Eine etwas weiter entfernte Kita ohne Auto geht gar nicht. Darüber scheinen sich Mütter und Väter in Pforzheim und im Enzkreis einig zu sein. Für etliche ist der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ohnehin bedeutungslos. Zeitlicher Aufwand oder Umwege werden dagegen angeführt. Vor allem aber spricht das sperrige Verhältnis zwischen Kinderwagen und Bus immer wieder fürs Auto.
Im Sinne des Gesetzgebers ist das nicht. Der hat 2013 festgelegt, dass es ab Januar 2022 für die Nutzung des ÖPNV „vollständige Barrierefreiheit“ geben soll. „Aber da ist noch ganz viel Luft nach oben“, sagt Jutta Pagel-Steidl vom Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung.
50 weitere Haltestellen in Planung
So hat der Enzkreis in sieben Jahren zirka 80 von 830 Bushaltestellen umgebaut und 50 weitere in der Planung. In Pforzheim gelten 35 von 281 Haltepunkten als barrierefrei, 28 sind projektiert. „Wir stehen noch ganz am Anfang, bezogen auf die Situation im Land sind wir aber ziemlich weit“, sagt dazu Edgar Theurer.
Er ist im Pforzheimer Grünflächen- und Tiefbauamt für den Umbau zuständig. Die reine Zahl ist für ihn nicht aussagekräftig. „Es gibt Haltestellen, an denen jährlich 90 Menschen ein- oder aussteigen, und solche mit einer Frequenz von 2,8 Millionen.“ Pforzheim arbeite deshalb nach einer Prioritätenliste, die auch Sozialpunkte wie Schulen und Behinderteneinrichtungen berücksichtige.
Topbeispiel in der Bahnhofstraße
Theurers Vorzeigehaltestelle ist in der Bahnhofstraße. Wer dort ankommt oder wegfahren will, findet Pforzheims Topausstattung für reibungslose Mobilität vor. Erhöhte Bordsteine ermöglichen Rollator- und Rollstuhlnutzern ebenso wie Menschen mit Gehbehinderung oder einem schweren Koffer vergleichsweise unkompliziert die Fahrt mit Niedrigflurbussen.
Hinzu kommen Blindenleitsystem, dynamische Fahrgastinformation, Fahrplanstele, Wartehäuschen und natürlich die Minimalausstattung: das H auf gelbem kreisrunden Grund und ein Fahrplan. Sehbehinderte gehen vielleicht trotzdem nach Osten zum Zentralen Omnibusbahnhof. Denn dort können sie sich den Fahrplan per Knopfdruck ansagen lassen.
In diesem städtebaulichen Umfeld kann man nicht einfach mit der Brechstange kommen.Edgar Theurer, Verkehrsplaner in Pforzheim
Keine Alternative zur Bahnhofstraße ist dagegen der Leopoldplatz. Der Umsteigeknoten im Herzen Pforzheims ist das „Sorgenkind“, wenn Theurer an gutes Fortkommen für alle denkt. „In diesem städtebaulichen Umfeld kann man nicht einfach mit der Brechstange kommen.“ Was dem einen guttut, kann dem anderen im Wege stehen – die hohen Bordsteine für lange Gelenkbusse zum Beispiel.
Die zentrale Frage, so Theurer, sei deshalb immer: Was brauchen Menschen mit Rollstuhl, Legasthenie, Sehbehinderung und anderen Einschränkungen – was lässt sich verwirklichen? Es werde nach Lösungen gesucht, die den einen nützen und den anderen nicht übermäßig schaden.
Immer noch Lücken im System
Der Verkehrsplaner bespricht das auch mit den jeweiligen Interessenverbänden. „Die barrierefreie Reisekette ist so stark wie das schwächste Glied“, sagt Jutta Pagel-Steidl zu den Lücken im System. Diese können für ein Tagungshotel wie das Hohenwartforum von großer Bedeutung sein.
Das Haus mit 24 ebenerdigen, behindertengerecht ausgebauten Zimmern arbeitet gerade an einem Zertifikat, das „Reisen für alle“ garantiert. Der barrierefreie Pforzheimer Bahnhof ist da nur ein Baustein. Aktuell gibt es in der Stadt für vier Millionen Fahrgäste (von 17,7 Millionen) pro Jahr barrierefreie Haltestellen. Wenn alle geplanten fertig sind, werden es 6,25 Millionen oder 35 Prozent sein.
„Pforzheim ist hier auf einem guten Weg“, sagt Jutta Pagel-Steidl. Die Stadt habe das Problem erkannt und gehöre zu jenen, die die Verantwortung wahrnehmen. Ärgerlich über den Stand der Dinge ist die Verbandsgeschäftsführerin dennoch. Nahverkehr für alle zu machen, ist für sie „eine Frage der Haltung“.
Fast alle haben den Auftrag fröhlich ignoriert, auch weil sie auf Fördergeld hofften.Jutta Pagel-Steidl, Verbandsgeschäftsführerin
Den gesetzlichen Auftrag dazu gebe es seit einem Vierteljahrhundert. Nachdem ihn „fast alle fröhlich ignoriert haben – auch weil sie auf Fördergeld hofften“, folgte die nachdrückliche Variante von 2013. Sie enthält ein Schlupfloch, so Pagel-Steidl. Es erlaube Kommunen nachzuweisen, warum sie es trotz allem Bemühen nicht hinkriegen. „Viele haben ihre Energie darauf verwendet – statt darauf, Mobilität für alle zu ermöglichen.“