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Suchtgefahr durch Tilidin

Drei Todesfälle: Pforzheimer Suchtberatung warnt vor sorglosem Schmerzmittel-Konsum

Immer mehr 15- bis 25-Jährige konsumieren das Schmerzmittel Tilidin. Das hat die Jugend-Sucht & Lebenshilfe „Plan B“ beobachtet. Die Situation hat sich in den vergangenen Monaten zugespitzt: Drei junge Männer sind an einer Überdosis gestorben.

Sabine Fingberg (von links), Isabella Heilig, Leiterin der Jugend- und Suchtberatungsstelle, und Harald Stickel (Plan B) beobachten, dass immer mehr junge Menschen das Schmerzmittel Tilidin konsumieren.
Sabine Fingberg (von links), Isabella Heilig, Leiterin der Jugend- und Suchtberatungsstelle, und Harald Stickel (Plan B) beobachten, dass immer mehr junge Menschen das Schmerzmittel Tilidin konsumieren. Foto: Torsten Ochs

19, 22 und 27 Jahre alt waren die drei Pforzheimer, die der Jugend- und Suchtberatung bei „Plan B“ bekannt waren. Sie hatten Cannabis mit Tilidin kombiniert. „Es ist ein mittleres Schmerzmittel und wird von vielen daher unreflektiert konsumiert“, sagt Isabella Heilig, Leiterin der Jugend- und Suchtberatungsstelle.

Das Problem sei aber, dass sich die Konsumenten durch das im Tilidin enthaltene Naloxon geschützt fühlen, das wie ein Gegengift gegen eine Opiat-Überdosierung wirkt. Viele wissen aber nicht, dass die Wirkung außer Kraft gesetzt werde, wenn man die Tabletten beispielsweise mit Alkohol kombiniere.

„Tilidin ist klar auf dem Vormarsch“, sagt Heilig. Der Konsum sei bei den 15- bis 25-Jährigen in den vergangenen drei Jahren erheblich gestiegen. Ein Viertel der Drogenkonsumenten geben beim Erstgespräch in der Beratungsstelle an, dass sie mehr als einen Kontakt mit dem verschreibungspflichtigen synthetischen Opioid hatten. Außerdem sei die Hemmschwelle zu den „harten Drogen“ gefallen: „In unserer Beratung hören wir häufig, dass bereits alles probiert wurde – außer Heroin“, so Heilig.

Tilidin ist klar auf dem Vormarsch.
Isabella Heilig, Leiterin der Jugend- und Suchtberatungsstelle

Viele Jugendliche erwähnen Tilidin aber gar nicht, weil sie es unkritisch als Arzneimittel sehen, ergänzt Sabine Fingberg (Fachkraft Prävention). Dabei bestehe die Gefahr, sehr schnell körperlich abhängig zu werden. Auf die Frage, warum sie Schmerzmittel nehmen, antworten viele, dass die Medikamente neben dem rauschhaften Gefühl eine „angenehme Gleichgültigkeit“ auslösen und sie dadurch „noch gechillter sind“, berichtet Harald Stickel, Geschäftsführer der Plan B gGmbH.

 Deutsche Ärzte verschreiben immer mehr Opioide. Durch den freizügigen Umgang mit dem Medikament ist in den USA eine regelrechte Opioid-Epidemie ausgebrochen.
Deutsche Ärzte verschreiben immer mehr Opioide. Durch den freizügigen Umgang mit dem Medikament ist in den USA eine regelrechte Opioid-Epidemie ausgebrochen. Foto: Christoph Soeder/dpa

Er stelle sich allerdings die Frage, warum Jugendliche ein Bedürfnis nach Gleichgültigkeit haben. Eine große Rolle spiele hier sicherlich auch die Rap-Kultur: Tilidin werde in über 100 Liedern besungen und gelte als cool. „Dagegen sind wir natürlich machtlos“, berichtet Fingberg.

Suchtberatung will künftig gezielt nach Opioiden fragen

„Viele wissen aber nicht, was sie tun“, sagt Fingberg. Denn der „nette Rausch“ durch die Schmerzmittel werde unterschätzt. Deshalb ändert die Suchtberatung ihre Vorgehensweise: Die Mitarbeiter wollen künftig in den Gesprächen genauer nachfragen – nicht nur nach der Hauptsubstanz, die konsumiert wird, sondern gezielt auch nach Opioiden.

Ziel ist es, konkrete Daten zu sammeln, die Konsumenten über Opioide aufzuklären und ihnen helfen, ein Gespür dafür zu entwickeln, ob sie dabei sind, abhängig zu werden.

„Plan B“ will außerdem Ärzte und Apotheken sensibilisieren und auffordern, mehr Sorgfalt walten zu lassen. Denn die Zahl der Verschreibung von Schmerzmitteln sei bundesweit immens in die Höhe gegangen.

Früher sei es fast verpönt gewesen, Schmerzmittel zu verschreiben, aber die Hemmschwelle sei gefallen, sagt die Leiterin der Jugend- und Suchtberatung: „Die werden großzügig und in großen Mengen verschrieben“, so Heilig. „Und viele Konsumenten sind gutgläubig, weil sie denken, der Arzt wird es schon wissen.“ Aber auch ohne Rezept sind die Medikamente für viele erhältlich. Sie beschaffen sie sich im Darknet.

Polizei klärt über Drogenmissbrauch auf

Auf dem Weg aus der Abhängigkeit hilft die Entgiftungsstaton „Time out“ in Hirsau oder eine ambulante Entgiftung gemeinsam mit dem Arzt. „Plan B“ bietet Beratung für Betroffene und deren Eltern auch als Online-Beratung.

Prävention betreibt auch das Polizeipräsidium Pforzheim. In den Schulklassen 6 bis 9 werden Vorträge zur missbräuchlichen Verwendung von Drogen angeboten, teilt Simone Unger, Pressesprecherin der Polizei mit.

Kontakt

www.planb-pf.de

Telefon (0 72 31) 922 77 11

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