Sein Geschäft ist der Frohsinn, doch Karl Müller kämpft mit den Tränen. Der 70-Jährige Vizechef des Schaustellerverbandes Pforzheim hat schon als 14-Jähriger am Losstand seines Vaters die Preise überreicht. „Ich dachte, ich hätte schon alles gesehen in dieser Branche“, sagt er.
Am Montag hatten Müller und seine Mitarbeiter ihren Süßigkeitenstand auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt eingeräumt. „Die Hiobsbotschaft haben wir auf der Heimfahrt im Autoradio gehört.“ Keine 48 Stunden vor der Eröffnung wurde der Stuttgarter Markt abgesagt. Droht das nun auch dem Weihnachtsmarkt in Pforzheim?
Müller sitzt nun mit seinem Betrieb auf einer Lkw-Ladung Nürnberger Lebkuchen und einem Haufen Rechnungen, auch Hotelzimmer für Mitarbeiter hatte er schon gebucht. Doch Müller hat auch im zweiten Corona-Winter noch Verständnis für die Politik. „Die Stadtoberen haben lange für den Weihnachtsmarkt gekämpft.“
Stuttgart: Weihnachtsmarkt abgesagt - Besucherandrang nicht mehr beherrschbar
Nachdem aber andere große Weihnachtsmärkte wie der Barockweihnachtsmarkt in Ludwigsburg und der Mittelaltermarkt in Esslingen abgesagt wurden, zog Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper die „Notbremse“ wie der CDU-Politiker gegenüber Medien sagte.
Nach der Absage der Märkte in Ludwigsburg und Esslingen wäre in Stuttgart ein enormer Besucherandrang zwangsläufig. Dieser wäre unter Corona-Bedingungen nicht mehr kontrollier- und beherrschbar, so die Einschätzung Noppers.
Was die Stuttgarter Entscheidung für die rund 40 Kilometer entfernte Stadt Pforzheim und ihren Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) bedeutet, blieb zunächst unklar.
Etwa zeitgleich zu einer Krisen-Videokonferenz zwischen Esslingen, Ludwigsburg und Stuttgart am Montagnachmittag, eröffneten Pforzheims Erster Bürgermeister Dirk Büscher (CDU) den Pforzheimer Weihnachtsmarkt und erläuterten das Pforzheimer Corona-Sicherheitskonzept.
Dann ließ man sich von der Presse beim Glühweintrinken fotografieren.
In der Praxis zeigten sich am Eröffnungstag schnell die Lücken des Pforzheimer Konzeptes, das bislang einen 2G-Nachweis nur in den abgesperrten Bereichen der Glühweinstände erfordert, was aber zum Teil nur halbherzig kontrolliert wurde.
Am Abend bildeten sich lange Schlangen vor den Glühweinständen, Grüppchen bildeten sich. Manche trugen die eigentlich vorgeschriebenen Masken, einige andere aber nicht. Getrunken und gegessen wurde praktisch in der ganzen überaus gut besuchten und frei zugänglichen Fußgängerzone.
Schausteller-Vertreter fordert Glühwein-Verbot, um Weihnachtsmarkt in Pforzheim zu retten
Karl Müller kann nur hoffen, dass der Staat ihn und die anderen betroffenen Beschicker nicht im Stich lässt: „Man hat uns nicht weniger als ein Berufsverbot erteilt.“
Man hat uns nicht weniger als ein Berufsverbot erteilt.Karl Müller, Schausteller
Der Schausteller-Funktionär sieht jetzt nur noch eine Möglichkeit, die Weihnachtsmärkte wenigstens in reduzierter Form offen zu halten. „Eigentlich wissen das doch alle. Das Problem sind die Glühwein-Stände. Wenn wir den Alkoholausschank untersagen, dann können wir die Märkte retten“, sagt der Schausteller, der selbst keinen Glühwein im Sortiment hat.
Die enthemmende und damit infektionsfördernde Wirkung des Glühweins war nach Informationen dieser Redaktion auch ein Thema, als das Sicherheitskonzept in nicht-öffentlicher Sitzung im Pforzheimer Gemeinderat besprochen wurde. Doch ein Alkoholverbot sei schnell vom Tisch gewesen. „Man hat das mit der Tradition begründet“, berichtet ein Teilnehmer.
Neue Corona-Verordnung: Pforzheim sieht hohe Hürden für Weihnachtsmarkt
Bereits in der vergangenen Woche hatte man im Pforzheimer Rathaus eine Absage des Weihnachtsmarktes ernsthaft erwogen. Es kam bekanntlich anders. OB Boch hatte den Budenzauber unter anderem mit dem Hinweis auf Stuttgart verteidigt. Dort werde ja schließlich auch gefeiert.
Die Pforzheimer Stadtverwaltung äußerte sich am Dienstagnachmittag auf Anfrage dieser Redaktion. „Die neue Corona-Verordnung enthält für die weitere Durchführung des Weihnachtsmarkts hohe Hürden, die wir nun zunächst mit den Schaustellern besprechen müssen“, so ein Sprecher. Allerdings liege die Verordnung im Wortlaut noch nicht vor.
Mit Blick auf zum Teil nachlässige Kontrollen hieß es: „Wir wirken auf die Kontrollstellen ein, dass sie präziser auf Defizite achten. Auch als Stadt erwarten wir hier eine präzise und gewissenhafte Vorgehensweise im Sinne aller Bürger.“
Grundsätzlich bewege man sich im Korridor der rechtlichen Rahmenbedingungen. „Insgesamt verlief der erste Tag diszipliniert“, so ein Sprecher.
(Der Artikel wurde nach Vorliegen um eine Stellungnahme der Stadtverwaltung Pforzheim ergänzt.)