine digitale Informationsplattform fertig sein und Sommer hofft, dass bis dahin eine Weiterfinanzierung absehbar ist. „Wir brauchen eine Regelfinanzierung.“

Die FASD-Hilfe im Kollmar & Jourdan-Haus in der Bleichstraße ist die erste in Baden-Württemberg und war bis vor wenigen Wochen auch die einzige. Sie ist ein Angebot der Fazit-Gesellschaft für lösungsorientierte Jugendhilfe.

Internet

FASD-Hilfe in Baden-Württemberg

FAZIT – Gesellschaft für lösungsorientierte Jugendhilfe mbH

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