Bei der Walze schlägt das Männerherz höher. Arianne Schwarz ist sofort in ein Gespräch verwickelt. Dabei geht es bei dem Rundgang durch den alten Schlachthof von Pforzheim um vieles, aber nicht um Maschinen für die Schmuckproduktion.
Groß gedacht steht die Zukunft der Goldschmiedewerkstatt zur Disposition, die Arianne Schwarz Ende 2019 zusammen mit Aaron Fischer eingerichtet und bezogen hat.
Für die rund 40 Teilnehmer bei zwei Besichtigungstouren am Nachmittag dürfte das bestenfalls ein Nebenaspekt sein. Sie sind zum Tag der Architektur gekommen, um Zukunftsweisendes kennenzulernen. Das gilt auch für etwa zehn Stadträte.
Die Genossenschaft Gewerbekultur sowie der Vorsitzende der Architektenkammer, Hans Göz, führen sie separat durch die seit knapp 20 Jahren vor sich hinbröselnden Industriebauten, um deren Wert für neues Wohnen deutlich zu machen.
Bezahlbarer Wohnraum soll in Pforzheim entstehen
Einen echten Eindruck davon, wie alles werden könnte, hinterlässt dabei die junge Architektin Laura Berndt. Stadträte wie später auch Besucher des Architekturtags zeigen sich begeistert von ihrem Entwurf.
Während Leute wie Hans und Beate Hoffer aus Wiernsheim anschließend womöglich ernsthaft darüber nachdenken, ob das Vorhaben der Gewerbekultur für sie passen könnte, geht es bei den Stadträten um Stadtentwicklung. Die Genossenschaft hat einen Gestattungsvertrag. Bis Ende des Jahres muss sie ein finanziell und baurechtlich genehmigungsfähiges Konzept vorlegen.
Gegenwind hat sie bereits jetzt. Dies zeigt die Reaktion von Andreas Sarow, der dieser Tage mit diskreditierenden Fragen auf sich aufmerksam machte. Seine Bedenken wegen der Entwicklung des Areals seien bestätigt, sagt er nach dem eineinhalbstündigen Rundgang.
Für die CDU-Fraktion gehe es um die bestmögliche Entwicklung für die Stadtbevölkerung, „nicht um das Lebensmodell, den Lebenstraum einer Genossenschaft zu Lasten der Allgemeinheit“. Das Areal müsse unter Federführung der Stadtentwicklungsgesellschaft entwickelt werden, „die wir gerade aus der Taufe heben“. Er führe bereits Gespräche mit Interessenten.
„Die Ideen der jungen Dame sind interessant, es müsse aber überprüft werden, ob sie zu bezahlbarem Wohnraum führen“, befindet Michael Schwarz von den Freien Wählern. Außerdem fehlten die Zuschussbescheide.
Der AfD geht es laut Bernd Grimmer nicht darum, das Gelände zu einem Höchstpreis zu verhökern, sondern um dessen Wert für die Oststadt. Diesen betonen auch Annkathrin Wulff (SPD), Sunita Vimal (Bündnis 90/Die Grünen) und Emre Nazli (Grüne Liste) mit Blick auf die der Genossenschaft. Ihr Projekt habe das Potenzial, nach außen zu strahlen.
Vom Gemeinderat durchweg begrüßte Studien stützen diese Sicht der Dinge. Sie stellen die durch den Gestattungsvertrag mit der Gewerbekultur seit 2019 gesetzte Umnutzung der Industriebrache für das alternative Wohnprojekt in eine Reihe mit der Bedeutung einer neuen Nutzung des Kohlebunkers sowie des Thales-Areals für eine Aufwertung der Oststadt.
Wer offen ist für so ein Projekt, hat eine überzeugende Präsentation gesehen.Sibylle Schüssler, Bürgermeisterin
Auch in die produktive, gerechte und grüne Stadt würde sie passen, die die Architektenkammer mit ihrem Eintreten für die Leipziger Charta unterstützt.
„Wer offen ist für so ein Projekt, hat eine überzeugende Präsentation gesehen“, sagt Baubürgermeisterin Sibylle Schüssler (Grüne). Die Stadt habe einen Leuchtturm am Start, der ein Ornamenta-Ort werden könne und für den sie weiter kämpfen werde: „Die Frage ist, ob die Politik das will.“
Zeitstrahl führt zur Ornamenta 2024
Wie zentral gesetzt die Ornamenta 2024 ist, zeigt der Zeitstrahl. Die Genossenschaft unterlegt damit die Darstellung ihres Konzepts, der seit rund vier Jahren geleisteten Arbeit und der zugesagten drei Förderungen im Wert von knapp einer Millionen Euro. Er zählt auch für die rund 65 Mitglieder sowie für die Lebenshilfe, die zwei große integrative Wohngruppen auf dem Gelände plant.
Wie das Projekt bereits jetzt ganz unmittelbar für eine berufliche Zukunft in Pforzheim wirkt, zeigt der Rundgang durch die Werkstätten. So würde Claudia Frisch mit ihren Porzellan-Unikaten gerne weiter machen an dem Ort, an dem sie studiert hat. Sie ist deshalb, angelockt durch das Projekt alter Schlachthof, mit ihrem Atelier wieder zurückgezogen aus Karlsruhe.
Francisco Diaz Donoso kann eine derartige Geschichte noch nicht erzählen. Er nutzt den Freiraum, den die Goldschmiedeschule ihm und anderen Schülern mit einem Atelier im alten Schlachthof bietet. Auch die Fahrradwerkstatt, die kommendes Jahr in die Kleiststraße umziehen will, entfaltet mit einem Flohmarkt beim Architekturtag bereits eine ganz eigene Anziehungskraft.
Wenlai Ren ist mit seiner Familie eigens aus Mühlacker angereist, um für sich und die Kinder passende Räder zu finden.