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Zwölf Corona-Fälle

Werkstätten der Lebenshilfe Pforzheim Enzkreis stellen auf Schichtbetrieb um

Bislang wurde keine der Behindertenwerkstätten landesweit zum Corona-Hotspot. Bei der Lebenshilfe Pforzheim Enzkreis gibt es nun 13 Fälle, woraufhin eine Gruppe geschlossen wurde. Die Betroffenen sind bisher symptomfrei.

Junge Frau mit Down Syndrom in Wohngruppe
Guter Dinge: Lisanne Lotz freut sich, dass ihr Corona-Test negativ ausgefallen ist und sie nun wieder in der Werkstatt der Lebenshilfe in der gablonzer Straße arbeiten kann. Foto: Günter-Helmrich Lotz

Lisanne Lotz arbeitet seit neun Jahren in der Behindertenwerkstatt der Lebenshilfe Pforzheim Enzkreis in der Gablonzer Straße 6. Die 33-Jährige hat Trisomie 21 (Down-Syndrom). In ihrem Bereich verpackt sie zusammen mit 29 anderen Frauen und Männern Dinge wie Werbegeschenke und Gebrauchsanweisungen in Tüten.

Lisanne geht gerne zur Arbeit. Vor Corona hat sie allerdings eine „Riesenangst“, sagt sie. Um so mehr, nachdem eine Kollegin in ihrer Arbeitsgruppe vergangene Woche positiv auf das Virus getestet wurde.

Dann kam am Sonntag für Lisanne die Entwarnung. „Sie hat richtig gejubelt, weil ihr Ergebnis negativ war“, berichtet ihr Vater Günter-Helmrich Lotz.

Stand jetzt sind alle symptomfrei.
Oliver Keppler, Geschäftsführer der Lebenshilfe

Mit Lisanne wurden am Freitag 59 Mitarbeiter aus zwei Werkstätten der Gablonzer Straße vom Gesundheitsamt getestet, zwölf weitere von ihnen sind mit dem Coronavirus infiziert.

„Stand jetzt sind alle symptomfrei“, berichtet Oliver Keppler, Geschäftsführer der Lebenshilfe. Die zwölf Betroffenen arbeiten in derselben Gruppe, die nun geschlossen wurde. Die anderen Gruppen und Werkstätten will Keppler ausdünnen. „Wir überlegen uns, nun alle Mitarbeiter in den Schichtbetrieb zu schicken.“

Wochenweise arbeitet eine Hälfte in der Werkstatt

Dabei würde jeweils die Hälfte einer Gruppe im Wechsel mit der anderen wochenweise in der Werkstatt arbeiten beziehungsweise Arbeit mit nach Hause nehmen. In den fünf Werkstätten der Lebenshilfe sind rund 500 Menschen beschäftigt.

An diesem Dienstag stehe ein Termin mit Stadt und Enzkreis an, den beiden Leistungsträgern der Lebenshilfe, sagt Keppler.

Daraus soll nun ein Jour Fixe werden, bei dem der betriebliche Ablauf in den kommenden Wochen besprochen wird, immer abhängig vom Infektionsgeschehen.

Lisanne lebt in einer achtköpfigen betreuten Wohngruppe mit zwei Betreuern, die nachmittags bis abends da sind. Nachdem vergangene Woche der zunächst erste Corona-Fall bekannt wurde, war es für Günter-Helmrich Lotz klar, dass er seine Tochter vorläufig nach Hause zur Familie holen und sie auch von der Werkstatt fernhalten würde.

Am Montagmorgen ist Lisanne an ihren Arbeitsplatz und in ihre Wohngemeinschaft in der Seebergstraße zurückgekehrt, nachdem die Betreuerin angerufen hatte, um mitzuteilen, dass keiner Corona hat; weder in Lisannes Wohn- noch in der Arbeitsgruppe, wo es bei dem einzelnen Fall geblieben sei, wie Keppler bestätigt.

Angehörige wünschten sich zeitweise Schließung

Angehörige von Arbeitnehmern, unter ihnen Günter-Helmrich Lotz, hatten kürzlich kritisiert, dass die Lebenshilfe ihre Werkstätten nicht wie zu Beginn der Pandemie eine Zeit lang schließt und sie dann wieder sukzessive öffnet, sobald die Infektionszahlen sich verringern.

Auch Keppler äußerte sich besorgt. „Wir sehen eine permanente Gesundheitsgefährdung bei Vollauslastung für alle Beteiligten“, hatte der Geschäftsführer den Angehörigen in einem Brief mitgeteilt und eine vorübergehende Reduzierung der Arbeitsplätze in Aussicht gestellt.

Lebenshilfe ist an Vorgaben gebunden

Keppler hatte in dem Brief auch erklärt, die Lebenshilfe könne die Werkstätten nicht eigenmächtig schließen, sondern sei gebunden an die gesetzlichen Vorgaben des Sozialministeriums. Unabhängig davon ist es Keppler aber auch wichtig, die Werkstätten offen zu lassen: „Für diejenigen, die kommen wollen und müssen, weil sie zu Hause keine durchgängige Betreuung haben“, erklärt er.

Ein Sprecher des Sozialministeriums erinnert an die Folgen der Schließung im vergangenen Jahr. Damals seien viele verzweifelte Briefe von Menschen in seiner Behörde eingegangen, „die mit der Betreuung ihrer oft herausfordernden Angehörigen an den Rand ihrer Möglichkeiten gekommen sind“.

Infektionsschutzkonzept mit Fiebermessen

Nach dem ersten Lockdown führte die Lebenshilfe ein Infektionsschutzkonzept ein. Dazu gehören unter anderem tägliches Fiebermessen, Spuckschutzwände, Desinfektionsmittel und Einmalmasken.

Dass diese Maßnahmen wirken, zeigt sich für den Ministeriumssprecher darin, dass Behindertenwerkstätten weder in Pforzheim noch landesweit bislang zu Corona-Hotspots wurden. „Die meisten Beschäftigten und deren Angehörige sind froh, dass es wieder eine geregelte Tagesstruktur für sie gibt und sie arbeiten dürfen, denn sie sind stolz auf ihre Arbeit“, sagt der Sprecher.

Ministeriumssprecher: Keine Corona-Hotspots in Werkstätten

Laut Keppler ist nun geplant, bis kommenden Montag die Arbeit in den Werkstätten auf Schichtbetrieb umzustellen. Dann dürften viele Mitarbeiter und deren Angehörige etwas weniger Sorgen vor Ansteckung haben. Als nach dem ersten Lockdown der Betrieb langsam wieder losging, war es Betroffenen frei gestellt, am Arbeitsplatz zu erscheinen, ohne dass sie dadurch Nachteile hatten.

„Wenn ein Beschäftigter oder seine Angehörigen dennoch Angst vor einem Werkstattbesuch haben, kann der Beschäftigte fernbleiben“, sagt der Sprecher des Innenministeriums jetzt dazu.

Aber im Gegensatz zum vergangenen Jahr dürfte das nun rechtliche Folgen haben, wie Keppler bestätigt: Betroffene müssten sich dann selbst sozialversichern, die Kostenzusage der Leistungsträger würde zurückgenommen werden, ebenso würde der Arbeitnehmer das Recht auf Teilhabe zurücknehmen.

„Für diesen Status haben wir Jahrzehnte gekämpft“, sagt Keppler. Die Arbeit in der Werkstätten sei außerdem ein Stück weit Normalität.

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