Skip to main content

Fachstellen fehlen Personal und Geld

Fälle von häuslicher Gewalt haben sich in Pforzheim verdoppelt

Frauenhaus und Fachstelle gegen häusliche Gewalt sind für Opfer eine wichtige Anlaufstelle. Vor allem Frauen mit Migrationshintergrund suchen inzwischen Hilfe im Frauenhaus.

Eine Frau versucht, sich vor der Gewalt eines Mannes zu schützen (gestellte Szene).
Besonders die Fälle von häuslicher Gewalt, die bei der Polizei Pforzheim gemeldet worden sind, haben drastisch zugenommen. Foto: Maurizio Gambarini/dpa

Die Herausforderungen, denen sich das Ökumenische Frauenhaus Pforzheim und die Fachstelle gegen häusliche Gewalt gegenübersehen, sind vielfältig. Lösungsansätze gibt es manche.

Oft fehlt es jedoch an finanziellen Mitteln oder die Bürokratie steht im Weg. Mit der Stadt laufen zumindest Gespräche über eine Erhöhung der Personalstellen.

Die Signale, die diesbezüglich aus der Verwaltung kommen, stimmen die Geschäftsführerin der Diakonie Pforzheim-Enzkreis, Sabine Jost, und die Leiterin von Frauenhaus und Fachstelle, Tanja Göldner, zuversichtlich. Gespräche zwischen Stadt und Enzkreis befinden sich demnach in den letzten Zügen. Eine Entscheidung soll in den nächsten zwei Wochen fallen.

Seit dem Jahr 2003 ist der Personalschlüssel im Frauenhaus nicht mehr verändert worden.
Sabine Jost
Geschäftsführerin Diakonie Pforzheim-Enzkreis

„Seit dem Jahr 2003 ist der Personalschlüssel im Frauenhaus nicht mehr verändert worden“, sagt Jost. 2,37 Stellen sind für Sozialarbeiter und Sozialpädagogen vorhanden – aber auch für alle anderen Aufgaben, die im Frauenhaus anfallen, das wieder stärker frequentiert wird.

Zwei Frauen sitzen an einem Tisch
Häusliche Gewalt ist weiterhin ein großes Thema, bei dem man genau hinschauen muss, wissen Tanja Göldner (links) und Sabine Jost. Umso wichtiger sind das Frauenhaus und die Fachstelle gegen häusliche Gewalt in Pforzheim, die in Kürze personell aufgestockt werden könnten. Foto: Stefan Friedrich

„Nach Corona sind die Zahlen wieder unwahrscheinlich gestiegen“, sagt Jost. Besonders die Fälle von häuslicher Gewalt, die bei der Polizei Pforzheim gemeldet worden sind, haben demnach drastisch zugenommen. Die Zahl hat sich innerhalb von nur fünf Jahren auf 596 Fälle verdoppelt.

Was dabei auffällt: Früher kamen die Frauen oft allein oder mit höchstens zwei Kindern, heute sind es oft auch mehr als vier Kinder, die sie im Frauenhaus unterbringen müssen. „Die belegen dann zwei Zimmer“, sagt Göldner.

Ausgelastet ist das Frauenhaus damit trotzdem nicht – was weniger am tatsächlichen Bedarf, als an den bürokratischen Hürden liegt. Was ebenfalls auffällt: Waren es früher hauptsächlich deutsche Frauen, die im Frauenhaus eine Zuflucht gefunden haben, sind es inzwischen vor allem Frauen mit Migrationshintergrund. „Das hat sich gedreht“, berichtet Jost.

Die Fachstelle gegen häusliche Gewalt in Pforzheim registrierte bis Ende August 128 Fälle

In der Fachstelle gegen häusliche Gewalt wiederum sind es vor allem deutsche Frauen, die Hilfe suchen, auch hier mit steigender Tendenz. 128 Fälle sind bis einschließlich August gezählt worden. Zum Vergleich: 2021 waren es insgesamt 132 Fälle.

Einerseits liegt das nach wie vor an den Folgen von Corona, als viele auf engem Raum miteinander leben mussten, andererseits ist die Gesellschaft sensibler geworden und hört genauer hin, weiß Göldner. Trotzdem braucht es weiterhin noch viel Aufklärungsarbeit.

Immer wieder hört die Frauenhaus-Leiterin das Argument: „Er hat mich doch nicht geschlagen, deshalb darf ich auch nicht ins Frauenhaus.“ Tatsächlich stimmt das nicht, denn psychische Gewalt sei meist sogar schlimmer als körperliche Gewalt, gibt Göldner zu bedenken.

„Schön wäre es deshalb, wenn sich die Frau gleich beim ersten Mal, wo sie häusliche Gewalt erlebt und nicht weiterweiß, an uns wendet, und nicht erst 15 Jahre wartet.“ Letzteres ist die Regel.

Fast 80 Prozent gehen zurück. Nur ein kleinerer Teil schafft es wirklich, ein neues Leben anzufangen.
Tanja Göldner
Leiterin von Frauenhaus und Fachstelle

In einem Fall hat Göldner sogar eine Klientin betreut, die 85 Jahre alt war und ein langes Martyrium hinter sich hatte. „Sie hat gemeint, sie hätte vielleicht noch zehn Jahre zu leben und möchte das nicht mit diesem Mann tun“, erzählt Göldner.

Diesen Schritt zu wagen, ist meist die größte Herausforderung für die Opfer. Die wenigsten schaffen das. „Fast 80 Prozent gehen zurück. Nur ein kleinerer Teil schafft es wirklich, ein neues Leben anzufangen“, sagt Göldner.

In diesem Fall konzentrieren sie sich vor allem auf die Kinder, die geschützt werden müssen, wenn die Frau selbst trotz Morddrohungen zu ihrem Mann zurückwill, zurück in das alte Leben, in dem Gewalt an der Tagesordnung steht.

In einem Fall musste das Jugendamt eingeschaltet werden

Dieses Jahr hatten sie wieder einen solchen Fall, bei dem das Jugendamt eingeschaltet und die vier Kinder von den Eltern getrennt wurden.

„Sie war einfach nicht bereit, sich an die Regeln zu halten“, bedauert Göldner, vor allem aber, ihre Kinder zu schützen. Schlimmer noch: Diese Frau hatte sogar die Adresse des Frauenhauses verraten, die eigentlich ja ein Geheimnis ist, „weil die anderen Frauen dort genauso geschützt werden müssen“.

Zudem gibt es verstärkt Frauen, die freitags kommen und am Montag wieder gehen. „Sie suchen Schutz für den Moment, schon aus Gründen der Gewalt, und merken dann aber, dass es sehr anstrengend ist im Frauenhaus“, berichtet Jost.

Die Frauen tragen hier erstmals die alleinige Verantwortung für ihre Kinder und müssen sich zugleich an Regeln halten, „und das schaffen viele nicht“. Das kann mitunter auch für die Mitarbeiter frustrierend sein und trotzdem werden sie sich weiterhin um jeden Fall intensiv kümmern, wenn ihre Hilfe gefragt wird. Demnächst idealerweise auch mit personeller Verstärkung.

nach oben Zurück zum Seitenanfang