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„Kein Meinungsverbot für Oberbürgermeister“

Grünen-Politiker irritiert von Peter Boch – der äußert sich jetzt erstmals zu Corona-Demos

500 Menschen haben in Pforzheim mit einer Menschenkette ein Zeichen für den Zusammenhalt gesetzt – parallel zur Corona-Demo. Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) war nicht dabei. Ein prominenter Grüner reagiert irritiert. Boch erklärt sich nun gegenüber dieser Redaktion.

Demonstrativer Zusammenhalt: Bei der Kundgebung auf dem Waisenhausplatz und der anschließenden Menschenkette waren auch etliche politische Mandatsträger verschiedener Couleur dabei.
Demonstrativer Zusammenhalt: Bei der Kundgebung auf dem Waisenhausplatz und der anschließenden Menschenkette waren auch etliche politische Mandatsträger verschiedener Couleur dabei. Foto: René Ronge

Der Pforzheimer Grünen-Landtagsabgeordnete Felix Herkens sagte nach der Demo gegenüber dieser Redaktion: „Ich finde es schon sehr irritierend, wenn über Parteigrenzen und Bevölkerungsgruppen hinweg ein friedliches Zeichen für den Zusammenhalt gesetzt wird, und dann der Oberbürgermeister nicht dabei ist. Ich weiß nicht, was seine Gründe sind, vielleicht gibt es ja welche, aber er hätte ja auch einen Stellvertreter schicken können.“

Boch hatte sich bislang auch nicht zu den Corona-Protesten in der Stadt positioniert, zuletzt zogen bis zu 5.500 Teilnehmer mit Trommeln, Trillerpfeifen, Sprechchören und teils radikalen Botschaften durch die Innenstadt.

Herkens, Stadtrat und Landtagsabgeordneter, betonte: „Es gibt kein Meinungsverbot für einen Oberbürgermeister, auch ein Oberbürgermeister kann eine politische Meinung haben. Man darf sogar erwarten, dass er sich da positioniert.“

Es gibt kein Meinungsverbot für einen Oberbürgermeister, auch ein Oberbürgermeister kann eine politische Meinung haben. Man darf sogar erwarten, dass er sich da positioniert.
Felix Herkens, Grünen-Abgeordneter

Herkens war am Montagabend einer von rund 500 Teilnehmern von Kundgebung und Menschenkette auf dem Waisenhausplatz.

Die Versammlung sollte als Zeichen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Pandemie dienen. Sie wurde zeitgleich und in räumlicher Nähe zur montäglichen Corona-Demo abgehalten. Sprecher waren Initiator Gerhard Baral und der Antisemitismusbeauftragte des Landes, Michael Blume (CDU).

Neben Herkens waren auch die Grünen-Landtagsabgeordnete Stefanie Seemann aus dem Enzkreis sowie die drei Bundestagsabgeordneten Gunther Krichbaum (CDU), Katja Mast (SPD) und Stephanie Aeffner (Grüne) vor Ort. Nicht dabei waren die beiden FDP-Politiker Rainer Semet (Bund) und Hans-Ulrich Rülke (Land). Rülke argumentierte, es gebe das Risiko einer Konfrontation, jedenfalls müsse die Polizei dieses Szenario befürchten.

Ebenfalls abwesend waren Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) und die gesamte Rathausspitze. Auf Anfrage dieser Redaktion erklärte die Pressestelle der Stadtverwaltung nun am Dienstagmittag: „Der Oberbürgermeister schätzt jedes zivilgesellschaftliche Engagement, das sich entschieden gegen die Verbreitung von Unwahrheiten, Falschnachrichten und abstruser Theorien wendet. Allerdings ist es aus Sicht der Stadt derzeit nicht verantwortbar, zu größeren Menschenansammlungen aufzurufen. Eigene größere städtische Veranstaltungen werden daher derzeit abgesagt.“

Allerdings muss es uns größte Sorge bereiten, wenn ein kleiner Teil unserer Gesellschaft nicht mehr für faktenbasiertes Wissen erreichbar ist.
Peter Boch, Oberbürgermeister Pforzheim

Das Rathaus verweist darauf, dass die Sieben-Tage-Inzidenz in Pforzheim und in ganz Baden-Württemberg inzwischen über 1.000 liegt. Das bereite den Verantwortlichen in Stadt und Kreis größte Sorge.

„Deshalb sollte in der jetzigen pandemischen Situation alles vermieden werden, was zu konfrontativen Situationen in Pforzheims Innenstadt führen könnte – oder zu immer mehr Menschen, die dafür womöglich noch extra von außen einreisen. Dieser Appell richtet sich natürlich vor allem auch an die Corona-Demonstrierenden“, heißt es in der Antwort.

Erstmals bezieht Boch nun auch direkt Position zu den immer größer werdenden Corona-Protesten. Die Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut. „Allerdings muss es uns größte Sorge bereiten, wenn ein kleiner Teil unserer Gesellschaft nicht mehr für faktenbasiertes Wissen erreichbar ist. Man kann sicherlich nicht alle Corona-Demonstrierenden über einen Kamm scheren, diese grundsätzliche Gefahr sehe ich in diesen Gruppen aber schon.“

Besonders enttäuscht habe ihn, dass bei der Demonstration am Montag – im Gegensatz zu der am Samstag – das Trommeln am Platz der Synagoge von den Demonstrierenden nicht ausgesetzt wurde. Das zeige, dass die Bereitschaft zum Dialog dort nicht sehr ausgeprägt sei.

Manche Beobachter hatten sich deswegen an dunkelste Kapitel der Geschichte erinnert gefühlt.

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