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622 Grundschüler mehr

Krank werden darf in den Schulen rund um Pforzheim niemand

Am Montag startet das neue Schuljahr. Das Schulamt Pforzheim sieht sich knapp ausreichend aufgestellt, trotz 164 neuer Lehrer.

164 neue Lehrerinnen und Lehrer legten den Eid vor dem Schulstart am Montag ab. Das sind gerade genug, um die Personaldecke zu schließen.
164 neue Lehrerinnen und Lehrer legten den Eid vor dem Schulstart am Montag ab. Das sind gerade genug, um die Personaldecke zu schließen. Foto: Sebastian Kapp

Weglächeln wollte Volker Traub die Probleme im Bildungssystem nicht. Der Leiter des Schulamts Pforzheim machte zum Auftakt der Vereidigung von 164 neuen Lehrerinnen und Lehrern für die Kreise Pforzheim, Enzkreis und Calw gleich mehrere entsprechende Bemerkungen. Am Montag beginnt das neue Schuljahr.

Sei es, dass er die kleine Eleonore (1), deren Papa einer der Vereidigten war, gleich mal für den Schuldienst werben wollte. Oder sei es durch den Hinweis, dass der Flohmarkt vor dem Kurhaus gewissermaßen eine zusätzliche Werbemaßnahme sei, um Lehrer zu binden. Alles natürlich mit Augenzwinkern. Dabei ist der Hintergrund ernst.

111 Lehrer werden befristet eingestellt

„Ich hatte auch schon Vereidigungen mit über 240 Menschen“, sagt Traub, der nun in sein zehntes Jahr als Schulamtsleiter geht, im Pressegespräch. 111 Lehrkräfte werden in diesem Jahr befristet an Grund-, Haupt-, Real- und Werkschulen eingesetzt. Die müssen keinen Eid schwören. Jede einzelne dieser befristeten Stellen sei für Traub eine zu viel.

Das kritisiert auch die Geschäftsführerin der Pforzheimer Gymnasien, Edith Drescher, Rektorin des Hilda-Gymnasiums in Pforzheim: „Es wäre sehr wünschenswert, diejenigen Lehrkräfte endlich unbefristet einzustellen, die fachlich und pädagogisch voll ausgebildet sind und die jahrelang als Lehrerin oder Lehrer sehr gute Arbeit geleistet und sich bewährt haben“, sagt sie. Der Lehrermangel habe längst auch die Gymnasien erreicht.

Wir haben keine Krankenvertretungen.
Volker Traub
Leiter des Schulamts Pforzheim

Dabei zieht das Schulamt zunächst vor allem für Pforzheim und Enzkreis eine halbwegs erträgliche Bilanz. 19 Stellen konnten laut Traub nicht besetzt werden, 18 davon im Landkreis Calw. Unterrichtsausfälle drohen dennoch auch nördlich von Bad Liebenzell. „Wir haben keine Krankenvertretungen“, so Traub. „Diese 111 befristeten Lehrer sind ja schon die Krankheitsvertretungen.“ Zumal es das Schulamt mit 622 Grundschülern mehr als noch im Vorjahr zu tun hat, was man unter anderem mit der Flüchtlingskrise und dem Ukraine-Krieg begründet.

Schulausfälle drohen auch noch durch andere Szenarien. Schwangerschaftspausen fallen da ebenfalls drunter. Und ein Blick in die Runde der freudestrahlenden Lehrer in Bad Liebenzell zeigt, dass es eben vorwiegend junge Lehrerinnen sind, die nun auf die Schulen verteilt wurden.

Ministerpräsident Kretschmann appellierte bereits an Teilzeitler

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte bereits Lehrer im Bundesland öffentlich gebeten, ihre Teilzeit aufzustocken. Das hatten knapp 3.000 getan, wie Traub verkündet. Das Ergebnis waren umgerechnet knapp 300 Stellen mehr für die Planung. „Und auch Corona ist ja noch nicht ganz weg“, mahnt Traub. Oder auch nur die einfache Grippe.

Die Not, sie macht erfinderisch, so Traub. Quereinsteiger, Pädagogen ohne Staatsexamen, man ziehe zusammen, was man eben finden kann, gerade auch in der Stadt Pforzheim.

Gewerkschaft fordert bessere Bezahlung für Grundschullehrer

Kritik daran kommt von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Gerade der Anfang ist wichtig“, betont Dietrich Gerhards, Leiter der Grundschule Eisingen und GEW-Kreisverbands-Vorsitzender. Es könne nicht sein, dass Grundschullehrer und Kita-Betreuer schlechter bezahlt würden als Gymnasiallehrer.

„In Skandinavien haben sie erkannt, dass dort die Weichen gelegt werden und die Löhne angeglichen.“ Stattdessen gebe es in Baden-Württemberg „Kannibalisierungseffekte“, so Gerhards. Fachpersonal aus Kitas wird für Schulen abgeworben, woraufhin dann das Personal woanders fehle. Die Stadt Pforzheim hatte kürzlich mitgeteilt, rund 1.400 Kita-Anträge ablehnen zu müssen. Neue Kitas, so hieß es dort, könne man zwar bauen – aber das Nadelöhr sei das Personal.

Gestiegene Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt

Was also ist der wahre Engpass? Schulamts-Chef Traub rätselt ebenfalls, ahnt aber die Erklärung. Zwar habe das Land die Plätze an Universitäten für Nachwuchslehrer noch einmal ausgebaut, „das Ergebnis dessen sehen wir dann in ein paar Jahren“, aber: Im Zeitalter von Bachelor und Master seien einfach auch die Optionen vielfältiger auf dem Arbeitsmarkt. „Als ich damals studiert habe, wusste ich: Damit werde ich Lehrer. Das ist heute nicht mehr so“, sagt Traub.

Dazu wird der Ton gegenüber Lehrern rauer, wie GEW-Mann Gerhards berichtet. „Es fehlt immer mehr an Respekt durch Eltern, die alles besser wissen, aber die Fachkompetenz gar nicht haben.“ Und dann müsse man noch so vieles anderes als Lehrer bewerkstelligen, was früher nicht zum Berufsbild gehörte, bei technischen Fragen angefangen.

Das zumindest zaubert Traub ein verschmitztes Lächeln aufs Gesicht. Am Donnerstag ist nämlich Warntag und Handys sollen dann, wieder einmal, Warnsignale versenden. „Ich habe den Kollegen schon gesagt, dass das ein unruhiger Tag wird. Denn dann werden die ganzen heimlich mitgebrachten Handys in den Taschen klingeln.“

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