Pforzheims Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) hat eine Rechnung ohne seinen Vorgänger aufgemacht, als er an diesem Donnerstag einmal mehr für die Erstaufnahmestelle eintrat, die er nach eigenem Bekunden selbst angestoßen hat. Denn Gert Hager weist zurück, was sein Nachfolger als teuren Fehler verkauft.
Der Sozialdemokrat spricht bei Bochs Behauptung „wäre 2015/2016 eine Erstaufnahmestelle in Pforzheim eingerichtet worden, würden wir jetzt erheblich davon profitieren“ mit Blick auf die Landesregierung von einem „unkalkulierbaren Risiko“.
Die Landesregierung ließ sich in keinster Weise auf eine Zusage ein.Gert Hager, früherer Oberbürgermeister
Hager nennt in seiner Replik zwei Gründe, aus denen das damalige Ansinnen „rasch verworfen wurde“. Zum einen habe die Stadt schon in jenen Tagen „sehr große und teure Integrationsaufgaben zu schultern“ gehabt. Der Vorschlag, mehr Asylbewerber auf andere Kommunen zu verteilen, habe bei der Landesregierung aber keine Zustimmung gefunden.
Außerdem sei politisch sehr wohl ausgelotet worden, ob sich die Einrichtung einer Landeserstaufnahme mit der Zusage verbinden lasse, deutlich weniger Asylbewerber in die Stadt zu schicken. Darauf aber, so Hager, „ließ sich die Landesregierung jedoch in keinster Weise ein“.
In der Rechnung seines Nachfolgers fehlt diese Sicht der Dinge. Boch verweist auf 1.600 Zuweisungen seit Januar 2016 – Ukrainer nicht gerechnet. Bei einer Reduzierung der Zuteilungsquote um 80 Prozent wären es nur 320 Menschen gewesen, kalkuliert er weiter und folgert: „Wir hätten über die Jahre deutlich weniger Menschen aufgenommen und dadurch mehr freie Kapazitäten in unseren kommunalen Unterkünften, Hallenbelegungen hätten sich vermeiden lassen.“
Hager: 12.000 Asylbewerber pro Jahr
Einmal aus der Zurückhaltung gerissen, die er sich seit der Amtsübergabe im Jahr 2017 auferlegt hat, scheut Hager auch die aktuelle Diskussion nicht. Er warnt vor einem Schnellschuss, verweist auf Berichte, nach denen in das für die Erstaufnahme zur Debatte stehende verwaiste Bader-Logistikzentrum „alle vier Wochen rund 1.000 erst kurze Zeit vorher nach Deutschland gekommene Asylbewerber eingewiesen werden“, und macht eine eigene Rechnung auf.
Innerhalb eines Jahres würden rund 12.000 Menschen im Asylverfahren zusätzlich nach Pforzheim kommen. Das seien 12.000 Menschen in einer schwierigen Lebenslage, ohne konkrete Perspektive und ohne eine Aufgabe zu haben. Ob dies die Bürgerschaft ohne weiteres schultern kann in einer Stadt, die mit 58 Prozent bundesweit die höchste Migrationsquote hat, hält Hager für nicht ausgemacht.
Die Qualität der kurz vor Weihnachten von Boch und Sozialdezernent Frank Fillbrunn nichtöffentlich lancierten Idee, über eine Erstaufnahmestelle die Zuweisung von Asylbewerbern abzustellen und damit auch die Not an Unterbringungsplatz, überzeugt den früheren Oberbürgermeister und ehemaligen Sozialdezernenten auch in anderer Hinsicht nicht.
Er fragt seinen Nachfolger, warum sich von den rund 1.100 Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg niemand freiwillig meldet. Auch dass eine Stadt wie Ellwangen die 2016 dort errichtete Landeserstaufnahme unbedingt und fast um jeden Preis an das Land zurückgeben will, führt er Boch vor Augen.