Action ist an diesem Vormittag nicht angesagt. Die Szene gleicht einem Stuhlkreis. Einige Schauspieler sitzen schon, andere stoßen mit Kaffeetassen und Textbuch in der Hand dazu: In die Begrüßungen mischt sich Geplauder über eine Premiere kürzlich im Großen Haus, die bei Publikum wie Presse gut ankam. Und jene Phrase der Fußballtrainerlegende Sepp Herberger passt im Grunde auch zum Bühnenbetrieb: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.
Für das Schauspielensemble am Pforzheimer Theater ist dieses erste Zusammentreffen im Proberaum, Wochen vor der Premiere von „Ein Geschenk der Götter“, ein ganz besonderes.
Was sich hinter dem Begriff „Konzeptionsprobe“ verbirgt, beschreibt Chefdramaturg Peter Oppermann als magischen Moment. „Es ist für uns alle – Regie, Ensemble, Ausstattung und Dramaturgie – ein sehr aufregender Tag.“ Nach monatelangen künstlerischen und organisatorischen Vorbereitungen treffen sich alle Beteiligten erstmals im Kollektiv. „Es ist der Kick-off zum Stück.“ Der Inhalt ist den Darstellern bekannt. Aber nun werden sie den Text zum ersten Mal gemeinsam sprechen, in ihren jeweiligen Rollen.
Der Konzeptionsprobe ging ein halbes Jahr kreativen Schaffens voraus. Es wurde in den Werkstätten gearbeitet und Regisseur Frank Matthus hat gemeinsam mit Bühnenbildnerin Anne Weiler ein Konzept für das Bühnenbild entwickelt.
Bevor das Lesen beginnt, stellen sich Ensemble, Bühnenbildnerin und Gast-Regisseur einander vor. Weiler war schon mehrfach in Pforzheim. Für den in Ost-Berlin geborenen Matthus ist es die erste Arbeit im Dreispartenhaus. „Ich bin der Frank“, sagt der Absolvent der Ernst-Busch-Schauspielschule, der Schauspieler, Regisseur und Autor ist und aus einer Künstlerfamilie stammt: Der Vater Komponist, die Mutter Opernsängerin.
„Ich habe viele Opern gemacht“, erzählt er. Seine Liebe aber gehört dem Schauspiel. „Wir im Schauspiel machen unsere Musik selbst“, gibt er die Losung aus. Das aktuelle Stück will er in einer „rhythmisch-musikalischen Form“ entstehen lassen.
Noch ein Schluck Kaffee, dann werden Textbücher aufgeschlagen. Während einige Verve und Emotionen in ihren Part legen, lesen andere ohne viel Ausdruck, fast leidenschaftslos. „Es geht nur darum, den Text zu erfassen“, wird Chefdramaturg Oppermann am Ende dem Pforzheimer Kurier erklären. Die erste szenische Probe ist für später an diesem Tag angesetzt.
Klassische Boulevardkomödie am Pforzheimer Theater
Das Stück, das sich die Schauspieler in den nächsten Wochen erarbeiten, basiert auf Oliver Haffners Film „Ein Geschenk der Götter.“ Matthus inszeniert die gleichnamige Bühnenfassung für Pforzheim. Es ist eine klassische Boulevardkomödie, ein Stück im Stück, in dem eine arbeitslos gewordene Schauspielerin auf Vermittlung des Jobcenters mit einer Truppe aus Langzeitarbeitslosen Sophokles’ Tragödie Antigone einstudieren soll.
„Ich hab’ den Film nicht mehr im Kopf, will ihn auch nicht im Kopf haben“, erklärt nun Regisseur Matthus seiner Truppe. Ihm ist es wichtig, frei vom Einfluss fertiger Bilder eine „schöne Geschichte“ gut auf die Bühne zu bringen. „Sie berührt mich.“
Bühnenbildnerin Weiler, die am Abend zuvor die Kostüme durchgeschaut hat, sieht das Stück als Sozialkarikatur. Die Struktur aus teils parallel zu sehenden Szenen, bei denen auch der Orchestergraben zur Spielfläche werden soll, erinnert Matthus an das ständige Durcheinandergequassel in Woody-Allen-Filmen. „Darin ergibt sich die Form.“ Einige Schauspieler haben mehrere Rollen. „Für mich ist die Truppe der Kern des Stücks“, erklärt Weiler.
Die Mimen in ein Korsett pressen wollen die beiden nicht. Alles ist noch im Entstehen, und in diesen Prozess sollen die Schauspieler eingebunden werden. „Wenn euch zu den Figuren, die wir spielen, Typen einfallen...“, fordert der Regisseur sein Team zu Vorschlägen auf.
Chefdramaturg Oppermann steuert Hintergrundinformationen zum Stück bei und zitiert dazu aus einem Interview mit Oliver Haffner.
Dann ruft Anne Weiler die Schauspieler zu sich nach vorne. Am Bühnenbildmodell zeigt sie, welche Requisiten zum Einsatz kommen könnten, um bei den Spielszenen im Seminarraum, im Friseursalon oder im griechischen Restaurant bestimmte Effekte zu erzielen. Und jetzt bekommt das Gelesene auch eine räumliche Dimension.