Wer ist wohl der bekannteste Pforzheimer? Der Humanist Johannes Reuchlin (1455–1522), der Maschinenbauingenieur und Unternehmer August Benckiser (1820–1894), der Dichter und Schmuckfabrikant Ludwig Auerbach (1840–1882; „O Schwarzwald, o Heimat“), Heinrich Witzenmann als Erfinder des Metallschlauchs (1829–1906), der Chemie-Nobelpreisträger von 1927, Heinrich Wieland (1877–1957), der Automobilrennfahrer und VW-Mitbegründer Adolf Rosenberger (1900–1967), oder der Boxer René Weller (geboren 1952) – um nur einige Prominente zu nennen?
Wer sich in der Bevölkerung umhört, der erhält als Antwort dagegen wohl meist: „Der Dicke.“ Beliebt ist die auf den Leopoldplatz blickende Skultptur von Karl-Henning Seemann auch bei Besuchern der Stadt, die sich gerne mit dem „Dicken“ fotografieren lassen oder ein Selfie machen.
Wäre er aus Fleisch und Blut, der „Dicke“ würde sich über so viel Aufmerksamkeit, ja Liebe, vielleicht freuen. Doch wahrscheinlich wäre ihm derzeit eher nach trauern zumute – um seinen Schöpfer. Karl-Henning Seemann, der 1934 in Wismar geboren wurde und seit 1975 in Löchgau (Kreis Ludwigsburg) in einer alten Villa mit großem Garten lebte, ist – wie erst jetzt bekannt wurde – am 15. Januar im Alter von 88 Jahren gestorben.
„Kann einer zugleich kantig sein und humorvoll sein?“ fragt die „Stuttgarter Zeitung“ in ihrem Nachruf. Ja. Henning wechselte 1955 von der Hochschule Weißensee im damaligen Berlin-Ost nach Berlin-West an die Hochschule der Künste. Später kam er ins Ländle, das ihm zur Heimat wurde. Er lehrte Bildhauerei an der Stuttgarter Kunstakademie von 1974 bis 1997. Mit seinen Plastiken habe er stets eine Geschichte erzählen wollen, die mit einem Ort und seinen Menschen zu tun haben, wird ihm nachgesagt.
Sein „Dicker“ war dabei eigentlich nicht für den Pforzheimer Leopoldplatz bestimmt. Seemann war bei einem Wettbewerb zu „Kunst am Bau“ für die Musikhochschule Freiburg als Sieger hervorgegangen. Für seine „Die Lauschenden“ stellte er eine Männerfigur breitbeinig vor den Eingang und setzte die übrige Gruppe mit immer kleiner werdenden Abständen Richtung Konzertsaalwand in Bewegung, an welcher sie lauschen.
Im Jahr 1984 erhielt der Breitbeinige dann einen Zwillingsbruder, der „Dicke“, wie er von den Pforzheimern schnell liebevoll bezeichnet wurde. Er ist ein Beobachter in Bronze, „der das Geschehen um ihn herum mit stoischer Ruhe, unverhohlener Neugier zur Kenntnis nimmt“, wie später in der Veröffentlichung „Stadtschmuck“ über „Kunst im Stadtbild“ vermerkt ist.
Spendenaktion „Rettet den Dicken“ in Pforzheim
Als Leihgabe kam er als „männliche Figur“ in die Goldstadt und wurde hier schnell von den Pforzheimern ins Herz geschlossen. Eine Spendenaktion unter dem Motto „Rettet den Dicken“, die schnell die erforderlichen 50.000 Mark zusammenbrachte, ermöglichte den Ankauf, so dass er in der Goldstadt sesshaft wurde.
Nach bald vier Jahrzehnten könnte der „Dicke“ von einer wechselvollen Geschichte erzählen, die er am Leo erleben musste. So etwa, als er von seinem angespannten Platz vor dem Industriehaus an den Eingang zur Fußgängerzone umziehen musste.
Fortan blickte die Skulptur auf den Leopoldplatz – und damit tagtäglich auf Tausende Passanten, Hunderte Busse und trotz der später eingerichteten Fußgängerzone auf unzählige Kraftfahrzeuge.
Einmal fiel der „Dicke“ um, einmal wurde er fast von einem durch Sturmböen umfallenden Weihnachtsbaum getroffen. Doch den „Dicken“ kann offensichtlich nichts so schnell erschüttern. Auch, nachdem er plötzlich von seinem neuen Standort verschwunden war, tauchte der „Dicke“ wieder auf – er musste einfach einer Baustelle in der Fußgängerzone weichen.