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Im Stadtarchiv

Pforzheim gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus

Bei der Gedenkveranstaltung am Montagabend im Stadtarchiv sprach die Freiburger Historikerin Sabine Herrle über vier Menschen aus Pforzheim, die nach Theresienstadt deportiert wurden.

Die Freiburger Historikerin Sabine Herrle sprach am Montagabend im Stadtarchiv über Lina Hagenlocher, Greta Stengel, Julius Moser und Martin Schultz, die von den Nationalsozialisten nach Theresienstadt deportiert worden sind.
Die Freiburger Historikerin Sabine Herrle berichtet im Stadtarchiv über Lina Hagenlocher, Greta Stengel, Julius Moser und Martin Schultz, die von den Nationalsozialisten nach Theresienstadt deportiert worden sind. Foto: Stefan Friedrich

Traditionell gedenkt die Stadt Pforzheim Ende Januar der Opfer des Nationalsozialismus, so auch am Montagabend im Stadtarchiv. „Wir erinnern an die über 600.000 jüdischen Opfer und alle anderen Opfer, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt und ermordet wurden“, sagte Claudia Baumbusch in diesem Rahmen, als sie die Rede des kurzfristig erkrankten Oberbürgermeisters Peter Boch (CDU) vortrug.

Es sei ein Gedenken „gegen das Vergessen, mit dem wir auch heute wieder ein Zeichen setzen wollen“, so die stellvertretende Kulturamtsleiterin.

„Wir gedenken heute aller Opfer der europäischen Juden, der Sinti und Roma, der zu Zwangsarbeit geknechteten Menschen vieler Nationen, der Kriegsgefangenen, Frauen, Männer, Kinder. Wir gedenken der Menschen, die wegen körperlicher oder geistiger Behinderungen, wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihrer politischen oder religiösen Ansichten, wegen ihres widerständigen Verhaltens oder als Asoziale verfolgt wurden.“

Die Weimarer Demokratie sei damals bereits eine weitreichend ausgehöhlte Republik ohne Demokraten gewesen, die Machtergreifung letzten Endes eine Machtübertragung. „Gerade dies sollte uns nachdenklich stimmen und uns wachsam sein lassen“, so Baumbusch, „wachsam vor antidemokratischen Tendenzen in unserer Gesellschaft, wachsam für die weitverbreitete Infragestellung rechtlicher Institutionen, wachsam für Politikverdrossenheit und jede Abkehr von unserer freiheitlich demokratischen Verfassung“.

Deutschland gelang es nicht, die Demokratie zu bewahren

Wie sich die Situation am Ende der Weimarer Demokratie mit dem 30. Januar 1933 entwickelt hat, das sei schließlich allen bekannt.

Damals sei es den Deutschen nicht gelungen, ihre Demokratie zu bewahren; stattdessen sei der Zweite Weltkrieg entfesselt worden, bis hin zu Shoah, Genozid und Zivilisationsbruch.

Deshalb ist die Stadt der Freiburger Historikerin Sabine Herrle dankbar, dass sie die damalige Zeit wieder in Erinnerung ruft, indem sie über das persönliche Schicksal von Menschen spricht, die damals in Pforzheim gelebt haben. Vor zwei Jahren hat sie sich der Familie Kuppenheim gewidmet und über deren Verfolgung im Nationalsozialismus gesprochen.

Nach diesem Vortrag hat Herrle ihre Forschungen in Pforzheim vertieft und referierte am Montagabend über vier Pforzheimer, die alle nach Theresienstadt deportiert worden sind: Lina Hagenlocher, Greta Stengel, Julius Moser und Martin Schultz, dessen Sohn Werner unter den Zuhörern saß. Die vier haben das Martyrium überlebt, mussten aber teilweise jahrelang für eine Wiedergutmachung kämpfen.

Der Leidensweg begann im Jahr 1935

Ihr Leidensweg habe bereits 1935 begonnen, als sie zu Staatsbürgern zweiter Klasse erklärt wurden, erzählte Herrle. Für das System wurden sie zu „Volljuden“, weil ihre Großeltern jüdisch waren, dabei hatten alle einen evangelischen Ehepartner und – mit Ausnahme von Hagenlocher – waren auch alle konvertiert.

Weil sie getaufte Kinder hatten, galten sie als sogenannte „privilegierte Mischehen“ – mit Ausnahme von Moser, der zwar hochdekoriert aus dem Ersten Weltkrieg zurückkam, dessen Kind jedoch adoptiert war. „Das Ganze ist ein System des Irrsinns“, kommentierte Herrle.

Bevor sie nach Theresienstadt deportiert worden sind, hatten zudem alle vier normale bürgerliche Existenzen in Pforzheim. Hagenlocher beispielsweise hat ein Schmuckgeschäft in Pforzheim betrieben, Moser war selbstständiger Unternehmer und führte ein Herrenkonfektionsgeschäft und Schultz war selbständiger Uhrmachermeister mit eigenem Betrieb, galt für die Nazis trotzdem als „arbeitsscheu und wird deswegen als Aktionsjude durch Konzentrationslager geschleift“, so Herrle.

Als Zeitzeugen können alle vier heute nicht mehr befragt werden, „aber wir können ihnen durch Selbstzeugnisse eine Stimme geben“, so Herrle. Stengel habe in Theresienstadt ein Tagebuch geführt, Moser nach seiner Entlassung seine „Erlebnisse eines Nicht-Ariers in den letzten Monaten des Nazi-Regimes“ dokumentiert. Das Stadtarchiv bewahrt diese Erinnerungen auf.

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